Text: Dr. Elke Backes
Schon einmal etwas von der Birdcage-Theorie gehört? Jener Theorie, die eine Verbindung des Vogelkäfigs zum Koordinatensystem der Weltkugel herleitet? Der Urheber ist – so der aktuelle Forschungsstand – nicht bekannt, doch „oszilliert“ die Birdcage-Theorie (kurz BT genannt) irgendwo zwischen Kunst und Wissenschaft. In Insiderkreisen wird BT deshalb bereits jetzt als DAS heiße Diskussionsthema bevorstehender Kunstevents in Wien, Köln (Art Cologne), Kopenhagen und Berlin gehandelt.
Kunst und Wissenschaft zu verbinden ist nicht neu, doch die Art und Weise dieser Inszenierung wird – soviel ist sicher – erneut Irritationen hervorrufen, Spaß machen, ein Kunsterlebnis der besonderen Art generieren und rückwirkend zum Nachdenken anregen … also NEU sein. Dafür sorgen Gernot Seeliger, Anton Peitersen und Dargelos Kersten von Pegasus Product.
Im Atelier wird derzeit kräftig am atmosphärischen Rahmen gearbeitet, wie mir das Künstlerkollektiv bei meinem Besuch erklärt und zeigt. Das Atelier ist eine Mischung aus Lager, Werkstatt und experimenteller Versuchsstätte.
[1] oszillieren = schwanken, schwingen, wechseln. Duden, aufgerufen am 19.8.23.
[1] ready-gemaked = ironischer Bezug von Pegasus Product auf das Ready-made. Erklärung folgt im Textverlauf. Hier verwendet, um das Format dieses Art Dialogs als ein solches zu kennzeichnen, das auf Perfektion verzichtet und sich experimentell versucht der Kunst von Pegasus Product anzupassen.
Atelierimpressionen.
Einiges ist mir aus ihrem Projekt Power Peckerl Paradise bekannt, das ich im Rahmen des diesjährigen Kunstfestivals sommer.frische.kunst in Bad Gastein im Eigenversuch kennenlernen durfte und Besucher wie Presse gleichermaßen begeisterte. Auch dort gab es schon Vogelkäfige. Ansonsten stand die Untersuchung esoterischer Mechanismen im Vordergrund.
Oben, u.l., u.r.: Power Peckerl Paradise, Mitte u.: Vogelkäfig zur Birdcage-Theorie.
Während Gernot, Dargelos und ich es uns bereits an einer der Werkbänke zum Gespräch gemütlich gemacht haben, ist Anton noch akribisch mit der Aufbereitung des Hagebuttentees beschäftigt, dessen Erforschung im Zusammenhang der Birdcage-Theorie derzeit eine wesentliche Rolle spielt. „Das hier ist ein Dörrgerät. Darin trocknen wir die Hagebutten, die wir gesammelt haben“, erklärt mir Gernot mit ernster Miene. „Aktuell feilen wir noch an der Perfektionierung hinsichtlich der Art und Weise des Wasseraufgusses.“
„Auf unserer Tour möchten wir die Besucher dazu motivieren, über den Diskurs mit uns und untereinander die Birdcage-Theorie weiterzuentwickeln. Die Hagebutte ist sehr wichtig innerhalb der Erforschung von BT“, ergänzt Anton bedeutungsschwanger, als er mir nun feierlich den für mich zubereiteten Tee serviert.
Dargelos und Anton beim Hagebutten-Sammeln.
Vor mir schwebt ein mit duftenden Croissants befüllter Brotkorb, ebenfalls Teil des neuen Projekts, wie ich nun erfahre. Insgesamt besteht das Konstrukt aus einem gebrochenen Spanplattensockel, einer gebogenen Aluminiumstange und dem daran befestigten Brotkorb.
„Das ist unser Le Brot Corbusier. Die Aluminiumstange ist aus einem kaputten Wäscheständer herausmontiert. Damit arbeiten wir immer wieder sehr gern, weil es eine natürlich nachwachsende Ressource ist. Im Ergebnis ästhetisch stark an den Flaschentrockner von Duchamp erinnernd. Aber eben kein Ready-made, sondern wie wir es sagen, ready-gemaked. Es darf nicht perfekt sein. Da muss noch mal Hand angelegt, da muss noch was gemaked werden“ so Dargelus, während alle in zustimmendes Lachen verfallen.
l.: Gernot bei der Erläuterung des Le Brot Corbusier, r. Dargelos beim Studium der Teepackungsaufschrift.
Kurzer, ernsthafter Interviewteil
E.B.: Wie kommt ihr auf eure Ideen?
Gernot: Grundsätzlich feiern wir schlechte und alberne Ideen und beschäftigen uns dann damit. Soll heißen: Wir steigen flach ein und schichten so lange neue Ebenen auf, bis es die richtige Tiefe hat. Uns ist es wichtig, einen anderen Zugang zur Kunst zu ermöglichen; auf eine humorvolle Art und Weise, die jeden anspricht.
Anton erklärt die Ideenentwicklung am Beispiel des Projekts Sülzensaal.
E.B.: Wie werdet ihr die Besucher motivieren am Diskurs über die Birdcage-Theorie aktiv teilzunehmen?
Anton: Wir werden zunächst einmal eine Stammtisch-Atmosphäre schaffen; einen klassischen Ort für wilde Debatten. Der Versuch ist es dann, etwas so Abstruses zu behaupten, dass man ins Grübeln kommt und in die Debatte einsteigt.
E.B.: Was interessiert euch dabei genau?
Gernot: Vor dem Hintergrund der Frage, wie sich beispielsweise Verschwörungstheorien entwickeln, interessiert uns dabei die Erforschung des Phänomens, dass die Wahrheit des Ausgangspunkts nicht mehr in Frage gestellt wird; sondern nur noch was von der Diskussion darüber richtig ist, weil sich irgendwann die Debatte unkontrolliert verselbständigt hat. Wie gelingt es, dass Behauptungen als wahrhaftig diskutierte Theorien richtig platziert werden, sich als Selbstläufer wiederholen und immer weitergedacht werden? Es sind vor allem diese Mechanismen, die uns interessieren.
Dargelos: Aber das ist wohlgemerkt nur unser Hintergrund. Es ist jedem freigestellt, auch irgendetwas anderes darin zu sehen. Art and Science, Skulptur, Installation, Performance … Das heißt wir bespielen all diese Ebenen und wollen dann auch im Austausch mit den Leuten selbst etwas Neues erfahren. Also [kurze Pause] … irgendwie oszilliert immer irgend etwas oder ist ephemer [wieder allgemeines Johlen].
Schlussapell
Abschließend bleibt mir nur die Empfehlung auszusprechen, einen der Termine der Birdcage-Theorie-Tour wahrzunehmen. Spaß und Kunsterlebnis sind euch gewiß ,)
Stationen:
Wien: 10.11.-22.12.2023 (Vernissage 9.11), Galerie: Roberta Keil, “Ball Berlin“ (Groupshow), Ballgasse 6, in 1010 Wien
Kopenhagen: Details will follow
Köln: Art Cologne vom 16. bis 19. November 2023 in Köln, Stand Galerie Georg Nothelfer sowie Stand C sommer.frische.kunst
Berlin: 12.01.2024 Showroom Galerie Georg Nothelfer, Grolmanstr. 28, 10623 Berlin
Weitere Informationen über Pegasus Product
Website: https://www.pegasusproduct.run/
Instagram: https://www.instagram.com/pegasus.product/