Text: Dr. Elke Backes, Atelierfotos: Natascha Romboy
Wer die Entwürfe der österreichischen Fashiondesignerin Flora Miranda eingebunden in ihre sehr besonderen Inszenierungen sieht, ist unmittelbar entführt in die von ihr geschaffenen Traumwelten. Die Träger:innen scheinen sich in bewegliche Skulpturen zu verwandeln; in künstlich geschaffene Wesen in einer künstlich geschaffenen Welt. Es ist etwas Fremdes und gleichzeitig Vertrautes, das den Betrachter wie magisch in den Bann zieht.
Ob diese Wirkung vielleicht auf die Grundlage des von Flora Miranda angewandten generativen Designs zurückzuführen ist?
Impressionen der Haute-Couture Traumwelten von Flora Miranda.
Credits von links oben nach rechts unten: 1. Fotograf: Athos Burez, Model: Gala Moody, Makeup: Laura Noben, 2. Fotograf: Athos Burez, Model: Gala Moody, Makeup: Laura Noben, 3. Fotograf: Ronald Stoops, Model: Gala Moody, 4. Fotograf: Chris Philippo, Model: Marthe Woertman, Stylist: Marja Bennebroek, Makeup: Michael Salmen.
Für jene, die sich fragen, was sich hinter dem Begriff des generativen Designs verbirgt: Es bezeichnet eine Entwurfsmethode, die uns vor allem im Zusammenhang mit Architektur, Kommunikationsdesign, Produktdesign und Kunst vertraut ist und sich gern eingebettet in Filmszenen findet. Und wer kennt nicht eine solche Szene? Kamerazoom auf einen Computer, kurzer Schwenk zum ihn einzig beherrschenden IT-Nerd, wildes Tastaturgeklapper, futuristischer Sound und Zack – da ist es! Die ausschließlich auf der Eingabe von Informationen basierende Simulation baut sich wie von Zauberhand als 3D-Animation auf dem Bildschirm auf und visualisiert die zuvor nur auf Zielvorgaben formulierte Idee.
Und so steril und mathematisch soll nun auch Mode entstehen? Sehr neugierig fahre ich nach Antwerpen, um Flora Miranda kennenzulernen.
Erstmals auf sie aufmerksam geworden bin ich im Zusammenhang meines Art Dialogs über den Choreografen Richard Siegal (Juni 2022). Flora Miranda hatte das Kostümbild für das Stück Xerrox Vol. 2., getanzt von seinem Ballet of Difference im Schauspiel Köln entworfen. Die von ihr kreierten Entwürfe aus fließenden, hauchzarten Stoffen, die in perfekter Harmonie zum puristischen Bühnenbild nebst futuristischem Sound und Licht jede Bewegung der Tänzer unterstrichen und scheinbar räumlich erweitert hatten, waren derart sinnlich, dass mir Algorithmen als Grundlage unmöglich erscheinen.
Szene aus Xerrox Vol. 2, Ballet of Difference am Schauspiel Köln, choreografiert von Richard Siegal (2022) © Thomas Schermer.
Floras Atelier befindet sich in einem wunderschönen Altbau in einer ruhigen Wohnstraße. Ein erster Blick lässt bereits erkennen, dass hier auch traditionell handwerklich gearbeitet wird. Ich sehe Skizzen, Stoffproben, Kleider auf Puppen, einen Zeichentisch und eine Nähmaschine und bin erleichtert. Außer einem Laptop, einem iPad und einem Zeichenplotter ist keine Technik in Sicht. Das generative Design muss an anderer Stelle stattfinden.
Atelierimpressionen.
Wir gehen weiter in den Wohnraum, wo einer ihrer prachtvollen Entwürfe, wie ein Kunstwerk gerahmt an der Wand lehnt. Spontan sehe ich die Szene eines Science-Fiction-Films, das Kleid getragen von der Herrscherin einer fremden Galaxie. Einfach nur futuristisch!
Flora erzählt die spannende Geschichte zur Entstehung des „Warp Coat“ (rechts) ihrer Abschlusspräsentation.
Während ich noch staunend die Details betrachte, staune ich noch mehr, als Flora mir erzählt, dass dieses Kleid aus ihrer Abschlusspräsentation im Modestudium an der Modeakademie in Antwerpen stammt. Eine Gelegenheit, über ihre offensichtlich früh angelegte Begeisterung für eben jene futuristische Ästhetik zu sprechen.
E.B.: Was ist es, das dich an diesem Thema so besonders reizt?
Flora: Das erklärt sich vermutlich über die Geschichte dieses Entwurfs: Ich hasse es zu warten. Es ist einfach schrecklich für mich, auf den Bus oder irgend etwas warten zu müssen. Als ich mir das Thema für meine Abschlusspräsentation überlegt hatte, stellte ich mir die Frage, welche Entwicklung ich mir in meiner Lebenszeit am meisten wünschte. Parallel stieß ich auf ein Buch von Anton Zeilinger, Nobelpreisträger für Physik, über seine Experimente zur Quantenphysik [sein Spitzname ist Mr. Beam]. Das Buch lieferte mir die Antwort: Ich wünschte mir, dass wir uns ebenso transportieren können wie wir Emails verschicken können. Nie mehr warten, das wäre großartig! Im nächsten Schritt überlegte ich, wie ein Körper ausschauen müsste, der über seine Informationen als Scan lesbar wäre; stellte mir vor, wie sich dieser Körper in Laserschnitten auflöst und fragte mich, was passieren würde, wenn nur eine Hand ankäme und die weiteren Elemente in irgendwelchen Prozessen stecken blieben. Der Mantel ist aus Leder gemacht und bringt so einen organischen Kontrast zur digitalen Ästhetik.
E.B.: Was für eine Geschichte! Also war es zunächst die inhaltliche Auseinandersetzung mit Technologie, die dich besonders interessiert hat?
Flora: Die Digitalisierung, vor allem die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz, führt radikale gesellschaftliche und ästhetische Veränderungen herbei. In vielen Bereichen, vor allem in denen des Designs und der Kunst, waren diese Veränderungen damals bereits sichtbar. In der Mode hingegen nicht. Darin sah ich eine Nische. Mit meiner Entscheidung Fashiondesign zu studieren, wollte ich die überholte Idee der Designtradition hinterfragen und den Zeitgeist spiegeln. Zunächst konzeptuell inhaltlich, aber dann auch sehr schnell über die Erforschung neuer Techniken.
Schuhe im Zeitgeist der Digitalisierung auf der Grundlage einer 3D-Simulation.
E.B.: Bist du diesbezüglich familiär geprägt?
Flora: Nein. Eher das Gegenteil. Ich komme aus einer absoluten Künstlerfamilie. Vater, Tante, Onkel, alle Maler. Mein Vater ist darüber hinaus noch Musiker und Komponist. Für mich gab es keine andere Welt als die der Kunst. Schon als ich im Kindergarten war, fand eine Feier im Atelier meines Vaters statt, wo alle Kinder sich in Leinwände eingerollt hatten; ich war bei vielen Ausstellungen dabei, habe mitgeholfen sie aufzubauen und Keilrahmen gehämmert … grenzenlose kreative Freiheit. Sozusagen das Gegenteil von Wissenschaft und Programmieren. Was es aber Technisches im Zusammenhang mit der Musik meines Vaters gab, war der Umbau von Instrumenten zur Entwicklung neuer Sounds. Dass ich letztlich nicht wie geplant Malerei studiert habe, war wohl mein kleiner Rebellionsakt [lacht].
Detailansichten eines Samtvorhangs für eine Ausstellung zum Thema „Gender“, digital gemalt von Flora.
E.B.: Aber du zeichnest nach wie vor. Oder ist mittlerweile der gesamte Entwurfsprozess digital?
Flora: Ja, ich zeichne nach wie vor und bin sehr effizient darin. Es ist ein tolles Tool, schneller und leichter als Sprache. Das Zeichnen füttert das Digitale und umgekehrt.
Stationen von der ursprünglichen Zeichnung bis zum endgültigen Entwurf eines New Phaser Couture Pieces.
E.B.: Füttern ist das richtige Stichwort. Du schaffst also analog oder wie ich gesehen habe auch über Sound die Grundlage für die Idee eines Musters, einer Textur oder Form. Ab dann kommt die Software ins Spiel, die diese Informationen in eine Computersprache umwandelt und letztlich, generiert über KI, deine Idee visualisiert. Machst – oder besser gesagt – kannst du das selbst?
Flora erklärt die Entwicklung eines generativ designten Prints (in Zusammenarbeit mit Dan Tapper) anhand von Abbildungen in ihrem Katalog I am Digital, u.r. neuester Entwurf.
Flora: Teilweise programmiere ich selbst. Zugegebenermaßen ist Programmieren leider nicht mein erstes Talent. Aber es war unerlässlich mir die wichtigsten Skills anzueignen, um die Basis dieser Sprache zu verstehen. Für mich sind Technik, Handwerk und Kunst voneinander abhängig. Und es ist immer wieder spannend zu sehen, wie dann bei der Zusammenarbeit mit IT-Spezialisten verschiedene Charaktere aufeinandertreffen. Sie beherrschen die Technik besser und ich bin diejenige, die mehr den ästhetischen Aspekt sieht, den künstlerischen Inhalt schafft und letztlich die Verbindung zur physischen Umsetzung herstellt. Das Spannende an der Mode ist ja, dass sie für einen Körper gemacht ist, der sich bewegt und immer anders ist. Jede Textur, jeder Stoff, jedes Detail, die Verarbeitung und die Komposition des Ganzen spielt eine Rolle, verändert sich über die Bewegung und erzählt seine eigene Geschichte. Es ist diese Komplexität, die mich so interessiert.
Beispiele von Floras Storytelling und die Berücksichtigung von Bewegung in ihren Entwürfen.
Credits von links oben nach rechts unten: 1. Fotograf: Shari Ruzzi, Model: Gala Moody, Makeup: Mona Salons, 2. Fotograf: Laura Feiereisen, Model: Gala Moody und 3. Zusammenarbeit mit creative Coder Dan Tapper, Tänzerin: Benedetta Musso des Ballet of Difference von Richard Siegal, Video von Michael Maurissen, 4. Fotograf: Domen Van de Velde, Model: Eveline Rozing, Makeup: Magdalena Loza.
E.B.: Komplex sind auch deine Shows und das jeweilige Setting deiner Inszenierungen. Ebenso die deiner interdisziplinären Kooperationen. Du arbeitest mit bildenden Künstlern wie Esther Stocker oder Signe Pierce, Choreografen wie Richard Siegal und Arco Renz oder auch der Schauspielerin Caroline Peters zusammen. Aktuell bereitest du deine Ausstellung für das MAK Wien vor, das deine Arbeit unter dem Titel (CON)TEMPORARY FASHION SHOWCASE 2023 im historischen Ambiente des Geymüllerschlössels präsentiert. Unabhängig mit wem oder wo du deine Entwürfe einbindest, entwickeln sich geradezu hyperreale Bilder. Deine Herangehensweise ist extrem künstlerisch.
Abschlussfrage: Wie schwierig ist es für dich, dennoch angewandt im Sinne der jeweiligen Aufgabenstellung zu denken?
Beispiele von Kollaboration von links oben nach rechts unten: Esther Stocker, Caroline Peters, Richard Siegal, Signe Pierce.
Flora: Entscheidend ist für mich, dass ich alles mitdenken darf. Ansonsten fühle ich mich zu kurz gekommen. Ich möchte immer verstehen, warum ich etwas mache und weiter experimentieren; möchte weiter extrem sein, um die traditionellen, praktischen Erwägungen in der Mode zu durchbrechen, und dem wahren Ausdruck des Selbst und der jeweils multidimensional entwickelten Persönlichkeit näher zu kommen.
Mixed-Media-Porträt von Flora Miranda.
Don’t miss:
2.9.2023—3.12.2023
(CON)TEMPORARY FASHION SHOWCASE 2023!
MAK Geymüllerschlössel, Wien
https://www.mak.at/ausstellungen/ausstellung?ausstellung_id=1686488681172
29.9.2023—29.10.2023
ROUTER, Data Art Fashion Exhibition by Flora Miranda / IT Pieces in the heart of Antwerp
Het Steen, Stadhuis, Shoot The Artist, Sapphire House, Fiera
https://itpieces.floramiranda.com/
03.10.2023.
NEW BALLET MÉCHANIQUE AT OPERA BALLET VLAANDEREN
Premiére at Opera Ballet Vlaanderen
Buch I AM DIGITAL
Weitere Informationen
über Flora Miranda:
Website: https://floramiranda.com/#phaser
Instagram: https://www.instagram.com/floramirandaofficial/
Art Dialog Richard Siegal