Making-of Making Breaking
Fotos: Natascha Romboy, Jan Albers
Berlin-Kreuzberg, 7. Oktober 2017. Nicht im Atelier in Düsseldorf, sondern im Ausstellungsraum seiner bevorstehenden Solo Show Making Breaking in Berlin treffe ich Jan Albers. Seine Plastiken werden regelmäßig in den bedeutendsten Museen des Rheinlandes präsentiert, aber auch in den USA oder Australien. Berlin jedoch fehlte erstaunlicherweise bislang in seiner Ausstellungsvita. Ein Grund für Nicola Graef, Kuratorin und Filmemacherin (u.a. bekannt für ihren Film: Neo Rauch – Gefährten und Begleiter) ihn hierhin einzuladen und dafür ein besonderes Ausstellungsformat zu entwickeln.
Bestimmt wird dieses Format durch den sehr besonderen Ort und das Programm. Eine derzeit unbewohnte Altbauwohnung in der Beletage eines klassischen Berliner Gründerzeitbaus bildet den Rahmen. Korrespondierend zu diesem bürgerlichen Ambiente ist das Programm in Richtung „Salon“ teils privat, teils öffentlich angelegt.
Die besondere Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Ausstellungsort ist eines der Markenzeichen von Jan Albers. Mit dem Vergleich aus Making-of und Ausstellungseröffnung möchte ich heute herausfinden, inwiefern die Gestaltung und Inszenierung seiner Ausstellungsarchitekturen die Wahrnehmung seiner Plastiken beeinflussen.
Bei meinem Eintreffen herrscht noch hektische Betriebsamkeit. Die erzwungene Pause scheint willkommen. Gut gelaunt werde ich von Jan Albers in den imposanten ehemaligen Wohnraum hineingeführt. Dominant und ungewöhnlich ist das Schwarz der Wände. Hohe, in Weiß gestrichene Türen lenken meinen Blick unmittelbar in Richtung Decke, die mit einem prachtvollen Stuckornament die enorme Raumhöhe in Szene setzt. Das Inventar lässt unschwer erkennen, dass hier gerade eine Kunstausstellung aufgebaut wird. Großformatige Plastiken lehnen an den Wänden, kleinere Arbeiten liegen noch in ihren Transportkisten, Verpackungsmaterial und Werkzeug wohin auch immer man schaut …
… erste Eindrücke
Der Parkettboden unter meinen Füßen knarzt, während ich die weiteren Räume erkunde. Irgendetwas stimmt nicht mit den Raumaufteilungen. Wände, die unterhalb der beginnenden Stuckleisten abschließen, durchschneiden wie Riegel den Großraum, behindern Durchgänge, lassen tote Nischen entstehen, schieben sich vor die Originalwände. Lediglich in der schlammgrauen Farbe setzen sie sich ab. Offensichtlich befinde ich mich gerade inmitten der Albers’schen Rauminterventionen. Ein enormer Aufwand! Warum das Ganze?
… Rauminterventionen im Aufbau
„Ich möchte einfach, dass eine Ausstellung mehr ist als die Addition von unterschiedlichen Rechtecken innerhalb eines Ausstellungsraums. Jede Ausstellung ist eine Versuchsanordnung, um die Wirkung der einzelnen Arbeiten zu überprüfen. Diese sollen dem Betrachter ins Gesicht springen und ihre Nachricht übermitteln. Es fällt mir schwer, die Verantwortung der Präsentation jemand anderem zu überlassen und den für mich sehr wichtigen Part der Rezeption nicht mit beeinflussen zu können. Das Einrichten einer Ausstellung ist Teil der künstlerischen Praxis und Botschaft zugleich. Ich möchte, dass meine Ausstellungen als Ganzes gelesen werden“, erklärt Jan Albers und demonstriert die Wirkung einer Plastik an der Wand.
… Demonstration dreidimensionaler Wirkkraft
Mir fällt auf, dass sich die Ausstellungsarchitektur ästhetisch zwar in den bürgerlichen Charakter der Wohnung einfügt, gleichzeitig aber irgendwie auch zu stören versucht. Zeit also, dass ich mir seine Arbeiten anschaue und in die Betrachtung miteinbeziehe.
Neben der Form sind es vor allem die sensationellen Farbverläufe, die jeder einzelnen Plastik ihren speziellen Charakter verleihen. Die Wucht ihrer Dreidimensionalität wird durch die Plexiglashauben, die als gläserne Quader die jeweiligen Arbeiten umschließen, noch gesteigert. Beim Blick durch den Raum werden zwei formale Grundstrukturen erkennbar. Geometrische, kantige und gesteinsartig, unruhige Formen. Ich frage nach. „Tatsächlich gibt es zwei lose Enden in meiner Arbeit. Einen sehr aufgeräumten Teil, wozu ich die Keilarbeiten zählen würde, und das genaue Gegenteil davon, die apokalyptischen Kettensägenmassaker.“ (Mir schießen wüsteste Splatterszenarien durch den Kopf.) „Die Keilarbeiten können als mein persönliches Echo auf Minimal-Art und Konzeptkunst gelesen werden. Das Arrangement ist zwar freestyle und folgt keinem mathematischen Prinzip, dennoch scheint alles einem Plan zu folgen, es basiert auf Strategie: Der immer gleich große Keil wird in unterschiedlicher Anordnung zu einer geometrischen Struktur zusammengesetzt, die sich in den Raum beißt. Alles scheint aufgeräumt, clean und bewusst durchdacht.“
… Beispiele von Keilarbeiten
„Die Kettensägenmassaker sind das genaue Gegenteil. Hierbei tobe ich mich am Material aus und zeichne mit der Kettensäge gitterartige Linien in den Block. Konfusion, Chaos, mutwillige Zerstörung und Missgeschick treiben die Arbeit voran, die sich erst durch reparieren und wieder gutmachen findet. Das ganze Werk ist eine ständige Baustelle zwischen Zerstören und Reparieren, zwischen Chaos und Aufräumen“, erläutert Albers mit leidenschaftlichen Gesten die gegensätzlichen Arbeitsprozesse.
… Beispiele von Kettensägenmassakern
Damit erklärt sich dann wohl auch der Ausstellungstitel Making Breaking. Ich wende mich einer seiner Keilarbeiten zu und vertiefe mich in ihre geometrischen Strukturen. In meiner Fantasie sehe ich eine Murmel, die in ruhigen Bahnen ihren Weg zum Ausgang des Labyrinths zu finden sucht. Beim gedanklichen Eintauchen in eines der Kettensägenmassaker entstehen in meinem Kopf hingegen Bilder von kaputten, heruntergerockten, apokalyptischen Landschaften. Ich sehe kriegszerstörte Städte, Science-Fiction-Szenarien, Endzeitstimmung.
… Detailanalyse
„Entstehen deine Arbeiten auf der Grundlage konkreter Bezüge oder eher über Experimente innerhalb des Werkprozesses“, möchte ich nun wissen. „Sowohl als auch. Das war mir allerdings zunächst nicht bewusst. Irgendwann stellte ich beim Anblick meiner eigenen Fotografien aber fest, dass meine Werke offenbar sehr eng mit der realen Welt verkettet sind.“ Er zeigt einen seiner Ausstellungskataloge, der diesen Bezug über die Gegenüberstellung seiner Fotografien mit seinen Arbeiten deutlich zu erkennen gibt. Unglaublich! Seine Plastiken werden nun plötzlich auch als konkrete Abstraktionen urbaner Lebensräume und Naturphänomene lesbar.
… reale Bezüge
Den Interpretationsspielräumen sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt, sobald man sich einmal auf die Arbeiten eingelassen hat. Darauf einlassen. Das ist es. Genau deshalb ist es Jan Albers vermutlich so wichtig, die Arbeiten dem Betrachter „ins Gesicht springen“ zu lassen. Inwiefern wird das Zusammenspiel aus Kunstwerken und Raumintervention nun diese Absicht befeuern?
Eine Woche später. Preview Making Breaking
Der eingangs erwähnte salonähnliche Mix aus privatem und öffentlichem Format realisiert sich erstmalig am Eröffnungswochenende. Freitag Preview mit geladenen Gästen, Samstag offizielle und öffentliche Ausstellungseröffnung. Gespannt betrete ich die Wohnung. Erste Reliefs sind bereits im Eingangsbereich positioniert. Situation noch normal. Obwohl – nicht ganz. Auch hier lohnt es sich, schon genauer hinzuschauen. Eine schwarze, einem wilden Kabelgemisch ähnelnde Plastik, tarnt sich als scheinbar technisches Gerät neben der benachbarten Sicherungsapparatur. Der Versuch, in den Raum links abzubiegen, gestaltet sich als schwierig. Der Durchgang wird durch eine großformatige Arbeit versperrt. Entweder in Ruhe betrachten und geradeaus des Weges schreiten oder mühsam daran vorbeiquetschen. Ich entscheide mich für letzteres.
… Eingangssituation
Im Wohnraum überraschen vor allem Höhe und Komposition der Hängung. Nicht die typische Reihung in Augenhöhe, sondern immer mal wieder Ausbrecher, die teils deutlich niedriger oder höher als gewohnt ihren Platz gefunden haben. Über die Kombinationen und Isolationen von Arbeiten werden Sichtachsen hergestellt und Bezüge. Die Kombination eines Betongusses und eines Keramikgusses, die beide auf der Grundlage von Keilarbeiten entstanden sind, demonstriert beispielsweise den enormen Einfluss der Materialität auf die Aussage der Arbeit.
… Komposition und Isolation I
Währenddessen ich mich weiter im Raum umschaue, sehe ich im Augenwinkel immer wieder Besucher, die neugierig hinter der Fake-Wand verschwinden und kurz darauf leicht irritiert aus der toten, nicht bespielten Nische wieder herauskommen. Das hat etwas Witziges. Im kleineren Nebenraum erinnert lediglich noch der Kamin an das Zimmer von letzter Woche. Giftgrün, quietschgelb und bronzefarben behaupten hier die Plastiken ihre Präsenz und winden dem Betrachter ihre organischen Formen entgegen.
… Komposition und Isolation II
Fazit?
Die Inszenierung der Arbeiten innerhalb der Architektur ist beeindruckend. Kunstwerk, Besucher und Architektur treten in Interaktion. Warum? Es ist die Abweichung von der üblichen Ausstellungssituation, mit der Jan Albers zunächst einmal unser bekanntes Wahrnehmungsmuster stört. Über dieses Störgefühl gelingt es ihm, unser Bewusstsein für den Raum und hiermit das Bewusstsein für die Dreidimensionalität der Plastiken zu sensibilisieren. Die Werke werden deshalb nicht isoliert, sondern im Verhältnis zum umgebenden Raum betrachtet. Und genau deshalb springen sie uns wie gewollt ins Gesicht, drängen sich auf, machen uns neugierig, lassen uns eintauchen und schaffen Raum für unsere individuellen Fantasien …
Love it. Unbedingt anschauen!
Jan Albers
Weitere Informationen
… zur Ausstellung Making Breaking:
Berlin Kreuzberg, Südstern 6
Sun 5 Nov: from 3 pm, exhibition on view by appointment (nicolagraef@lonamedia.de)
Thur 9 Nov, 7 pm: artist talk with Jan Albers & Brigitte Kölle, Hamburger Kunsthalle, moderated by Nicola Graef
Fri 10 Nov: exhibition on view by appointment (nicolagraef@lonamedia.de)
Sat 11 Nov: last day, exhibition on view by appointment (nicolagraef@lonamedia.de)
… zu Jan Albers:
http://van-horn.net
http://www.1301pe.com
https://www.jensengallery.com