Text: Dr. Elke Backes, Fotos: Bertan Erman
Es ist wahrhaftig absolut wunderbar, vor Ardan Özmenoglus Haustür in Istanbul zu stehen. Surreal trifft es vielleicht noch besser. Erst vor drei Wochen hatte sie mich spontan bei ihrer Ausstellungseröffnung mit oben genanntem Titel in der Galerie Anna Laudel in Düsseldorf in ihr Atelier eingeladen. Und jetzt bin ich hier. Aber bin ich überhaupt richtig? In einem Mix aus Englisch und Gebärdensprache habe ich mich mit dem Taxifahrer verständigt und hoffe, dass er mich nicht irgendwo im Nirgendwo ausgesetzt hat und ich nun orientierungslos zurückbleibe.
Das Klingelschild “hello I’m art” ist schon einmal beruhigend. Die Adresse scheint zu stimmen. Doch leider öffnet niemand. Meine Anspannung steigt wieder. Glücklicherweise sehe ich, dass sie gerade auf WhatsApp online ist und tippe schnell meine Ankunft ins Handy. Das „coming“ gefolgt von eiligen Schritten lässt mich aufatmen. Die Tür wird aufgerissen und da steht sie. Lachend und mit weit aufgerissenen Armen werde ich begrüßt. Sie lacht eigentlich fast immer. Interessanterweise auch wenn sie sich aufregt, wie ich über den gesamten Tag, den wir zusammen verbringen, erleben werde.
Ihr Haus strahlt Wärme und Gemütlichkeit aus. Sie führt mich in die Küche.
„Lass uns zuerst einmal einen Kaffee trinken. Ich war erst um vier Uhr heute Morgen zu Hause. Es ist absolut verrückt, was gerade bei mir los ist. Auf der einen Seite die Contemporary Istanbul mit ihrem umfangreichen Programm. Und zusätzlich meine Buchpräsentation heute Abend. Nonstop klingelt das Telefon und kommen Nachrichten rein“, erzählt sie mit gespielter Verzweiflung und – lacht.
Dass sie hier wirklich Starstatus genießt, konnte ich gestern auf der Preview der Messe erleben. Ebenso, dass sie gern feiert und mit einer überirdischen Energie ausgestattet zu sein scheint.
„Das Haus ist von meiner Großmutter. Ich habe es selbst renoviert“, erzählt sie stolz, während sie sich einen Kimono-artigen, floral gemusterten Mantel überwirft. „Der Mantel ist übrigens auch von ihr“, ergänzt sie strahlend. Auf meine Frage, wo ihr Atelier ist, antwortet sie mit weit ausladender Geste: „Das ganze Haus ist mein Atelier!“
Einblicke in das Wohnatelier von Ardan (Spiegel von Felix Höfner).
Bei einer ersten kleinen Führung darf ich mich von dieser Aussage überzeugen. Ihre Werke sind überall. Ich entdecke das Modell der Glasskulpturen aus ihrer aktuellen Ausstellung. Hintereinander gereihte Glasscheiben, bemalt mit Nagellack (!), die offenbar an diesem Schreibtisch entwickelt wurden. Und natürlich sind wirklich überall Post-its zu sehen, DEM Erkennungszeichen ihrer Arbeiten. Sie ist die einzige Künstlerin, die sogenannte Post-it-Works kreiert. Wie sie auf die Idee dazu kam, erzählt sie mir gleich in unserem Gespräch.
Links: Arbeitsplatz mit Modell (s. Pfeil) zur Skulptur rechts: Last Opera, 2021.
Vorab interessiert mich ihr Werdegang. Wie hat sie es in die Top 20 der bedeutendsten Künstlerinnen der Türkei geschafft, wie in internationale Sammlungen, beispielsweise in die des Osthaus Museum Hagen, die Imoga Mundi Benetton Collection oder die Hort Collection in New York?
Ardan: Ich denke, alles hat viel damit zu tun, dass ich in verschiedenen Städten aufgewachsen bin, viel gesehen habe und sehr viel Glück hatte, immer zur richtigen Zeit auf die richtigen Menschen zu treffen. Meine gesamte Familie besteht fast nur aus Akademikern. Dass es mich in die Kunst gezogen hat, verdanke ich zunächst einmal meinem Lehrer in der Grundschule, einem Künstler, der sehr früh mein Talent zum Malen erkannt hatte. Er ließ mich tatsächlich als seine Assistentin das Bühnenbild des Theaters mitgestalten.
In der höheren Schule hatte ich dann das Glück, in einem Gemeinschaftsatelier zweier Künstler an einem regelmäßigen Workshop teilnehmen zu dürfen. Jeden Samstag habe ich dort mit weiteren zehn Kids fünf Stunden gemalt, und war Teil der für mich wahnsinnig spannenden Künstlerszene. Die beiden bekamen regelmäßig Besuch. Es war völlig normal, dass dort gequatscht, geraucht und getrunken wurde. Ein völlig anderes und freies Leben. Das wollte ich auch. So entschied ich mich für ein kreatives Studium.
Talk im Garten.
E.B.: Aber du hast zuerst Architektur und Urban Design studiert. Warum?
Ardan: In der Türkei sind die Studiengänge sehr multidisziplinär ausgerichtet. Du kannst jederzeit Fine Arts als Fach hinzufügen. Indem ich mit Architektur begonnen habe, hatte ich den großen Vorteil, mit räumlichen Maßstabsverhältnissen umgehen zu können. Das hilft mir heute enorm bei meinen Installationen.
E.B.: Und wie ist dein internationaler Erfolg zu erklären?
Ardan: Auch das ist wieder einer wichtigen Person zu verdanken. Mein Professor an der Universität hatte mir eindringlich empfohlen, mich bei Artist-in-Residence-Programmen zu bewerben, um Auslandserfahrungen zu sammeln. Mit seiner Unterstützung habe ich das dann gemacht und war unmittelbar nach meinem Abschluss über ein halbes Jahr in San Francisco, danach in Berlin, Belgien, Wien, New York und Italien. Dort wurde ich dann auch überall ausgestellt und so kam es letztlich zu den internationalen Kontakten.
E.B.: Interessanterweise zeigen sich trotz all dieser vielen, offensichtlich auch von der Popkultur inspirierten Einflüsse in deinen Arbeiten vielfach kulturelle Bezüge – man könnte auch sagen hintergründige Anspielungen – auf dein Heimatland.
Ardan: Die gibt es in der Tat sehr oft. Dem geht allerdings immer eine permanente Neugierde voraus auf alles, was mich umgibt. Dabei inspirieren mich Dinge, die auf irgendeine Art und Weise Kultur bestimmen. Das können ebenso politische Plakate wie Döner-Werbung, Kanaldeckel, Götterbildnisse der Antike oder auch einfach nur Muster sein.
Indem ich diese Dinge mixe oder ihnen eine neue Form gebe, stelle ich sie in einen anderen zeitgenössischen Kontext, der häufig Fragen nach der nationalen und kulturellen Identität meines Heimatlandes reflektiert.
Links: Installationsansichten zur Ausstellung Alles wunderbar, Galerie Anna Laudel, rechts Berliner (2016).
E.B.: Um auf die Form zurückzukommen. Wie entstehen denn deine legendären Post-it-Paintings?
Ardan: Das zeige ich dir am besten unten. Dort ist meine Siebdruckwerkstatt.
Auf dem Weg dorthin entdecke ich Keramik-Brüste!?!
A dream of a man (2009)
E.B.: Die hast du aber nicht öffentlich ausgestellt, oder?
Ardan: Doch. Ich habe sogar eine ganze Wand mit diesen Brüsten bestückt. Aber das war 2009. Da war hier alles noch sehr viel freier. Die Einschränkungen haben sich erst schleichend entwickelt.
E.B.: Einschränkungen im Sinne von Zensur?
Ardan: Ja. Ein unbestreitbares Problem. Aber wir sind es so wahnsinnig leid darüber zu sprechen. Jeder weiß, dass es da ist und findet seinen Weg, damit umzugehen. Wir machen weiter, auch wenn leider vieles nur noch auf privater Ebene stattfinden kann. Ein Mix aus staatlicher und privater Förderung wäre besser, aber es ist wie es ist.
E.B.: O.k. Themawechsel. Wie kamst du überhaupt auf die Idee, ausgerechnet mit Post-its zu arbeiten?
Erklärungen zu Post-it-Paintings.
Ardan: Das war wirklich eine Zufallsentdeckung. Schon in den Anfängen meines Studiums hatte ich das Medium des Siebdrucks für mich entdeckt. Dieses Übereinanderschichten verschiedenster Motive und Farben fand ich großartig. Doch wollte ich darüber hinaus auch immer eine Dreidimensionalität kreieren. Ich habe wirklich mit jedem Material experimentiert, bevor ich eines Tages ein Paket Post-its in der Werkstatt entdeckte. Damit beklebte ich dann komplett eine Leinwand, bemalte, belichtete und bedruckte sie. Es war spät und ich musste aufhören. Am nächsten Morgen traute ich meinen Augen nicht. Die vormals flachen Zettelchen hatten sich eingerollt und eine fantastische Struktur entwickelt. Ich lief völlig aufgedreht zu meinem Professor und rief: Schau mal, was ich erfunden habe. Er schüttelte lachend den Kopf und sagte: Dann mach mal weiter.
Ardan in ihrer Siebdruckwerkstatt.
E.B.: Und das hast du offensichtlich unbeirrt getan und eine neue Form von Relief entwickelt. Was so spielerisch und harmlos daherkommt, enthält bei näherem Hinschauen oft auch kritische Botschaften. Vor allem in deinen Neon-Arbeiten. Ich denke da gerade an den alten Mercedes, der in der Skulpturenausstellung der Messe präsentiert wird und das übermäßig männliche Gehabe humorvoll karikiert.
Babam Sağolsun (2017).
Ardan: Stimmt. Die Kritik richtet sich in diesem Fall an die Erziehung in diesem Land, die nach wie vor auf patriarchalischen Ideologien basiert und dieses Gehabe hervorruft. Sinnbildlich dafür ist der Spruch Babam Sağolsun [Dank an meinen Vater], der immer wieder theatralische Anwendung findet. Weil unsere Männer es unglaublich cool finden auf die Rückseite ihres Autos kernige Sprüche zu kleben und on top der Mercedes – egal in welchem Zustand – als absolutes Statussymbol gilt, kam ich auf die Idee, den Spruch mit mädchenhafter, pinker Neonschrift auf dem abgehalfterten Mercedes anzubringen und darüber hinaus das Logo ebenfalls in Pink nachzuzeichnen.
Apropos mädchenhaft. Nach einem Blick auf die Uhr kommt plötzliche Hektik auf: Oh je! Ich muss mich umziehen. Die Buchpräsentation! Warte kurz, ich bin gleich wieder da. Und schon flitzt sie los, um nach wenigen Minuten in perfektem Styling, wie immer strahlend, mit der rhetorischen Frage vor mir zu stehen: Hach. Alles wunderbar, oder?
Links: Alles wunderbar (2021), rechts oben: Ja (2021).
Ja! Sie hat absolut Recht. Was für ein Wahnsinnstag!
Schaut euch unbedingt ihre Ausstellung an! (Noch bis 13. November in der Galerie Anna Laudel, Düsseldorf)
Weitere Informationen
Website der Künstlerin: https://www.ardanozmenoglu.com
Zur Ausstellung „Alles wunderbar“ Anna Laudel Gallery_Ausstellung