Text: Dr. Elke Backes, Fotos: Carsten Sander
Atelierbesuch im November 2024
Ihre Kunst ist vielschichtig. Und das ist bei Katrin Kampmann wörtlich zu verstehen. Ob in ihrer farbgewaltigen, expressiven Malerei, ihren Installationen, den geheimnisvoll anmutenden Papierarbeiten oder ihrem aktuellen Stop-Motion-Film, der über ihren Dialog mit Benno Fürmann erstmals auch Sprache als neue Ebene hinzufügt – immer ist es eine Vielzahl übereinander gelagerter Erzählungen, die zum sukzessiven Eintauchen einladen.
Links: Alpirismus I, 2021; oben: Jahr ohne Sommer, 2020; unten: Cyborg Baby, 2022
Was genau wird erzählt? Und wie viel Katrin Kampmann steckt in ihren Arbeiten? Mit diesen Fragen mache ich mich auf den Weg in den Prenzlauer Berg.
Vorab sei erwähnt, dass wir uns auf dem Kunstfestival sommer.frische.kunst. in Bad Gastein kennengelernt haben. Inmitten der imposanten Bergkulisse haben wir die dort präsentierte Kunst bestaunt, sind gemeinsam gewandert, haben über das Leben philosophiert und es auch gefeiert. Mit diesen Erinnerungen habe ich deshalb schon eine gewisse Ahnung, an welchen Stellen sich ihre Persönlichkeit in ihren Arbeiten wiederfinden könnte. Doch was das gewaltige Themenspektrum ihrer Erzählungen angeht, so tappe ich noch im Dunkeln.
Ihr Atelier löst unmittelbar gute Laune aus: Eine Auswahl ihrer großformatigen Gemälde bespielt die Wandflächen, Papierarbeiten überlagern den über und über mit knallbunter Farbe besprenkelten Boden, dazwischen Farbtuben und Pinsel aller Couleur … Hier ist also ihr kleines Paralleluniversum. Mit einem Begrüßungsgetränk steigen wir auch sofort in genau jenes Universum ein.
Atelierimpressionen
Die Gemälde lassen collagierte Kompositionen aus Abstraktion und Figuration erkennen: Deckende Farbflächen in Acryl und Öl vermischen sich mit weichen, durchschimmernden Aquarellräumen. Grafische Strukturen und Formen fügen sich mittels Drucktechnik, tintenklecksähnlich, zusammen und werden mit figurativen Elementen wie Mensch, Tier, Pflanze oder Berg kombiniert. Je länger ich darauf schaue, desto mehr entdecke ich, und desto tiefer steige ich in die dreidimensionale Wirkkraft der Arbeiten ein. Die Motive haben etwas Paradiesisches. Mensch und Natur also als Überthema?
Im Gespräch über die Malerei
Wie passen dazu dann die Papierarbeiten? Es sind überwiegend Porträts rätselhafter Zwitterwesen, oft dekonstruiert und überlagert mit technoiden oder organischen Inhalten. Sie erinnern mich an gemalte Filmplakate vergangener Zeiten im Genre des Science-Fictions oder Gruselfilms. Spätestens jetzt ist klar: Es ist an der Zeit, Fragen zu stellen.
Beispiele von Papierarbeiten
E.B.: Was inspiriert dich zu diesen Arbeiten und wie fügen sie sich inhaltlich mit deinen Gemälden zusammen?
Katrin: Die große Klammer ist zunächst einmal, dass ich fantastische Geschichten liebe: Geschichten über künstliche, vom Menschen geschaffene Wesen, die ungewollt ein Eigenleben entwickeln und zum Schreckensmonster mutieren, finde ich superspannend. Ich weiß gar nicht, wie oft ich Frankenstein gelesen oder auch die Verfilmungen gesehen habe … [lacht breit]. Diese Umkehr von der Utopie in die Dystopie, die im Zusammenhang mit der technischen Entwicklung in immer neuen Geschichten erzählt wird, fasziniert mich. Diese Faszination betrifft aber auch andere Themen, die mir in der Literatur und natürlich auch in der Kunst begegnen, und die auch letztlich meine jeweiligen Werkserien bestimmen. Alles in allem ist es immer dieser subjektive Blick auf die sich verändernde Welt, gepaart mit den großen Lebensfragen und Sehnsüchten, der mich besonders interessiert.
E.B.: Das erklärt den Ausdruck deiner Figuren. In den Porträts wirken sie auf dem reduzierten Hintergrund oft verloren, introvertiert und leise; in den farbgewaltigen Gemälden eher extrovertiert und laut – wie eingetaucht in paradiesische Sehnsuchtsorte.
Ist das ein Mix, der auch dich ausmacht? Was hat dich überhaupt zur Malerei geführt?
Katrin: Vorab sei verraten, ich war ein wildes Kind und bin meiner Familie damit ziemlich auf den Geist gegangen [lacht]. Meine Mutter hat als Beruhigungsmittel die Idee entwickelt, mich mit reichlich Zeitungspapierrollen einzudecken, auf die ich malen konnte. Und das hab ich stundenlang gemacht. Wir sind viel umgezogen, haben auch in Paris gelebt. Fremdes Land, fremde Sprache, fremde Kinder. Die Kunst war mein sicherer Ort, in den ich mich zurückziehen konnte. Beim Malen hab ich immer Kassetten gehört, heute sind es Podcasts und Hörbücher, in denen ich versinke. Also eigentlich hat sich nichts geändert…
Katrin Kampmann
E.B.: Hast du denn auch eigene Geschichten geschrieben und hat dich das möglicherweise dazu motiviert, auch den Dialog zu deinem Stop-Motion-Film Der Kuss zu schreiben?
Katrin: Ja, habe ich. Wobei die Entscheidung, den Text dazu selbst zu schreiben, und darüber hinaus den weiblichen Part selbst zu sprechen, sich aus einem anderen Wunsch entwickelt hat. Ich wollte mich in einer Arbeit auch einmal unmittelbar und performativ einbringen. In der Malerei ist ja immer das Medium zwischengeschaltet.
Weißt du was, bevor ich weiterrede, schauen wir uns den Film einfach mal zusammen an.
Beim Betrachten von Der Kuss
Gesagt, getan. Das Atelier verwandelt sich kurzerhand in einen privaten Kinosaal. Die neun Minuten vergehen wie im Flug. Ich schaue gebannt auf die daumenkinoähnliche Abfolge der digitalisierten Aquarellzeichnungen des sich inniglich küssenden Paares; erkenne in der weiblichen Silhouette ganz klar Katrin als Selbstbildnis und lausche gebannt dem ungewöhnlichen Dialog. Ihre Stimme ist ebenso eindringlich wie die von Benno Fürmann. Die beiden harmonieren perfekt. Es ist ein Dialog der Emotionen: gleichsam poetisch wie erotisch, voller Genuss des Hier und Jetzt, aber auch voller Sehnsucht.
Hier ein Auszug:
„Kann ich endlich bei dir ankommen?
Ich wünsch mir ein Zuhause. Solange du mich in den Armen hältst, habe ich keine Angst vor diesem ‚Für immer‘.
Bist du der Traum, in dem ich leben kann? Ich will nicht aufwachen!“
Einen ersten Eindruck von Der Kuss vermittelt der Trailer. Schaut unbedingt einmal hinein.
Noch ein wenig benommen, denke ich über meine Eingangsfragen nach. Wieviel Katrin Kampmann steckt in ihrer Kunst? Ganz klar: Sehr viel. In ihrem Gesamtwerk spiegelt sich erkennbar ihr subjektiver Blick auf die sich verändernde Welt.
Und was genau wird erzählt?
In ihren märchenhaften Paradieswelten erzählt sie, neben ihren eigenen Geschichten, auch jene von ihren Forschungsreisen in die Psyche unseres kulturellen Daseins. Das erklärt, warum in ihren Bildern immer Elemente zu finden sind, die unser kollektives Gedächtnis ansprechen, aber auch unsere ganz persönlichen Erfahrungsschätze.
Vermutlich ist es genau diese Kombination, die dazu einlädt, auf Entdeckungsreise zu gehen, zu träumen und die Alltagsrealität in einer Zeit rasanter gesellschaftlicher Umbrüche einfach mal vergessen zu lassen. Ist es vielleicht eine Neuinterpretation der Romantik? Eine Art Romantik 2.0?
Lasst euch verführen und macht euch selbst ein Bild! Die nächste Ausstellung ist in Planung. Stay tuned!
Weitere Informationen
Website: http://www.katrinkampmann.com
Vita: http://www.katrinkampmann.com/biographie
Ausstellungen: http://www.katrinkampmann.com/ausstellungen
Instagram: https://www.instagram.com/kat_kampmann/