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Fotos: Natascha Romboy
Mal ehrlich, wer kennt nicht dieses Gefühl zwischen Anziehung und Abstoßung beim Betrachten einer Kunstperformance? Dieses Unwohlsein, Voyeur einer intimen Handlung zu sein, die darüber hinaus oft irritierende, nicht zu beantwortende Fragen in einem selbst auslöst. Noch dazu begleitet von der aufflammenden Panik, womöglich zur Mitwirkung aufgefordert zu werden. Vor Publikum! Wie peinlich.
Zur Vermeidung dieses Störgefühls kann eigentlich nur die Aneignung von Hintergrundwissen helfen. Oder die Überwindung, einfach einmal mitzumachen. Beides geschehen während meines Atelierbesuchs bei der Multimedia-Künstlerin Evamaria Schaller in Brühl.
Das Atelierhaus, ein ehemaliger Bahnhof, ist wie sie selbst – eine liebenswerte Mischung aus Ordnung und kreativem Chaos.
„Entschuldige bitte den modrigen Geruch. Ein Überbleibsel der Flutkatastrophe, die sich leider auch in unserem Keller und somit in meinem Foto-Atelier ausgebreitet hat. Es sieht zwar wieder einigermaßen aus, aber der Geruch macht mich echt wahnsinnig“, erklärt Evamaria Schaller, während ich einen Blick auf den Ort des Geschehens werfen darf. In einer Ecke des Studios entdecke ich die Hörner, die als wesentliches Requisit ihre Fotoarbeiten der Ausstellung Kein Bock, du Sünder! in der Galerie Martinetz in Köln bestimmt haben.
Böcklein, Böcklein an der Wand, 2021; Es ist der Hirsch durch Nacht und Wind …, 2021.
„Schön, dass es die Hörner wenigstens nicht erwischt hat“, so mein Kommentar beim Anblick des ansonsten kargen Rauminhalts.
„Wohl wahr. Viel konnte ich nicht retten. Lass uns lieber oben weiterreden und einen Kaffee trinken. Dort ist es gemütlicher“, so Evamaria Schaller.
Wir wechseln in ihr Homeoffice. Eine plüschige Sofa-Ecke, Zimmerpflanzen wohin das Auge sieht und ein Schreibtisch, belagert mit von Büchern und Festplatten umringtem technischem Equipment, bilden den Gegenpol zum vorherigen Raum.
„Für meine kreative technische Arbeit brauche ich genau diese ruhige, fast spießige Atmosphäre“, erzählt sie lachend, begleitet von ihrem unnachahmlichen Jauchzer, der so stimmungsvoll ihren charmanten österreichischen Akzent unterstreicht.
Einblicke ins Homeoffice.
Geboren in Graz, bezeichnet sich die Künstlerin heute als Auslandsösterreicherin, die sich nach ihren Studien in Graz, Salzburg, Prag und Köln im Rheinland sozialisiert hat.
Über ihre ortsspezifischen Projekte, die oft in kollektiven Settings ausgeführt werden, kommt sie aber nach wie vor viel herum. So war sie unter anderem in China, in der Türkei, auf den Philippinen oder in Marokko unterwegs.
Kollektives Arbeiten ist auch Teil ihrer Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Düsseldorf. Ganz frisch lehrt sie dort im Orientierungsbereich Performative Praxis. Eine Gelegenheit in die Thematik einzusteigen: „Du bewegst dich zwischen Performance Art, Film, Fotografie und Installation. Was reizt dich besonders am Medium der Performance? Und wie lässt es sich vermitteln?“
Mich reizt die Idee, das Denken am Objekt und am eigenen Körper zu erweitern und hiermit neue Welten und Erfahrungen zu schaffen.
Evamaria erklärt performative Übungen anhand von Beispielen.
Evamaria: Vermitteln lässt es sich am besten über das praktische Tun, welches mit einer Fragestellung verbunden wird. Hier [zeigt Bilder auf ihrem Laptop] hatte ich beispielsweise den TeilnehmerInnen eines Zoom-Workshops die Aufgabe gestellt, dass jeder mit einem roten Gegenstand im Selfi-Modus vor dem Bildschirm experimentieren und hierbei die Veränderung der eigenen Wahrnehmung reflektieren sollte.
Während meiner Performance mit den Hörnern habe ich beispielsweise die Objekte wie eine Erweiterung meines Körpers wahrgenommen, die Männlichkeitssymbolik dahinter und auch die Schwere und Struktur des Materials. Solcherart Transformationsmomente finde ich wahnsinnig spannend. Wenn ich nicht mehr ich bin, sondern nur noch das Trägermedium für Objekte oder eine Bewegung, das diese Handlung ausführt.
Es ist wie eine Anonymisierung des Körpers, der durch Maskerade ein Synonym entwickelt.
O.l. und u.r.: Motive aus Becoming Native, 2019; o.r.: EVWA – Equality for women in visual arts, Keine 7 Zwerge, 2019 (Plakat): u.l. Becoming Native Performance, Foto Andreas Gehlen. 2019.
E.B.: Und damit eine gezielte Aussage oder Botschaft transportiert?
Evamaria: Nein. Genau das Gegenteil. Mir geht es darum handelnde Bilder zu schaffen, die eigene, mit bestimmten Bildern verbundene Erfahrungen auflösen und zu einer Neubetrachtung anregen. Ich möchte also eher Fragen aufwerfen als Antworten liefern und mit den Bildern darüber hinaus – das betrifft auch meine Fotografie – neue Formen kreieren.
E.B.: Handelnde Bilder schaffst du ja auch im Film. Was macht den Unterschied aus?
Evamaria: Ein Film entsteht durch Montage, den Schnitt, also das, was ich als Handlung bestimme. Performance ist live. Ein flüchtiges, zeitlich vorübergehendes Medium, das durch das Zusammenspiel unvorhersehbarer Momente entsteht. Ein Prozess in Bewegung, der einander näherbringt und deshalb sehr energiegeladen ist. Ich kann einen richtigen Flow spüren, wenn alle auf einer Welle sind. Ebenso natürlich auch, wenn der Funke nicht überspringt. Die Möglichkeit des Scheiterns ist immer gegeben, macht die Sache aber umso spannender.
Weißt du was: Wir gehen jetzt einfach mal raus in den Garten und probieren etwas zusammen aus. Die Praxis ist wie gesagt immer viel besser als die Theorie [reibt sich voller Vorfreude die Hände und jauchzt]. Ich hole schnell ein paar Objekte. Bin gleich wieder da.
Performative Übungen im Selbstversuch
Beladen mit den beiden Hörnern und einer Kiste Gummis geht es also raus. Es wird ernst. Die erste Aufgabe besteht darin, das überraschend schwere Horn derart zu packen, dass die flache Schnittfläche auf meiner Hand aufliegt und so eine Verbindung zum Material geschaffen wird. Dann heißt es, mich auf ihre Bewegungen einzulassen und auf irgendeine Weise zu reagieren. Nach anfänglicher, kurzer Blockade funktioniert’s. Die Hörner werden als Mittel zum Angriff oder auch zartem Spiel spürbar. Ein seltsames Gefühl.
Stills aus „Performance-Übung 1“.
Die nächste Herausforderung besteht in der Aufgabe, uns gegenseitig Gummis über das Gesicht zu ziehen. Sehr vorsichtig wird mir das erste quer über den Kopf gespannt, bevor ich an der Reihe bin. Konzentriert und langsam – man möchte den anderen ja nicht verletzen – deformieren wir Gummi für Gummi das Gesicht der jeweils anderen. Wie war das noch mit dem Transformationsmoment, der erspüren lässt, dass man nur noch Trägermedium für Objekte oder eine Bewegung ist? Jetzt weiß ich, was sie eben gemeint hat. Das Tun funktioniert. Unser Anblick auf dem Display der Kamera löst, bei aller Ernsthaftigkeit, dann doch erst einmal größtes Gelächter aus.
Videozusammenschnitt [1 Minute] aus „Performance-Übung 2“
Themenentwicklung am Beispiel SCHEIBTRUCHNAN (Graz)
Wir gehen wieder hinein. Über meine Frage, wie sich denn ihre Themen entwickeln, kommen wir auf ihre gerade stattgefundene Performance SCHEIBTRUCHNAN in Graz zu sprechen.
Evamaria: Die Themen entwickeln sich fast immer ortsbezogen. Der Performance in Graz ging eine Einladung der Steirischen Kulturinitiative voraus. Die Anfrage lautete, ein nonkonformistisches Konzept für den öffentlichen Raum zu entwickeln. Über die Frage nach der Veränderung der Bildhaftigkeit einer Stadt habe ich mittels des Einsatzes von zehn Scheibtruhen [Schubkarren] eine mobile Stadt-Störung generiert. Ich zeige dir ein paar Ausschnitte der Videoaufzeichnungen auf dem Bildschirm. Dann lässt es sich besser nachvollziehen.
Gemeinsamer Blick in die Videoaufzeichnungen der Performance SCHEIBTRUCHNAN.
Evamaria: Weil ich die Stadt gut kenne, war ich mir ihrer Struktur im Anblick aus der Vogelperspektive sehr bewusst. Dieses Gerasterte des Bodens, verbunden mit der organischen Anordnung der Häuser, bildete für mich den visuellen Rahmen für die Idee-Entwicklung. Deshalb war auch sofort klar, dass die Aufzeichnung via Drohne durchgeführt werden muss. Scheibtruhen einzusetzen kam mir aufgrund ihrer Eigenschaft und Form in den Sinn. Ein überwiegend im ländlichen Bereich eingesetztes Arbeitsmaterial durch die engen Gassen des Stadtraums zu bewegen, und hiermit einer Demonstration ähnlich die Routine des öffentlichen Lebens zu stören, erschien mir ebenso reizvoll, wie die Vorstellung eine mobile Skulptur zu schaffen, die nur durch ein gemeinsames Miteinander entstehen kann. Dass die Leute mit einer solchen Spielfreude mitwirken würden, hatte ich nicht erwartet. Es hat wirklich einen wahnsinnigen Spaß gemacht und super funktioniert. Auf den Bildern sieht es jetzt aus wie eine wurmartige Bewegungsskulptur. Cool! Sehe sie selbst gerade zum ersten Mal. Sind noch ganz frisch.
Stills aus Performance SCHEIBTRUCHNAN in Graz, Film: ©Phongjim.
E.B.: Dienen die Bilder nur der Dokumentation oder wird daraus eine eigene künstlerische Arbeit?
Evamaria: Die Performance sollte live und als Dokumentation funktionieren und es war klar, dass danach daraus auch eine Videoarbeit entsteht. Deshalb auch der aufwändige Dreh, bei dem die Kameraleute aber immer diskret im Hintergrund blieben, um dem realen Publikum das Hier und Jetzt zu ermöglichen.
E.B.: Das Ganze wirkt insgesamt aber auch sehr humorvoll. Das ist bei dir immer erlaubt, oder?
Evamaria: Ich glaube, das habe ich einfach in mir [lacht]. Auch wenn die Performances sehr ernst und hart sein können, mag ich diese Leichtigkeit dazwischen. Ein Twist, der vielleicht durch meine Persönlichkeit entsteht.
Noch eh ich mich versehe, werde ich inniglich umarmt, gefolgt von einem: „Ist das schön, dass man sich wieder berühren darf. Das hat mir sooo gefehlt!“
Mein Fazit
Eines ist sicher: Ihre Art – diese Mischung aus Biss und Ernsthaftigkeit ihre Kunst betreffend, gepaart mit gewaltiger Lebensfreude – ist einfach mitreißend und hat mir den Zugang und den Einstieg in die Performance-Art leicht gemacht.
So wurde es mir tatsächlich möglich diese Transformationsmomente spüren zu können, die sich über den experimentellen Einsatz altbekannter Objekte am eigenen Körper entwickeln. Den Erkenntnisgewinn, dass aus handelnden Bildern auch formal außergewöhnliche Stills entstehen können, gab es on top.
Performance Art – einverleibt!
Weitere Informationen
… über die Künsterin: https://www.efeumaria.com
https://www.instagram.com/evamariaschaller/
… über die Galerie Martinetz: https://petramartinetz.de