Fotos: Natascha Romboy
Düsseldorf, 2020. Vier Jahre sind vergangen, seit ich Fynn Ribbeck das erste Mal in seinem Atelier in der Kunstakademie Düsseldorf besucht habe. Seitdem ist viel passiert. Auf dem letztjährigen Rundgang beeindruckte er mit zwei außergewöhnlichen Arbeiten die Professoren der Akademie, die zur Nominierung und Auszeichnung mit dem BEST Kunstförderpreis 2019/2020 führten und eine sensationelle Ausstellung nach sich zogen.
Zum Zeitpunkt unseres Treffens kombinierte er bereits seine bildhauerischen Kenntnisse mit denen des Films. Seine Experimente innerhalb des Mediums Film führten ihn zur Anwendung von 3D-Animationsprogrammen, mittels derer es ihm gelingt, Erzählstrukturen in seinen Kunstwerke lebendig werden zu lassen. Ein anschauliches Beispiel zeigt die in Stoff und Folie genähte Madonnenfigur, die als meine Ankaufsempfehlung diesem Text angefügt ist. Doch vorab ein Rückblick …
Kunstakademie Düsseldorf: Heute besuche ich Fynn Ribbeck, meine persönliche Entdeckung des diesjährigen Akademierundgangs. Seit 2016 ist er in der Klasse von Marcel Odenbach, zuvor studierte er zwei Jahre bei Rebecca Warren, Ende nächsten Jahres ist sein Abschluss geplant. Beim Rundgang war es eine Art Schrein, der meinen Blick in seinen Bann gezogen und nicht mehr losgelassen hatte. Den Künstler dieser ungewöhnlichen Skulptur wollte ich kennenlernen.
Wir sind um 18 Uhr verabredet. Fynn holt uns am Portal des imposanten Akademiegebäudes ab und führt uns zu seinem Atelierraum. Es ist mucksmäuschenstill. Während an den Tagen der jährlich stattfindenden Akademierundgänge hier jeder Winkel mit Kunst bespielt wird und überall dichtes Gedränge herrscht, sind die Wände und Flure heute kahl. Lediglich vereinzelte Leinwände, die vor den Türen abgestellt sind, unterbrechen das Bild der streng geometrischen Architektur.
Wir betreten Raum 112, den Fynn sich mit vier weiteren Studenten teilt. Was für Arbeitsbedingungen! Die Großzügigkeit des Raumes wird über die enorme Deckenhöhe noch betont. Das riesige, sprossenunterteilte Rundbogenfenster lässt Licht einströmen und auf Oberkassel ausblicken. Traumhaft. Fynns Arbeitsbereich erkenne ich sofort am Schrein, der am Fenster steht. Während mich bereits bei der ersten Betrachtung die Ästhetik dieser ungewöhnlichen Skulptur fasziniert hatte, ist es heute vor allem ihre erzählerische Komponente, die mich restlos begeistern wird. Doch der Reihe nach …
Zur Beschreibung: Die Form des Schreins erinnert an die Standuhr in Großmutters Wohnzimmer. Doch ist es hier vor allem das Material, das dem eher „altbackenen“ Design einen eleganten „Cleanchic“ verleiht. Die Oberflächenstruktur der schwarz durchgefärbten mitteldichten Holzfaserplatte (MDF) erscheint wie eine Kombination aus Holz und Neopren. Wo sonst das Ziffernblatt der Uhr säße, befindet sich ein beleuchtetes Kreuz, das filigrane Miniaturen in übereinander angeordneten, puppenstubenähnlichen Räumen beinhaltet. Zwei beschwerte Ankerketten, links und rechts unterhalb der Querbalken des Kreuzes, scheinen das Gebilde in den Abgrund zu ziehen. Am Fuße des Inneren liegt irgendetwas Undefinierbares. Ich frage nach. „Das ist die Grille in ihrem Grab“, erklärt Fynn mit ernster Miene. „Das Nachspiel meines Do-It-Yourself-Raumfahrtprogramms“, so die ergänzende Erklärung. Grille? Raumfahrt? Ich möchte mehr wissen. Einer kurzen bedeutungsschweren Pause folgt dann die wahnwitzige Story: „Zuerst habe ich ein U-Boot als Raumkapsel speziell für Grillen entworfen, mit jeglichem Komfort. Dann habe ich bei einem haarigen Reptilienmarkt-Händler eine Grillenpackung erworben und die edelste Grille der Packung ausgewählt. An Bord des U-Boots habe ich diese Grille dann in dem für sie vorgesehen Tank versenkt. Dort lebte sie einige Zeit, bis der Sauerstoff irgendwann knapp wurde und langsam Wasser in die Fähre eindrang. Daraufhin zog sie sich in den Keller zurück und starb. So wurden die Fähre und der Tank zum Grab der heldenhaften Grille, die jedoch durch ihr Opfer die größte Errungenschaft der Grillengeschichte vollbrachte. Und so wurde letztlich die Raumkapsel zum Schrein.“ So die Geschichte, die der Autor in der Intonation eines Märchenerzählers zum Besten gibt. Mir fehlen die Worte. Ich betrachte die Details genauer und erkenne nun deutlich die Ausstattung der Fähre sowie das Grab der heldenhaften Grille. Unglaublich!
Der “Schrein”
Ich schaue mich weiter im Atelier um. Ähnlich der Ästhetik des Schreins sehe ich einen Backofen und eine Waschmaschine, dazwischen auf einem Stuhl sitzend, eine lebensgroße Puppe. „Ich probiere gerade so ein bisschen herum für meinen Film, den ich drehen möchte. Einen schmalformatigen Horrorfilm … entsprechend mit aufregendem Synthie-Pop unterlegt“, erzählt Fynn lachend. „Backofen und Waschmaschine sind im Moment noch keine eigenständigen Werke. Ich habe sie hier einfach mal als Requisiten eingesetzt“, fügt er erklärend hinzu und drapiert dabei die kleinen Püppchen auf der Waschmaschine.
Wir sprechen über seinen bisherigen Werdegang. „War für dich schon frühzeitig klar, dass du Kunst studieren wolltest“, lautet meine Einstiegsfrage. „Nein. Ich bin eher aus Versehen in das Studium hereingerutscht. Ich habe zwar immer sehr gern gezeichnet und hatte auch Kunst als Hauptfach im Abi, doch die Idee, einfach mal aus Spaß eine Bewerbungsmappe bei der Akademie einzureichen, hatte sich über einen Malkurs entwickelt, den meine Eltern mir geschenkt hatten. Der Kurs, der von einem Grosse*-Schüler ausgerichtet worden war, war der Einstieg in die Akademie-Connection“, erläutert Fynn seinen Weg zum Kunststudium. „Haben deine Eltern dich demnach in deiner Entscheidung unterstützt“, frage ich ungläubig. „Bisher habe ich nur Künstler kennengelernt, die sich massiv gegen den Willen ihrer Eltern durchsetzen mussten“, füge ich hinzu. „Das erzählen unsere Professoren auch. Hier hat sich aber anscheinend ein massiver Wandel vollzogen. Die Eltern unserer Generation stehen meist vorbehaltlos hinter diesem Studium. Ich habe mir die Entscheidung eher selbst erschwert, weil ich mich parallel auch für Biochemie beworben hatte. Nachdem ich mir dann aber ein paar Vorlesungen angehört hatte, war ich recht schnell kuriert …“, erzählt Fynn und verzieht dabei das Gesicht. „Und wie kommt man von der Malerei zur Bildhauerei und dann auch noch zum Film“, frage ich. „Tja. Da gab es diese besondere Geschichte. ‚Seeeehr creepy!!‘“, beginnt er bedeutungsschwer. „Im Orientierungsjahr hatte ich mich zunächst noch völlig der Malerei verschrieben. Eines Abends – ich hatte meinen Arbeitsplatz perfekt für den nächsten Tag vorbereitet – brannte über Nacht eine Mülltonne mit zornigen Flammen und es rückten drei Löschzüge an. Am nächsten Morgen bot sich mir dann ein mehr als skurriles Bild: Alle Arbeitsplätze, mit einer Ausnahme, hatten das Feuer unversehrt überstanden. Und es war ausgerechnet mein Platz, den es erwischt hatte. Staffelei, Leinwand und Farben lagen buchstäblich in Schutt und Asche. Ich hatte kein Geld mehr, um mir neues Material kaufen zu können, wollte aber weiterarbeiten. Da entdeckte ich in einer Ecke ein paar Säcke Gips. Ja und so experimentierte ich dann mit Gips und entdeckte den Spaß an der Bildhauerei. Dieses läuternde Feuer ist natürlich perfekt als legitimationssteigernder Schicksalswink auszulegen,“ so Fynn augenzwinkernd.
Er erzählt von seinen weiteren Experimenten mit Gips und dem Übergang zum Werkstoff Holz. Holz bestimmte dann auch die Arbeit, mit der er sich nach Abschluss des Orientierungsjahres für eine bestimmte Klasse (Malerei, Bildhauerei, Medienkunst, etc.) bewerben musste. „Die Bewerbung ist normalerweise mit einem schrecklich, bürokratisch aufwändigen Prozedere verbunden. Ich hatte aber Glück. Bei der Präsentation meiner Arbeit nahm meine Wunschprofessorin mich einfach so an, ohne Bewerbung.“ Ich bin neugierig diese Arbeit zu sehen. „Hast du vielleicht ein Foto“, frage ich. Er zeigt mir ein Foto auf seinem Handy. Es ist eine Skulptur zu sehen, die sich aus der Hälfte eines Satteldaches mitsamt Unterkonstruktion entwickelt. Die an vielen Stellen gelösten Ziegel des Daches scheinen von einem Sturm beschädigt zu sein, darunter befindliches Styropor kämpft sich von innen nach außen. „Wolltest du hiermit etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen oder ist die Arbeit eher als eine rein bildhauerische Auseinandersetzung zu verstehen“, lautet meine Frage. „Zu diesem Zeitpunkt erschien sie mir noch wahnsinnig deep, ohne allerdings sagen zu können, warum. Im Rückblick löst sich leider jegliche Bedeutungsschwere in Nichts auf“, antwortet er lachend. „Die schwersten der Bedeutungen spenden dann doch eher meine Taschentuchspender.“ Geistige Tiefgründigkeit bei Taschentuchspendern?
Auch hier liegt eine bizarre Geschichte zugrunde. „Mit meinen Eltern war ich oft auf der Maas segeln. Dabei wunderte ich mich immer, wie die Schafe in der Schräge der Deiche ihre Balance halten konnten. Immer wieder stellte ich mir vor, dass doch zwischendurch mal eines ins Wasser fallen müsste und hatte dabei das Bild des toten, auf dem Rücken liegenden Schafes im Wasser vor Augen. Eines Tages habe ich dann ein solches imaginäres Schaf auf Pappe gezeichnet, es ausgeschnitten und modelliert. Anschließend habe ich einen quadratischen Kasten aus Holz gebaut, ihn oben oval eingeschnitten und in diesem Loch die Szene des toten Schafes im Wasser inszeniert. Es hatte etwas von einem Medaillon in einem Grabstein. Ja und das hatte dann plötzlich so etwas ungewollt Sentimentales. Ich fühlte mich peinlich ertappt, einer unterschwelligen Lust nach Nostalgie gefolgt zu sein. Es war ein Scham- und Schuldgefühl, das ich mit dem schlechten Gewissen nach einer Masturbation in Verbindung brachte. Dabei kam mir dann die Idee, die Skulptur durch einen Taschentuchspender in der Sockelzone zu ergänzen. Die Taschentücher selbst sind deshalb als Masturbationstücher sinnbildlich für Schuldgefühle, zu verstehen. Ebenso können sie natürlich ganz profan für die Tränen, die beim Anblick der traurigen Szene in die Augen treten, verwendet werden“, erläutert Fynn die Entwicklung des tiefgründigen Taschentuchspenders.
Der “‘Taschentuchspender”
Eigentlich logisch, dass jetzt ein Film folgen muss, denke ich. In der Produktion eines Filmes kann er seine gesamten Fähigkeiten miteinander verbinden: Drehbuch schreiben, Storyboard zeichnen und Requisiten bauen. Es braucht zusätzlich nur noch Schauspieler. Womit wir bei der skurrilen Puppe wären, die neben uns auf dem Stuhl sitzt. Die Hauptrollen in seinem Film spielen selbstverständlich nicht nur menschliche Wesen. Nein. Auch menschengroße Puppen. „Diese schwarze Horrorpuppe ist angelehnt an meinen damaligen, imaginären Kindergartenfreund, der die bösen Kinder verhauen hat. Das Wesen war also nur für die anderen Kinder gruselig“, erfahre ich. Die Puppe ist selbstgenäht! Das Nähen habe er sich alleine beigebracht, erzählt er stolz, währenddessen er die Puppe und insbesondere die Beweglichkeit der einzelnen Glieder vorführt. „Heute habe ich die fertige Puppe, in einem Müllsack eingeschnürt, in der Bahn von zu Hause hierhin transportiert. Das sah vielleicht aus!“ Er zeigt ein Beweisfoto auf seinem Handy. Erstaunlich, dass er nicht verhaftet wurde …
Er möge es einfach, die Leute ein bisschen an der Nase herumzuführen, verrät er nun. Deshalb umfasse sein Werk auch den manipulierten Nachbau von Gebrauchsobjekten, die uns üblicherweise im öffentlichen Raum begegneten wie beispielsweise Handfeuermelder oder Zeitungsautomaten. Diese platziere er dann gern in die Nähe der Originale. „Irgendwann habe ich hier in der Akademie drei nebeneinander angebrachte Handfeuermelder entdeckt. Einer war defekt, dem nächsten fehlte es am erforderlichen Prüfsiegel, der dritte war dann wohl der einzige Funktionierende. Daneben habe ich dann meinen Melder angebracht. Eine Zeitlang wurde dieser sogar geduldet. Irgendwann musste ich ihn dann aber leider entfernen“, erzählt Fynn schmunzelnd.
Bild 1: Zeitungsbox, Bild 2-3: Handfeuermelder
„Was sagen denn deine Professoren zu deinen Arbeiten“, interessiert mich nun das Fachurteil. „Grundsätzlich finden sie schon Gefallen daran. Aber darauf kommt es hier erst mal nicht an. Insbesondere Rebecca Warren legte Wert darauf, dass ich meine künstlerischen Ideen oder Entscheidungen formulieren und begründen lernte. Das war anfänglich sehr schwierig, weil mir hierfür schlichtweg die Sprache fehlte. Oft musste ich dann auch leider innerhalb dieser Selbstreflektion erkennen, dass einzelne Arbeiten, die ich vorher noch absolut super fand, sich als oberflächlich entpuppten. Kein angenehmes Erlebnis … Aber ein wollüstiges Bad an Komplimenten bringt einen eben nicht weiter“, so die weise Antwort Fynns, natürlich wieder begleitet von einem verschmitzten Lächeln.
Mir wird bewusst, dass hier Unbeschwertheit und ein hoher Anspruch an das eigene künstlerische Werk dicht beieinanderliegen. Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Ernsthaftigkeit, Humor und Selbstironie, die sich in den Arbeiten Fynn Ribbecks spiegelt und die bereits im frühen Stadium seiner künstlerischen Laufbahn in unterschiedlichsten Medien eine eigene Ästhetik erkennen lässt. Die Art und Weise, wie er Geschichten um haarige Reptilienhändler, Schafen in Schräglage oder Handfeuermeldern eine künstlerische Form verleiht, macht Spaß und mehr als neugierig auf das, was noch kommen mag … Ich bin gespannt!
*Katharina Grosse ist Professorin für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf.
Weitere Informationen
Biografie von Fynn Ribbeck:
1995 geboren in Lennep
2013 Abitur in Remscheid-Lennep
2013 Beginn des Studiums FREIE KUNST an der Düsseldorfer Kunstakademie
2014–2016 Klasse Rebecca Warren
2016–2017 Klasse Marcel Odenbach
seit 2017 Klasse Dominique Gonzales-Foerster