Atelierfotos: Natascha Romboy
Düsseldorf-Unterbilk. Auch wenn seine derzeitig durch die Decke schießenden fotokünstlerisch geschaffenen Hidden Portraits es vielleicht nicht auf den ersten Blick vermuten lassen, Volker Hermes ist Maler. Ursprünglich waren seine sehr speziellen Portraits nicht als eigenständige Werkserie, sondern lediglich als Studien zur Geschichte der Malerei geplant. Ebenso schätzte der Künstler Instagram bis Juli 2020 als ein für ihn ungeeignetes Medium für die Präsentation seiner Kunst ein. Doch dann kam alles überraschend anders …
Einer Berichterstattung im Mai dieses Jahres in der italienischen Vogue folgten Interviewanfragen aus Moskau, London, Chile, Südafrika, Polen, Belgien und Brasilien sowie Features von Hochkarätern aus der Modeszene, wie beispielsweise Allessandro Michele (Chefdesginer von Gucci) und Lotta Volkova (eine der derzeit gefragtesten Stylistinnen der Welt) oder dem Opernregisseur, Designer und Kostümbildner Patrick Kinmonth.
Gleichzeitig wurden bedeutende Kunstinstitutionen auf ihn aufmerksam. Seit Oktober werden seine Werke im italienischen Pavia im Castello Visconteo – Musei Civici präsentiert, Christie’s in New York wählte ihn als diesjährigen künstlerischen Partner für ihre Classic Week, unter seinen mittlerweile zwanzigtausend Instagram Followern finden sich Kuratoren der bedeutendsten Museen der Welt, wie beispielsweise des MoMA.
Auszüge aus der Website von Christie’s
Installationsansichten in Pavia im Castello Visconteo – Musei Civici
Was ist passiert? Warum treffen seine Arbeiten, an denen er bereits seit zehn Jahren arbeitet, plötzlich derart den Nerv der Zeit?
Beispiele verschiedener Hidden Portraits
Wir sind in seinem Atelier verabredet, das sich in einer Lagerhalle in Düsseldorf-Unterbilk, hinter einer Möbelwerkstatt befindet. Die Farbspuren auf dem Boden, die auf einem Hochregal aneinander gereihten Leinwände und die Ansammlung diverser Farbtuben machen deutlich, dass es sich hier um ein Maleratelier handelt. Doch deutet die insgesamt untypische Ordnung darauf hin, dass in diesem Raum gerade nicht gemalt wird. Den Mittelpunkt des aktuellen Geschehens bildet vermutlich der Computerarbeitsplatz.
Atelieransichten
Dass Volker Hermes hier viel Zeit verbringt, lässt die Sofaecke erahnen. Eingerahmt von Sessel, Beistelltisch und Tischlampe, Zimmerpflanzen und den Gemälden an den Wänden strahlt das Gesamtarrangement Wohnzimmer-Atmosphäre aus. Kaffee und Gebäck stehen bereit. In dieser gemütlichen Atmosphäre starten wir unser Gespräch.
E.B.: Der Zeitpunkt des plötzlichen medialen Interesses an deinen Hidden Portraits lässt vermuten, dass diese als künstlerische Kommentare zur Pandemie und ihrer vieldiskutierten Maskenpflicht wahrgenommen werden. Es ist kaum zu glauben, dass du schon seit zehn Jahren daran arbeitest. Was war der ursprüngliche Anlass?
Volker Hermes: Die klassische Portraitmalerei – vor allem ihre Hintergründe – interessierte mich immer schon besonders. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Malerei ist für mich als Maler grundsätzlich wichtig. Innerhalb dieses Genres galt es für mich, irgendwann konkreten Fragen auf den Grund zu gehen, wie beispielsweise: Warum und in welchem gesellschaftlichen Rahmen wurden diese Portraits in Auftrag gegeben, wie sind die Gemälde komponiert oder was wurde malerisch versucht um Realität abzubilden?
Während der Kunsthistoriker seine wissenschaftlichen Ergebnisse niederschreibt und aus zeitgenössischer Sicht hierzu Position bezieht, sucht der Künstler nach künstlerischen Interpretationsformen. Da wir in einer völlig anderen Zeit leben und entsprechend völlig andere Menschen mit einem anderen mind-set sind, machte es für mich überhaupt keinen Sinn die Bilder neu oder in einem historischen Stil zu malen. Es war deshalb klar, dass eine Neubewertung oder neue Einordnung dieser Gemälde nur über eine digitale Bildbearbeitung möglich werden könnte. Neben meinen Studien in Gemäldegalerien kam ich deshalb irgendwann auf die Idee, mich intensiv mit den hochauflösenden Dateien zu beschäftigen, die mittlerweile sehr viele Museen online zur Verfügung stellen. So beispielsweise das Rijksmuseum in Amsterdam, das darüber hinaus auch die Möglichkeit bietet, die neuen Interpretationen der Werke dort hochladen zu können, was ich dann 2015 auch gemacht habe. Bis März dieses Jahres blieb dies unbemerkt.
E.B.: Warum hast du die Gesichter verhüllt?
Volker Hermes: Mir ist aufgefallen, dass unser Zugang zu diesen Portraits im Allgemeinen sehr begrenzt ist. Wir gehen durch ein Museum und unterscheiden nicht zwischen Ganzfigur oder Kopfbild und wissen beispielsweise sehr wenig über historische Kleidung. Wir schauen den Personen in erster Linie ins Gesicht und versuchen, deren Charakterzüge darin zu lesen. Hierbei übersehen wir die vielen Codes, die in einem solchen Gemälde enthalten und bewusst platziert sind. Die Verhüllung des Gesichts und hiermit der Individualität ermöglichen mir eine Fokusverschiebung unserer Wahrnehmung.
E.B.: Wichtig zu erwähnen ist die Art und Weise, wie du die Gesichter verhüllst. Im Gegensatz zu Photoshop-Collagisten arbeitest du grundsätzlich nur mit Elementen, die bereits im Bild vorhanden sind. Warum?
Links: Volker Hermes: Hidden Beaubrun, (2020); rechts: Alla Mingalëva: o.T., (2020)
Volker Hermes: Zum einen möchte ich in keinster Weise diese grandiosen Arbeiten zerstören. Zum anderen möchte ich ein möglichst glaubhaftes Verhüllungskonzept schaffen. Deshalb muss alles im System bleiben. Ich achte genau auf die Eigenheiten der Maler, Pinselführung, Komposition, so dass das dann eine tatsächlich denkbare Abwandlung des Originals ergibt. Immer im Respekt vor der Leistung der historischen Künstler.
E.B.: Der Begriff Verhüllungskonzept deutet darauf hin, dass einer jeden Verhüllung konkrete Ideen zugrunde liegen. Was möchtest du beispielsweise zum Ausdruck bringen, wenn du diesem Herrn die Perücke über das Gesicht ziehst [s. Abb.]? Nebenbei bemerkt: Extrem humorvoll!
Links: Originalgemälde von François Leydecker (1650–1718); rechts: Fotocollage von Volker Hermes: Hidden Leydecker, (2017)
Volker Hermes [lacht]: Ja. Ich habe auch immer wieder Spaß an den Arbeiten.
In diesem Fall spiele ich zunächst einmal auf etwas sehr Wesentliches innerhalb der historischen Portraitmalerei an: Es handelte sich in den meisten Fällen um Machtportraits und nicht etwa um Erinnerungsbilder. Es waren Auftragsarbeiten, die sich nur der höchste gesellschaftliche Stand leisten konnte. Und genau das hatte der Künstler im Gemälde über Attribute, wie in diesem Fall beispielsweise der Perücke zum Ausdruck zu bringen. Ihr Tragen war nur einer bestimmten Schicht vorbehalten, weshalb sie seinerzeit als Machtsymbol galt. Wenn ich also die Perücke zur Verhüllung nutze, verweise ich auf den gesellschaftlichen Rahmen, in dem dieses Gemälde entstanden ist. Gleichzeitig lenke ich über die Verhüllung den Blick auf die selbstgewisse Pose einer demonstrativen männlichen Stärke. Mit der Perücke über dem Gesicht wirkt die Pose plötzlich lächerlich und übersteigert aufgesetzt. Sie wird als eine Verhaltensweise entblößt, die ein schablonenhaftes Bild vom Mann-Sein vorgibt und heute so schön als toxische Männlichkeit bezeichnet wird.
Oder um ein weibliches Beispiel aufzuführen: Diese Rokoko-Dame [s. Abb.] habe ich mit Bändern verhüllt, um den Blick auf ihre eingeschnürte Taille und ihr überdekoriertes Kleid zu lenken. Frauen einer herausgehobenen Gesellschaftsschicht hatten sich damals einem Schönheitsideal entsprechend zu zeigen, die selbstbestimmte Wahl ihres Ehemanns stand ihnen meistens auch nicht zu. Wenn man so will, lässt sich dieses Kleid also als ein Symbol von Unterwerfung lesen. Um dieses Rollenbild von Herrschaft und Unterwerfung in unsere heutige Zeit zu übertragen, habe ich die Bänder in einer Art und Weise um ihr Gesicht und ihren Hals gewickelt, dass diese Methode unmittelbar mit Bondage assoziiert wird. Letztlich sind es immer zeitgenössische Themen, die ich über die jeweiligen Verhüllungen in ein historisches Gemälde einfließen lasse.
Links: Jean-Etienne Liotard: Wilhelmina Hillegonda Schuyt (1757); rechts: Volker Hermes: Hidden Liotard (2020)
.B.: Mit der Maskierung als solcher triffst du das derzeit weltweit wohl am meisten diskutierte Thema schlechthin. Über die Verhüllungen nimmst du den portraitierten Personen ihre Individualität. Auch uns wird gerade beim Tragen der Maske durch die Verhüllung unserer Mimik sehr viel von unserer Individualität genommen. Unsere Wahrnehmungsmuster und unsere Kommunikation werden spürbar gestört. Mit deinen Arbeiten stößt du also ein unangenehmes Thema an. Worin erklärst du dir das extrem positive Feedback, das hierzu doch eigentlich im Widerspruch steht?
Volker Hermes: Ich denke, dass die Brücke zum Historischen und natürlich auch der humorvolle Umgang mit den Bildern die Schärfe aus einer aktuell beängstigenden Situation nimmt. Der Betrachter denkt zunächst vielleicht eher an eine verunglückte Maskerade für einen Kostümball, als dass er sich an die durch die Maskenpflicht bedingten Einschränkungen der eigenen Individualität erinnert fühlt. Die Verbindung entwickelt sich oft erst auf den zweiten Blick. Besonders in Amerika wurden meine Arbeiten oft als Aufruf für das Tragen einer Maske genutzt, weil meine Arbeiten offensichtlich weder aggressiv noch politisch motiviert sind, was mich sehr gefreut hat.
E.B.: Unglaublich, dass der gesamte Erfolg über das Medium Instagram in Gang gesetzt wurde. Wird darin vielleicht auch ein zeitgenössischer Blick auf den Kunstmarkt oder besser gesagt eine Verschiebung in der Freiheit der Kunst sichtbar?
Volker Hermes: Ich denke schon, auch wenn mir dieser Aspekt lange nicht bewusst war und ich das auch nicht von langer Hand geplant habe. Im Gegenteil. Ich hatte mich sogar lange Zeit gegen die Nutzung von Social Media gewehrt. Doch haben mich Freunde ausdauernd überredet, so dass ich mich irgendwann ergeben habe [lacht]. Was mir an diesem Medium besonders gut gefällt, sind die vielen persönlichen Kommentare, die mich erreichen und die mich ansonsten niemals hätten erreichen können. Es steht halt nicht der organisierte Kunstbetrieb dahinter, was alles viel direkter macht. Der Auftritt auf Social-Media-Kanälen eröffnet eine ganz neue Freiheit für Künstler, ohne Einflussnahme von vielen Seiten, die heutzutage immer mehr zunehmen. Gerade mein Hinweis, dass es sich bei meinen Hidden-Portraits ursprünglich um Auftragsarbeiten handelte, die zwingend in den gesellschaftlichen Kontext einer Elite eingebunden waren, öffnet dem Ganzen tatsächlich noch einen weiteren Resonanzraum.
Der Vielfalt möglicher Interpretationen der Portraits scheinen keine Grenzen gesetzt; ebenso wie der Vielfalt möglicher Herangehensweisen oder Nutzungen. Mit seinen Verhüllungskonzepten ist es Volker Hermes gelungen, das historischen Portraits innewohnende, angestaubte Image zu überwinden und Lust auf ihre Neuentdeckung zu machen. Unabhängig davon, ob seine Interventionen dazu motivieren über dieses Genre neu nachzudenken, malerische Mittel zu entdecken und hiermit zeitgenössische Bezüge zu entschlüsseln oder ihre Betrachtung in schwierigen Zeiten einfach als Stimmungsaufheller dient, sie regen zu Diskursen an.
Der Erfolg dieser Werkserie ist daher nicht nur auf ein bestimmtes Ereignis unserer Zeit, sondern auf die künstlerische Betrachtung aus unserer auf eine vergangene Zeit zurückzuführen.
Fazit deshalb: Hidden Portraits – viel mehr als nur Maskerade!
Weitere Informationen
Website: http://www.volkerhermes.de
Instagram: hermes_instagram
Artikel Vogue: hermes_vogue
Ausstellung Musei Civici, 08.10.2020 – 06.01.2021: hermes_ausstellung_pavia
Christies New York, Classic Week: hermes_christie’s_classicweek