Interviewfotos: Nick Wagner
Düsseldorf. Ist es möglich in einer Zeit, die durch gewaltsame religiöse Auseinandersetzungen geprägt ist, verschiedene Glaubensgemeinschaft innerhalb eines Kunstprojekts zu vereinen? Die Antwort lautet „Ja“, wie das Projekt ,IN EWIGKEIT’, fotografiert von Carsten Sander, auf eindrucksvolle Art und Weise bestätigt. Um Teil einer gemeinsamen Ausstellung zu werden, öffneten katholische, evangelische, griechisch-orthodoxe, buddhistische, sunnitische, muslimische und jüdische Glaubensgemeinschaften unterschiedlichster Nationalitäten ihre Gebetshäuser. Sie erlaubten darüber hinaus, dort während der jeweiligen Messen zu fotografieren. Initiator dieser ungewöhnlichen Idee ist Dr. Dalinc Dereköy, Vorsitzender des KDDM (Kreis der Düsseldorfer Muslime).
Dr. Dalinc Dereköy und Carsten Sander treffen sich in der griechisch-orthodoxen Kirche St. Andreas in Düsseldorf, die eines der ersten Bildmotive der Serie bestimmte. In traditioneller Kreuzkuppelform errichtet, beeindruckt ihr Inneres vor allem durch die kunstvolle Ikonenmalerei. Priester Ioannis Psarakis führt uns durch die Kirche und erklärt einzelne der Motive, die hier von Nonnen aus dem Frauenkloster Chrysopigi in Chania (Kreta) angebracht wurden. Der richtige Ort, um über Spiritualität zu sprechen – dem übergeordneten Bindeglied des Gesamtprojekts – wie Dereköy und Sander erzählen.
Griechisch-orthodoxe Kirche St. Andreas, Motiv aus Kunstprojekt IN EWIGKEIT, Foto: Carsten Sander
Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Idee?
Dereköy: Zur Erklärung ist ein kleiner Zeitsprung in das Jahr 2004 erforderlich. Kurz nach meinem absolvierten ersten Staatsexamen sah ich mich eines Tages während meiner ersten anwaltlichen Tätigkeit den Bedingungen eines „All-Nighters“ [durcharbeiten, bis ein bestimmtes Arbeitsziel erreicht ist] ausgesetzt. Entsprechend übermüdet machte ich mich um vier Uhr früh zu Fuß … zu dieser Zeit fährt ja leider keine Bahn … auf den Weg nach Hause. Was ich dann sah, ließ mich nicht mehr los. In feierlicher Zeremonie segnete ein buddhistischer Mönch, im typischen orangefarbenen Gewand mit kahlrasiertem Kopf, ein prachtvoll hergerichtetes asiatisches Restaurant. Umringt wurde er hierbei von der Familie, der vermutlich das Restaurant gehörte. Hätte ich diese Szene fotografiert, hätte sie jeder in eine Stadt wie Bangkok, aber mit absoluter Sicherheit nicht nach Düsseldorf eingeordnet. Zunächst wirkte alles völlig surreal, bis ich dann sehr schnell diese unglaublich starke Spiritualität spürte. Und das ausgerechnet in einer Stadt, die – wie mir viele später erzählten – zu einer der am wenigsten spirituellen Städte Deutschlands zählt. (lacht)
Im Gespräch mit Dalinc Dereköy
Es gibt anscheinend nichts, für das es kein Ranking gibt … Und wie ging es dann weiter?
Dereköy: Es reifte die Idee, über eine bildliche Dokumentation diesem Ruf entgegenzuwirken und zu zeigen, wie multireligiös lebendig diese Stadt ist. Über meine Tätigkeit im KDDM entwickelten sich dann immer mehr Kontakte zu anderen Religionsgemeinschaften. Und immer, wenn ich von meiner Idee erzählte, reagierten alle begeistert und versicherten mir ihre Kooperationsbereitschaft. Die Begegnung mit Carsten Sander war es dann schließlich, die zur konkreten künstlerischen Umsetzung führte.
Mich überrascht die spontane Begeisterung und Kooperationsbereitschaft Es ist doch allseits eher von mangelnder Kommunikationsbereitschaft unter den verschiedenen Religionsgemeinschaften die Rede?
Dereköy: Ich kann nur das absolute Gegenteil feststellen. Und hier sehe ich auch unseren Auftrag. Der Kulturaustausch erfolgt bei uns nicht über die Diskurse unterschiedlicher theologischer Ansätze. Wir suchen Dinge, die uns verbinden. Das kann beispielsweise die gemeinsame Begeisterung für Fußball sein. Beim Benefizturnier KDDM-Cup treten muslimische und christliche Geistliche gegeneinander an und werden von einem jüdischen Rabbi als Schiedsrichter in Schach gehalten. Das Turnier zieht jährlich 10.000 Menschen an. Es kann auch die Begeisterung für Karneval sein. Dieses Jahr wurde ich eingeladen, auf dem jüdischen Wagen beim Rosenmontagszug mitzufahren. Oder auch die Begeisterung für das Schauspiel. Das Stück „Nathan (to go)“ wird in Kooperation mit der Gemeinde der koptischen Christen, der Jüdischen Gemeinde, dem Islamischen Kulturzentrum Düsseldorf und dem KDDM aufgeführt.
Beim Kunstprojekt ,IN EWIGKEIT’ war es aber weniger die Begeisterung für eine gemeinsame Sache, als eher eine Art aufklärerische Botschaft, die transportiert werden sollte. Sehen Sie – Ihrem Schlüsselerlebnis nach zu urteilen – in der Spiritualität eine Art übergeordnete Gemeinsamkeit?
Dereköy: Ja genau. Es sind doch die philosophischen Fragen, die wir uns alle stellen, unabhängig jeder Religionszugehörigkeit. Während uns existentielle Fragen nach dem Wie durch Naturwissenschaftler beantwortet werden können, ist die Suche nach Antworten auf die Frage des Warum eine höchst sensible und intime Angelegenheit. Hierbei muss jeder seine persönliche, eigene Wahrheit oder Antwort finden. Spirituelle Räume können uns helfen, mögliche Antworten zu finden. Hier ist etwas Höheres spürbar, das uns eine Art Sicherheit vermittelt.
Im Gespräch mit Carsten Sander
Sicherheit, die auch durch Gemeinschaft geschaffen wird. Ein wesentlicher Aspekt im Ausdruck dieser Fotografie-Serie. Über die Anwesenheit der Menschen wird ein großer Unterschied zur klassischen Architekturfotografie geschaffen. Die Tatsache, dass hier nicht inszeniert wurde, sondern der richtigen Moment aufgespürt werden musste, hat die Arbeit vermutlich nicht einfacher gemacht, oder?
Sander: Das ist richtig. Einerseits musste der Raum als solcher erfasst werden und andererseits der besondere spirituelle Moment. Und das, ohne den Gemeindemitgliedern ein Gefühl der Störung zu vermitteln.
Haben Sie sich die Räume vorher angeschaut, um ein Konzept für die gemeinsame Bildsprache zu entwickeln?
Sander: Nein. Mir war direkt klar, dass für unsere Aussage nur die Symmetrie in Frage kam. Nur über die Symmetrie konnte ich sowohl die Parallelität dieser sehr unterschiedlichen Räume zum Ausdruck bringen, als auch den Blick des Betrachters in die gleiche Richtung lenken, wie in die der Menschen, die von ihm betrachtet werden. Der Rezipient nimmt sozusagen an der Messe teil und wird hiermit für die Wahrnehmung des spirituellen Moments sensibilisiert.
Es ist das zweite gesellschaftspolitische Projekt nach ‚Heimat. Deutschland – Deine Gesichter’, das jetzt noch um ‚Faces of America’ erweitert werden wird. Ist es wichtig für Sie, dass Kunst eine Botschaft enthält?
Sander: Die Frage kann ich nicht mit einem grundsätzlichen Ja beantworten. Ich arbeite auch sehr gern auf der ästhetisch sinnlichen Ebene. Dennoch glaube ich, dass es eine wichtige Aufgabe der Kunst ist, unsere Kultur und somit gesellschaftspolitische Entwicklungen zu reflektieren.
Das eine schließt das andere ja auch nicht aus. Die Fotografien der Bilderserie ,IN EWIGKEIT’ haben vor allem in der jeweils einzelnen Betrachtung etwas ästhetisch-sinnliches, während in der Gesamtbetrachtung die aufklärerisch-missionarische Absicht in den Vordergrund rückt. Wie ordnen Sie abschließend den künstlerischen Ansatz bei dieser Arbeit ein?
Sander: Es ist ein Projekt, das nicht nur für die Kunst, sondern vor allem für die Menschen gedacht ist.
Weitere Informationen
… über Carsten Sander: https://carstensander.com