Text: Dr. Elke Backes, Fotos: Hannes Wichmann
Bad-Gastein. Ist das eine Urne im Schaufenster und dort hinten im Ladenlokal ein Sarg? Unsinn, es sind vermutlich einfach nur eine Vase und eine Truhe. Schließlich wird gerade im Rahmen des Kunstfestivals sommer.frische.kunst.eine Ausstellung eröffnet. Noch während ich über meine Gedanken den Kopf schüttle, halte ich in einer Mischung aus entgeistert und verwundert inne, als es nun in der Eröffnungsansprache heißt: „Xenia Lesniewski hat hier eine Rauminstallation geschaffen, die sich zwischen Concept Store, Bestattungsinstitut und Reisebüro bewegt […]“. Ist das möglich? – In Hochgeschwindigkeit holt mich gerade meine Vergangenheit ein und verbindet sich mit dem Hier und Jetzt. Für diejenigen, die es noch nicht wussten: Vor meinem Einstieg in die Kunst war ich Bestatterin …
Rheinische Post, 30. Oktober 2003.
Es versteht sich von selbst, dass ich mit dieser Künstlerin sprechen muss. Wenige Tage später treffen wir uns im INSTANT SOLUTIONS-Store, der sich unauffällig zwischen Cafés, Hotels und einem echten Concept Store auf der Flaniermeile der Kaiser-Wilhelm-Promenade einreiht.
Eröffnung von INSTANT SOLUTIONS in Bad Gastein.
Auf den ersten Blick hat das gesamte Interieur etwas von einem Schönheitssalon. In den beiden durch einen offenen Rundbogen verbundenen Räumen ist die Farbe Rosa allgegenwärtig. Nicht nur die Wände sind in Rosa gestrichen. Auch die Gemälde, die geschwungene Neonschrift, die Wandhalterungen zur Präsentation der Getränkedosen, der Zimmerbrunnen, die „Truhe“ und nicht zuletzt die Bluse von Xenia bedienen sich verschiedenster Töne dieser Farbe und verbinden sich so zu einem formvollendeten Corporate-Design. Die perfekte Inszenierung!
Im Gespräch mit Xenia Lesniewski.
Nichts deutet offenkundig auf eine Kunstausstellung, geschweige denn auf das große Verdrängungsthema unserer Zeit hin. „Was motiviert eine junge Künstlerin, sich ausgerechnet mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen?“, lautet deshalb meine erste Frage.
Xenia: Das Thema hat mich schon sehr lange beschäftigt, doch schien es mir immer zu groß für eine künstlerische Auseinandersetzung. Oder anders gesagt, es schien mir nicht möglich, derart essentielle Themen wie Leben und Tod, auf einer rein visuellen Ebene abzuhandeln. Als ich dann aber im letzten Jahr die Einladung bekam, in Wien eine Rauminstallation in einem als Pop-up-Showroom getarnten Kunstraum im 1. Bezirk zu entwickeln, haben mich die sakrale Architektur des Raumes, dessen Lage zwischen Boutique und Friseursalon, und nicht zuletzt die morbide Stimmung, die die Stadt Wien umweht, dazu motiviert, das Thema in seiner Vielschichtigkeit konzeptuell anzugehen.Die ähnlichen Bedingungen hier in Bad Gastein waren deshalb ideal für eine Zweitfiliale.
E.B.: Demnach haben der Raum und seine Umgebung den Impuls zur ersten Umsetzung ausgelöst. Doch was hat zuvor den Anlass zur Auseinandersetzung bewirkt? Waren es die großen Fragen rund um Leben und Tod, die grundsätzlich in der Kunst allgegenwärtig sind, oder gab es in deiner Familie oder Freundeskreis einen Sterbefall, der dich mit dem Bestattungsthema konfrontiert und vielleicht dorthin gelenkt hat?
Xenia: Ich habe meine Oma in den Tod begleitet. Habe zwei Monate bei ihr gewohnt und die Beerdigung mitorganisiert. Aber ich glaube nicht, dass das der Auslöser war.
E.B.: Hm. Die Trauerpsychologin in mir sagt etwas anderes. Die Idee, dich so akribisch mit Beerdigungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen, hättest du sonst vermutlich nicht gehabt.
Xenia: Vielleicht hast du Recht. Moment – jetzt fällt mir ein, dass ich auch einmal eine Weile über einem Bestattungsinstitut gewohnt habe … [lacht].
E.B.: Aha! Das hätten wir dann wohl geklärt. Wie bist du denn an die Recherche herangegangen?
Xenia: Ich wollte zunächst einmal in die Historie der Bestattungskultur einsteigen. Deshalb habe ich mit einem Besuch des Bestattungsmuseums am Zentralfriedhof [in Wien] begonnen. Danach habe ich mir ein relativ neu eröffnetes Sargatelier in Wien angeschaut, das es Familien ermöglicht, eigene Ideen zur Sarggestaltung einzubringen und auch produzieren zu lassen. Sehr viel habe ich anschießend aber vor allem in Amerika recherchiert, wo es ein viel größeres Angebot an Bestattungsmöglichkeiten gibt als hier. Ob Aschebild, Weltraumbestattung, die Umwandlung in ein Korallenriff, Kompostierung … fast alles ist möglich. INSTANT SOLUTIONS halt [schmunzelt]. Insgesamt war es mir bei der Entwicklung meines Konzepts super wichtig, das es auf einer fundierten Recherche basiert. Auch wenn die Umsetzung letztlich humorvoll ist, wollte ich es unbedingt vermeiden, dass man den Eindruck gewinnen könnte, ich sei oberflächlich herangegangen und mache mich über das Thema lustig.
Im Gespräch mit Xenia Lesniewski.
E.B.: Ebenso wie in Wien deutet auch hier nichts auf einen Kunstraum hin. Warum?
Xenia: Es ist mir grundsätzlich wichtig, Hemmschwellen in Sachen Kunst abzubauen und mit meinen Ausstellungen eine Relevanz zwischen Kunst und Realität zu schaffen. Mit der positiven, rosaroten Shop-Atmosphäre schaffe ich eine Alternative und ermuntere auch Menschen außerhalb des Kunstkreises, einfach mal hereinzukommen.
E.B.: … und lenkst sie im nächsten Schritt auf ein Tabuthema, mit dem man sich eigentlich so lange wie möglich nicht beschäftigen möchte. Auf sehr subtile Art und Weise ermunterst du so zur Auseinandersetzung mit dem Tod, forderst provokant zur Planung der letzten Reise auf und bietest die skurrilsten Dinge an. Einer meiner Favoriten ist HEAVEN-UP. Was hat es denn damit auf sich?
Xenia: Es gibt HEAVEN-UP und BURNING-FAST. Beide sind, ebenso wie fast alle Objekte multifunktional einsetzbar. Zu Lebzeiten, wie nach dem Tod. Mit den beiden Drinks bearbeite ich das Thema Euthanasie. HEAVEN-UPbeschleunigt massiv den Herzschlag und bewirkt einen ebenso schnellen Tod wie BURNING-FAST, das dem Körper extrem Wasser entzieht und somit nicht nur den Tod herbeiführt, sondern bei der Verbrennung auch einen geringeren Energieaufwand erforderlich macht. Nach dem Tod können beide Dosen zum Zweck der Erinnerung für die Angehörigen in eine elektrische Kerze oder einen Wasserspender für einen Zimmerbrunnen umgewandelt werden. Flexibel einsetzbar ist auch der Sarg, der zu Lebzeiten als Truhe, oder die Urne, die als Vase oder Keksdose als gewöhnlicher Alltagsgegenstand genutzt werden kann.
Beispiele aus dem Katalog von INSTANT SOLUTIONS.
E.B.: Alles enthalten im Gesamtsortiment deines Concept-Stores, das auch in einem mehr als humorvollen Katalog zusammengefasst wird. Neben den Objekten finden sich darin die schrägsten Bestattungsmöglichkeiten in plakativer Lifestyle-Ästhetik angepriesen. Die jeweiligen Anzeigen mitsamt Werbeslogans spielen mit den Themen unserer Zeit. Wellness-Hype und Luxusstreben werden ebenso bedient wie die Rücksichtnahme auf Klima und Umwelt. Die Preise sind vermutlich auf Anfrage?
Xenia: [Lächelt verschmitzt] Ja klar. Auch das gehört natürlich dazu. Auch wenn in erster Linie mit diesem Projekt ein erhoffter Perspektivwechsel verbunden ist, ist darin auch eine Form von Kapitalismuskritik enthalten. Das Bestattungswesen ist ein eigener, kommerzieller Markt, der nicht für jeden das volle Angebot bereitstellt.
E.B.: Wohl wahr. Dazu kommt ein extremer Verlust unserer Bestattungskultur, was mich seinerzeit dazu veranlasst hat aufzuhören oder besser gesagt, aufzugeben. Ich danke dir sehr für diesen unerwarteten Flashback. Was steht denn bei dir als nächstes an?
Xenia: In Kürze wird meine Weltuntergangsbar APOCALYPSO im Rahmen der Salzkammergut Festwochen in Gmunden eröffnet …
Braucht es noch irgendwelcher Worte?
Weitere Informationen
Website: https://www.xenia-lesniewski.com/
Instagram: https://www.instagram.com/xenia_lesniewski/?hl=de
Kunstfestival sommer.frische.kunst.: https://artbadgastein.com