Fotos: Kevin Mananga
Zugegeben, bis zum Besuch dieser Ausstellung ist es mir erfolgreich gelungen, mich unauffällig an der Welt der Immersiven Kunst vorbeizuschlängeln. Allein die Fachterminologie mit ihren wie selbstverständlich angewandten Abkürzungen wirkte auf mich angsteinflößend: Artificial Intelligence (AI), Computer Generated Imagery (CGI), Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Bots, und dann jetzt auch noch Non-Fungible Tokens (NFT) …
Zu technisch. Zu kompliziert. So dachte ich bis zu meinem Treffen mit Giulia Bowinkel und Friedemann Banz – DEM Künstlerduo, das die Entwicklung dieser noch jungen Kunstform seit ihren Anfängen mitgestaltet.
Unser Gespräch und vor allem die Interaktion mit ihrer Kunst machen mir den Einstieg in die fremde Thematik dann aber überraschend leicht.
Wir treffen uns im Haus am Lützowplatz in Berlin, wo ihre Arbeiten anlässlich der Nominierung für den neu ins Leben gerufenen VR-Kunstpreis gemeinsam mit vier weiteren künstlerischen Positionen in der Ausstellung Resonanz der Realitäten präsentiert werden.
Zu sehen ist zunächst einmal ihre „analoge“ Installation, die eine Aktionsfläche für den Betrachter definiert und eingrenzt. Sie besteht aus einer quadratischen, in einzelne Raster unterteilten Bodenplatte, vier überdimensioniert großen, an den vier Eckpunkten der Bodenplatte angelegten QR-Codes sowie einem Gitter an der Wand, das die Größe und Unterteilung des Quadrats spiegelt und als Halterung für Rechner und Bildschirm fungiert. An den Rechner angeschlossen ist eine VR-Brille, die mich später erstmals den Effekt der Immersion, des totalen Wegtauchens, erleben lassen wird.
Installationsansicht: Resonanz der Realitäten im Haus am Lützowplatz (HaL), Berlin
Doch worum geht es eigentlich? Und was hat die beiden vom Studium der Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie zur hochtechnisierten Medienkunst geführt? Mit der Frage, ob es seinerzeit vielleicht schon eine Klasse für Medienkunst gab, versuche ich mich den beiden zu nähern. Die überraschende Antwort lautet:
Bowinkel: Nein. Zu unserer Zeit – ich habe meinen Abschluss 2008 gemacht – war die Medienkunst in der Akademie definitiv noch nicht angekommen. Selbst die Fotografie-Klasse war so wenig gefördert worden, dass Thomas Ruff als einziger Dozent das Handtuch geworfen hatte. Im gesamten Haus gab es wirklich und wahrhaftig nur einen vereinsamten, völlig überalterten und nur für Recherchezwecke vorgesehenen Rechner.
Banz: Stimmt. Heute kaum noch vorstellbar. Die einzigen digitalen Tools waren für uns seinerzeit das Internet, der Scanner zur Digitalisierung von Fotoabzügen und Photoshop zur Bearbeitung. Und das war’s. Erst 2007 mit dem ersten Iphone wurde die rasante technische Entwicklung der Anwendungen wie beispielsweise von Apps eingeleitet, die für uns heute völlig selbstverständlich sind und die dann auch immer stärker in unsere Arbeiten eingeflossen sind.
links: Bodypaint_V_15 (2019), rechts: SUBSTANCE_I_06 (2017)
E.B.: Auf welchen Quellen basiert dann, trotz des traditionellen Kunststudiums, eure offensichtliche Faszination für die digitale Bildästhetik?
Bowinkel: Da gab es viele. Mich begeisterten beispielsweise die ersten Ansätze von Mini-Animationen in MTV-Videoclips, später waren es dann Spiele wie Second Life. Nicht zu vergessen natürlich der klassische Science-Fiction-Film. Man kann sagen, dass alles, was irgendwie mit Animation zu tun hatte, mich oder besser gesagt uns begeistert und letztlich geprägt hat.
E.B.: Gab es so etwas wie eine Leitidee, die eure künstlerische Konzentration auf das digitale Medium angestoßen hat?
Banz: Ja. Zwei simple Fragen haben uns angetrieben. Erstens: Wie kann man mit einem Computer Kunst machen? Und zweitens: Warum soll man mit einem Computer Kunst machen?
E.B.: Gibt es auch ebenso simple Antworten? Wie habt ihr euch allein die technischen Skills angeeignet?
Banz: Wir sind absolute Autodidakten. Das geht in diesem Bereich auch nicht anders. Die Technik entwickelt sich so derart schnell, dass, sobald etwas in die Lehre geht, es schon wieder überholt ist. Glücklicherweise gibt es ja YouTube-Tutorials [lacht]. Ich halte es aber auch heutzutage für wahnsinnig wichtig, sich innerhalb der medialen Welt eigenständig bewegen zu können. Meiner Meinung nach ist es genauso wichtig wie lesen und schreiben zu können.
E.B.: Hat sich über diese Erkenntnis auch das „Warum-man-mit-dem-Computer-Kunst-machen-sollte“ herausgebildet?
Bowinkel: Absolut. Als wir in den Kosmos der digitalen Kunst hineingestolpert sind, ist uns bewusst geworden, wie sehr unsere Lebenswirklichkeit durchdrungen ist von dem, was ein Computer macht. Computergesteuerte Programmierungen sind nahezu überall verbaut und üben einen enormen Einfluss auf unser Handeln und unsere Wahrnehmung aus.
E.B.: Auf eurer Website findet sich der Satz: „Banz und Bowinkel generieren Szenarien des Nebeneinanders von Natur, Textur, Körper und Raum, Masse, Form und Substanz“. Schaut man sich dann eure Arbeiten an, kann ich mit Ausnahme des Bezuges zur Natur folgen. Inwiefern fließt auch die Natur mit ein?
Banz: Das ist eher symbolisch zu verstehen. Mit der grundsätzlichen Idee, den virtuellen und realen Raum zusammenbringen zu wollen, beschäftigt uns die Frage, inwieweit die fiktive Wirklichkeit den Menschen beeinflusst.
Nehmen wir einfach einmal unsere jetzige Gesprächssituation. Wir stehen inmitten des Environments einer medial basierten Ausstellung, sind alle drei verkabelt und wissen, dass die Aufnahme irgendwie mit dem Computer bearbeitet werden wird. Würden wir anstelle dessen gemeinsam im Wald spazieren gehen und anschließend gemeinsam am Lagerfeuer plaudern, würden wir völlig anders miteinander reden.
Als wir also überlegt haben, wie die „Natur“ einer virtuellen Welt mit VR-Brille aussehen könnte, kamen wir zu dem Ergebnis, dass eine Replik keinen Sinn macht. Ein Computer kennt weder Boden und Schwerkraft noch Zeit. Er übersetzt einfach nur Gleichungen mit Variablen drin. Deshalb kreieren wir – man könnte sagen – platonische Welten, in denen man die Schatten der Realität sieht.
E.B.: Ich glaube es wird Zeit, dass ich mich mal in eine solche Welt hineinbegebe …
Gesagt, getan. Mit dem Aufsetzen der VR-Brille erfolgt eine kurze technische Einweisung. Ich bekomme den vor meinen Augen schwebenden Controller (schwebt er wirklich?) in die Finger gedrückt und werde losgelassen. Worte zu finden für das, was ich sehe, geschweige denn fühle, fällt mehr als schwer …
Die Ausmaße des virtuellen Raumes sind geradezu gigantisch, seine Gestaltung fantastisch im wahrsten Sinne des Wortes. Die 360 Grad An- oder besser gesagt Einsicht lässt mich unmittelbar Teil der Animation werden und jegliches Raumgefühl verlieren. Unsicher tapse ich mich vorwärts, schaue nach oben, nach hinten und bekomme erste Panikgefühle, als sich roboterartige, in Frauenkörpern getarnte Wesen in Armeeformation bedrohlich auf mich zubewegen. Tipps wie: „Gehe einfach auf sie zu. Du kannst sie triggern. Sie sprechen auch mit dir“, oder: „Wenn du mit dem Controller zielst und dann loslässt, kannst du dich in andere räumliche Bereiche oder in das nächste Level teleportieren“, nehme ich etwas irritiert nur am Rande wahr. Das, was ich mir letztlich zurechtbastle, wird über den Bildschirm übertragen, sodass alle Beteiligten meine hilflosen Verteidigungsversuche auch noch beobachten können. Dennoch überlagern die gesamten virtuellen Eindrücke um ein Vielfaches das reale Szenario um mich herum, bis irgendwann die gesamte Armee peu à peu vor mir zusammenbricht.
Meiner Frage, ob ich es war, die sie erledigt hat, folgt ein geheimnisvolles: „Vielleicht“. Schweren Herzens trenne ich mich von der VR-Brille und versuche, das Gesehene zu deuten.
Virtueller Walk
E.B.: Ohne mir jetzt zu viel verraten zu müssen würde mich interessieren, wen die für mich als Angreifer wahrgenommenen Wesen repräsentieren? Was ihre Gestaltung betrifft war vor allem ihre standardisiert perfektionierte Körperform auffällig?
Bowinkel: Das sind Bots. Unsere personifizierten Repräsentanten oder Avatare von Algorithmen, die sich bei der Nutzung des Internets entwickeln. Sie finden sich in männlicher und weiblicher Form, bewusst perfekt generiert in vielen unserer Arbeiten. Hiermit bringen wir das Stereotype zum Ausdruck, das über das rein statistische Datensammeln von Programmen erfasst wird. Daten wie Mann, Frau, Altersgruppe, Interessen oder Wohnort definieren einen Typus, der vor allem wirtschaftliche oder auch politische Interessen bedient. Der Computer erkennt kein Individuum. Auch wenn es uns oft so verkauft wird oder wir es so empfinden.
Ausstellungsansichten: links: 02_Cylinder_&_Bots_DAM_Gallery (2019), rechts: _01_Cylinder_&_Bots_DAM_Gallery (2019)
E.B.: Stimmt leider. Er erkennt eigentlich nur mein Gerät und reagiert auf das, was ich mit diesem mache. Vermutlich lassen sich die überdimensionierten QR-Codes hier auf dem Boden auch nur mittels eines Gerätes lesen?
Banz: So ist es.
Ich bekomme ein Tablet in die Finger gedrückt, richte es über einem der Codes aus und werde diesmal konfrontiert mit einem Avatar-Kopf, der in einem emporsteigenden Strudel wie Aladin aus der Wunderlampe schwebt und umgeben ist von ebenfalls umherschwebenden Hashtags. Er spricht zu mir.
Betrachtung der Augmented-Reality-Arbeit Poly Mesh (2021)
„Sind es philosophische Gedanken?“, so meine erste Idee.
Bowinkel: Es sind Kommentare zu unserer Welt, geschrieben von einem auf künstlicher Intelligenz basierten Textgenerator, gesprochen von einer computergenerierten Stimme.
E.B.: Mehr Verschmelzung von real und virtuell geht ja kaum. Sind es alles in allem Zukunftsvisionen, die ihr veranschaulicht und erlebbar werden lasst?
Banz: Ganz klar nein. Wir erschaffen Bilder, die unsere aktuelle Lebenswirklichkeit spiegeln. Vielleicht wird es einfacher verständlich im Vergleich mit einer anderen Epoche wie beispielsweise der Renaissance. Damals hat die Religion die Realität und somit das Leben und Denken der Menschen bestimmt. Der Maler hat seinerzeit die Bilder dafür erfunden und es wurden Kirchen gebaut, um diese virtuellen Welten erfahrbar werden zu lassen. Heute erleben wir unsere Lebenswirklichkeit zunehmend durch Fenster von Displays oder beeinflusst durch Technologien. Wir sehen deshalb unsere künstlerische Aufgabe darin technologische Tools sowohl als Quelle als auch als Werkzeug zu nutzen um digitale Abbilder dessen zu schaffen, was sich uns heute als real präsentiert. Stichwort: Platonische Welten …
<Zu technisch? Zu kompliziert?>
Mein Fazit: Ein eindeutiges „Nein“! Die Kunst von Banz & Bowinkel ist spannend, voll am Puls der Zeit und auch für Einsteiger unmittelbar erlebbar,)
Weitere Informationen
https://www.instagram.com/banzbowinkel/
https://www.facebook.com/banzbowinkel
Ausstellung zu sehen bis bis 4. Juli 2021: HaL Berlin