Ein Blick hinter die Kulissen des Ausstellungsaufbaus Wert und Wandel der Korallen von Margaret und Christine Wertheim im Frieder Burda Museum in Baden-Baden.
Text: Dr. Elke Backes, Fotos: Markus Schwer
Wenn wir eine Museumsausstellung besuchen, nehmen wir ihre Arbeit in der Regel nicht bewusst wahr. Doch was wäre eine Ausstellung ohne eine Gliederung des gegebenen Raumes, ohne Vitrinen, Podeste, ohne harmonisch abgestimmte Wandfarben oder eine optimierte Ausleuchtung der Exponate? Für diese besondere Form der Innenarchitektur braucht es Experten. Genauer gesagt, es braucht Ausstellungsgestalter, wie Nicole Miller oder Meyer Voggenreiter.
Was genau zu ihren Aufgaben gehört und vor allem, welch große Vermittlerrolle diesem Beruf innewohnt, erlebe ich bei meinem Besuch des Frieder Burda Museums in Baden-Baden. Inmitten des Aufbaus der Ausstellung Wert und Wandel der Korallen von Margaret und Christine Wertheim darf ich Nicole Miller, Meyer Voggenreiter und Udo Kittelmann als Kurator der Ausstellung meine Fragen stellen.
Einblick in den Ausstellungsaufbau im Erdgeschoss.
Kaum ein namhaftes Museum oder besonderer Kunstort, deren Ausstellungen nicht zumindest einmal durch die gestalterischen Hände von mvprojekte in Szene gesetzt worden wären. Zu nennen sind beispielsweise das Bauhaus Dessau, die Kunstsammlung NRW (K20) in Düsseldorf, die Schirn Kunsthalle in Frankfurt oder die Peggy Guggenheim Foundation in Venedig. Vor größte Herausforderungen stellte das Team Miller/Voggenreiter die Entwicklung des gestalterischen Konzepts der Ausstellung Minimal/Maximal von Alexander Calder in der gerade wiedereröffneten Neuen Nationalgalerie in Berlin im letzten Jahr. Dort waren es vor allem statische Aspekte, die besondere Architektur von Mies van der Rohe und die gleichzeitige Präsentation sowohl großformatiger als auch kleinster Skulpturen, die es gestalterisch innerhalb des kuratorischen Konzepts zu berücksichtigen galt.
Und in Baden-Baden? Welche Idee galt es hier gestalterisch umzusetzen, welche Herausforderungen waren zu bewältigen? Bei einer Führung durch die verschiedenen Ebenen des Hauses erklärt Nicole Miller zunächst einmal das außergewöhnliche Projekt der in Australien geborenen und in Kalifornien lebenden Schwestern Margaret und Christine Wertheim.
Gemeinsamer Rundgang durch das Frieder Burda Museum.
Miller: Ausgangspunkt für diese Ausstellung war das 2019 von Margaret und Christine auf der Biennale in Venedig präsentierte Crochet Coral Reef, zu Deutsch Häkelkorallenriff. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich dabei um gehäkelte Korallen, die zu Riffen arrangiert wurden. Die Idee, die dahintersteckt, ist sehr vielschichtig. Margaret ist Wissenschaftlerin und Christine Künstlerin, sodass zwei unterschiedliche Forschungsansätze im wahrsten Sinne des Wortes in den Dialog getreten sind.
Kaum zu glauben, aber alles hatte damit begonnen, dass Margaret innerhalb ihrer Forschungen Korallen als Anschauungsmodell für das hyperbolische Wachstum – also eine mathematische Theorie – gehäkelt hatte. Im Austausch mit ihrer Schwester entdeckten beide dann im Wachstum der Koralle, die nur durch das Zusammenwirken vieler Polypen entstehen kann, auch die Parallelen zum sozialen Miteinander einer Gesellschaft. Inspiriert von der Bedrohung des Great Barrier Reefs entstand schließlich die Idee, in einer Gemeinschaftsaktion des Korallenhäkelns auf die Bedrohung der Weltmeere zu verweisen. Seit 2005 haben bisher 20.000 Menschen in 50 Städten und Ländern daran mitgewirkt.
Detailaufnahme von gehäkelten Korallen.
E.B.: Beeindruckend und mehr als komplex. Insgesamt verbinden sich darin also die Themen Kunst, Naturwissenschaft, Mathematik und soziale Komponenten. Was bedeutet das für die Präsentation?
Miller: Die Aufgabe für das Ausstellungskonzept bestand darin, eben nicht nur die ästhetische Schönheit der einzelnen Installationen repräsentativ in Szene zu setzen, sondern auch alle weiteren Themen über die gesamte Ausstellungsfläche des Hauses zur Anschauung zu bringen. Insbesondere die soziale Komponente, die innerhalb des Projekts eine besondere Rolle spielt, sollte sich für uns dann aber als nicht vorhersehbare Herausforderung entwickeln.
E.B.: Was ist passiert?
Miller: Wie bei allen vorherigen Ausstellungen dieses Projekts ist auch dieser Ausstellung eine Ausschreibung vorangegangen, die Menschen auf der ganzen Welt dazu eingeladen hatte, ihre gehäkelten Korallen einzusenden. Außerdem wurde die Präsentation der eingesandten Exponate in Aussicht gestellt. Innerhalb der Planungsphase wussten wir also nicht, was auf uns zukommen würde. Das Ergebnis hat alle wirklich umgehauen.
E.B.: Wie viele Korallen sind zusammengekommen?
Miller: Es waren letztlich über 40.000!
Arbeitsbereich im Untergeschoss der ehrenamtlich arbeitenden Helping Hands. Hier werden die eingesandten Häkelarbeiten sortiert, nachbearbeitet und aufgesteckt.
E.B.: Klingt schon nach einer gewaltigen logistischen Herausforderung, von der künstlerischen Umsetzung ganz zu schweigen. Wie sah denn der für euch vorhersehbare Ablauf aus? In welchen Arbeitsschritten und mit welchen Beteiligten hat sich das kuratorische Konzept als Grundlage für das Gestalterische entwickelt?
Miller: Beteiligte waren zunächst einmal Margaret und Christine Wertheim sowie der Kurator Udo Kittelmann. Anlehnend an die Architektur des Hauses, das sich aus drei Ausstellungsebenen entwickelt, wurden drei große Themenbereiche und die dazugehörigen Exponate festgelegt. Das sind zum einen die in Eigenproduktion der beiden entstandenen Exponate, die auch in Venedig zu sehen waren. Dann als weiteres die Präsentation des sogenannten Baden-Baden-Reefs, das aus den eingesandten Häkelarbeiten, unter Mitwirkung vieler ehrenamtlicher Helfer, hier vor Ort entstanden ist. Und als dritter Bereich, der in der mittleren Ebene präsentiert wird, die Ergebnisse der theoretischen Auseinandersetzungen unter Einbeziehung geliehener Exponate sowie die sogenannten Bleached und Toxic Reefs, die die bedrohliche naturgeschichtliche Dimension des Projekts hervorheben.
E.B.: Damit stand also das inhaltliche Konzept. Wie ging es dann für euch los?
Nicole Miller veranschaulicht die Arbeitsabläufe innerhalb der Projektentwicklung.
Miller: Neben dem Konzept bekamen wir eine bebilderte Exponatliste mit Gliederung, welche Gruppen wo zusammen gezeigt werden sollen und natürlich die Grundrisse des Hauses. Hinsichtlich der Vitrinen und Podeste konnten wir auf die Erfahrungen der vorangegangenen Ausstellungen dieses Projekts zurückgreifen. Neu ist immer die Frage, wie wir auf die gegebene Architektur reagieren. Das von Richard Meier entworfene Haus ist durch seine klare Linienführung und offene Struktur geprägt. Die dreigeschossigen Glasfassaden lassen viel Tageslicht einfließen. Um eine Unterwasserstimmung generieren und die einzelnen Installationen inszenieren zu können, mussten wir uns überlegen, mit welchen Mitteln wir abdunkeln.
Voggenreiter: Vor allem stellte sich die Frage, wie wir dem sehr offenen und großen Raum der Ausstellungsebene im Erdgeschoss eine Struktur geben können. Die Architektur des Ausstellungsraums wird auf der Stirnseite durch eine riesige Fensterfront abgeschlossen, die mit einer Gaze bespannt ist. Das haben wir aufgegriffen und textile Wandelemente entwickelt, die in ihrer Semitransparenz und im Zusammenspiel mit der entsprechenden Lichtsetzung dem Raum Spannung geben und eine diffus fluide Atmosphäre schaffen. Dieser Eingriff ist leise, zurückhaltend und wirkt mit den farb- und formgewaltigen Exponaten fast selbstverständlich. Es ist ja eine Grundtatsache, dass Ausstellungen in der Bewegung wahrgenommen, erfahren und verstanden werden. Und das wird hier auf besondere Weise deutlich. Zudem sind diese textilen Wände nicht nur schön, sondern auch nachhaltig.
O.l.: Meyer Voggenreiter, Nicole Miller und Mitarbeiter der Haustechnik im Mezzanin; o.r.: Einblick vom Mezzanin in die Ausstellungsebene im Erdgeschoss; u.l.: Außenansicht Frieder Burda Museum @Gerd Eichmann; u.r.: Ausstellungsarchitekturen und Gliederungen der Ausstellungsebene im Erdgeschoss.
E.B.: In welchem Umfang hat während der Projektentwicklung eine Absprache mit dem Kurator und den Wertheim Geschwistern stattgefunden?
Voggenreiter: Mit Udo Kittelmann standen wir im regelmäßigen Austausch. Mit Margaret und Christine war es bei dieser Ausstellung aufgrund von Corona sehr schwierig. Wir konnten alles nur via Zoom besprechen. Christine war erst im November das erste Mal vor Ort, als sich zwar schon die enorme Flut der Einsendungen abgezeichnet hatte, aber im Rückblick erst zwei Drittel der Gesamtmenge eingetroffen war. Bevor wir darüber sprechen konnten, wie die Präsentation aussehen könnte, musste sie zunächst einmal – unter Mitwirkung einer festen Gruppe freiwilliger Helfer – alle gehäkelten Korallen nach Farbe, Art, Sorte, Qualität und Materialität vorsortieren. Es war ein work in progress und auch wir mussten unsere ursprüngliche Idee zur Präsentation des Baden-Baden Satellite-Reefs nicht nur angesichts der Fülle und Pracht der eingeschickten Korallen überarbeiten. Es musste auch der komplexe Kompositions- und Herstellungsprozess in allen Details mit bedacht werden. So sind in Abstimmung mit Christine, Udo und dem technischen Team des Museums diese Inseln aus mit Molton überzogenen MDF-Steckelementen entstanden. Aber eine weitere wahre Herausforderung galt es ganz aktuell zu bewältigen …
E.B.: Ich ahne, dass es etwas mit der sozialen Komponente zu tun hat, wie eben schon von Nicole angedeutet?
Voggenreiter: … ganz genau. Die Gliederung und Zuordnung der Themengebiete in die jeweiligen Ausstellungsebenen war abgestimmt und befand sich hinsichtlich der Ausstellungsarchitektur schon in der Umsetzung. Weil Margaret und Christine aber der Aspekt des künstlerischen Kollektivs so zentral wichtig ist, wollten sie nicht nur das Baden-Baden-Reef in der Hauptebene präsentiert sehen, sondern auch wirklich alle Einsendungen repräsentativ untergebracht wissen.
E.B.: Und jetzt ist es spannend, einmal den Kurator miteinzubeziehen. Wie haben Sie darauf reagiert?
Kittelmann: Auch im Austausch mit Meyer war klar, dass wir dem Wunsch des Switchs nicht nachgehen konnten. Neben dem vorangeschrittenen gestalterischen Prozess hatte das auch kuratorische Gründe. Es war mir wichtig, den Bezug zur Biennale-Präsentation, die letztlich Auslöser zur Einladung in dieses Haus und damit auch zur Entstehung des Baden-Baden-Reefs war, im beginnenden Ausstellungsrundgang zu zeigen. Nur über diese Reihenfolge konnten wir den dramaturgischen Aufbau des Ganzen inszenieren. Auch wenn es immer wieder dazu gehört, dass man die Dinge vor Ort noch einmal umdenken muss, konnten wir uns vor dieser Argumentation dann aber darauf einigen, die ursprüngliche Planung beizubehalten.
V.l.n.r.: Nicole Miller, Meyer Voggenreiter, Udo Kittelmann, Elke Backes.
E.B.: Und was passierte mit den Einsendungen, die noch nicht einbezogen waren?
Miller: Dafür wurde im gesamten Team die Idee entwickelt, Panels als Unterkonstruktion für Korallenreliefs zu gestalten, die als Wandfries und in großformatigen Bildern den Eingangsbereich bespielen werden.
Korallenrelief-Elemente zur Verwendung als Wandfries und für großformatige Bilder für den Eingangsbereich.
E.B.: Insgesamt heißt es also unterschiedlichste künstlerische und gestalterische Ansätze in Abstimmung zu bringen. Mir erscheint die Zusammenarbeit von Udo Kittelmann und mvprojekte als sehr eingespielt. Liege ich da richtig?
Kittelmann: Absolut. Wir haben schon an den verschiedensten Projekten gemeinsam gearbeitet, sodass wir mittlerweile ein eingespieltes Team sind. Was ich an Nicole und Meyer schätze, ist, dass sie sich auf jedes Projekt neu einlassen. Es gibt Ausstellungsgestalter, die immer den eigenen Stil vertreten. Doch verträgt sich eine stilistische Handschrift nicht immer mit dem künstlerischen Aspekt. Es ist wichtig, dass mitgedacht wird und eigene Ideen einfließen, die meine Gedanken weiterverfolgen und mich in meiner Arbeit unterstützen. Insbesondere in Projekten, die eine enge Zusammenarbeit erfordern, bei denen es komplexere Ideen braucht, arbeite ich sehr gern mit den beiden zusammen.
Im Gespräch mit Udo Kittelmann.
Ein wunderbares Schlusswort, das noch einmal die besondere Vermittlerfunktion des Ausstellungsgestalters unterstreicht, die sich für mich heute beim Blick hinter die Kulissen auf vielfache Art und Weise zu erkennen gegeben hat.
Wer das wahrhaft fantastische Kunstprojekt Wert und Wandel der Korallen – vielleicht nun auch unter dem Aspekt der Präsentation – live erleben möchte, dem sei ein Besuch des Frieder Burda Museums in Baden-Baden sehr empfohlen!
Zu sehen vom 29. Januar bis 6. Juni 2022.