Text: Dr. Elke Backes
Welche Chancen bietet die Modestadt Düsseldorf dem Designernachwuchs? Wie kann verhindert werden, dass dieser sich meist unmittelbar nach Studienabschluss in Richtung Antwerpen, Paris, Mailand, London oder New York orientiert? Ein wichtiger Schritt: Es braucht eine Bühne, um auch außerhalb der eigenen Szene wahrgenommen zu werden; neue Kollaborationen, die nicht nur das eigene Netzwerk erweitern, sondern auch zu neuer Kreativität herausfordern. So erstmals geschehen im letzten Jahr mit strike – a pose, dem Festival für Kunst, Mode und Style, das am Wochenende vom 24. bis 26. Juni 2022 die zweite Runde einläutete.
Dass es bei diesem Festival um mehr geht, als einfach nur um eine weitere Lifestyle-Veranstaltung, macht das Konzept deutlich. Allen Beteiligten wird eine thematische Vorgabe gesetzt, die es in Form zu übertragen gilt. In diesem Jahr lautete die Aufgabenstellung strike – a pose zum Thema Diversity!
Im Ergebnis entstanden 15 Kooperationsprojekte zwischen internationalen, jedoch im Rheinland agierenden KünstlerInnen und DesignerInnen, die am Gallery Day in Düsseldorfer Galerien präsentiert wurden. Am Fashion Day wurden unter Beteiligung von Kölner und Bonner Galerien kuratierte Modepräsentationen von 12 Modelabels und Kunstprojekten auf der Piazza im K21 Ständehaus repräsentativ in Szene gesetzt. Und am dritten Tag des Festivals wurde in Talks und Diskussionen innerhalb des Symposiums der Frage nachgegangen, ob Mode und Kunst tatsächlich so freigeistig agieren können, wie es ihrem Ruf entspricht. Hochkarätige Performances wie die der 1929 geborenen Fluxus Künstlerin Takako Saito, organisiert durch boa-basedonart, oder die durch TänzerInnen des Tanzhauses NRW inszenierte Voguing-Modenschau mit Designs von Absolventen der AMD Düsseldorf, machten das Gesamtprogramm rund.
Impressionen vom Fashion Day im K21 Ständehaus, o.r.: Takako Saito; m.l.: Designer Valentin Lessner bei Thu Doai Ho (Fotos: ©Lina Weichold).
Um einen kleinen Einblick in die gezeigten Kooperationsprojekte geben zu können, stelle ich im Folgenden vier der in den Galerien präsentierten Positionen exemplarisch vor.
1. Galerie VAN HORN: Anys Reimann x Samir Duratovic
Das Ergebnis dieser Kooperation thront würdevoll, geschützt von einer Glasglocke, auf einem mittig im Galerieraum präsentierten Sockel: POISE, ein ölig schimmerndes Parfüm, umhüllt von einem edel designten Flakon. Eine Duftkombination aus minzig und holzig erfüllt den gesamten Raum.
Umgeben ist die Präsentation von malerischen Collagen der Künstlerin Anys Reimann. In ihren Arbeiten reflektiert Reimann, die westafrikanisch-ostpreußischer Herkunft ist, Weiblichkeit, Körperlichkeit und Hautfarbe. Mode als Teil der weiblichen Selbstdarstellung gehört dazu.
Mit Mode- und Kommunikationsdesigner Samir Duratovic, der vor dem Krieg aus Bosnien und Herzegowina nach Deutschland flüchtete, verbindet Anys Reimann nicht nur das gemeinsame Interesse an Mode und Kunst. Seit Abschluss seines Studiums arbeitet Duratovic mit eigenem Label als freischaffender Künstler. Seine zentralen Themen sind Entfremdung und Identität.
In der Überlegung, wie ein gemeinsames Produkt aussehen könnte, entwickelte sich die Idee etwas Immaterielles zu kreieren, das aber auch im weitesten Sinne mit Mode zu tun hat. Etwas, das die Luft durchdringt, die einen so gefährlichen Beigeschmack bekommen hat. Etwas, das wir teilen können, weil wir alle die gleiche Luft einatmen, mit dem wir aber dennoch die Individualität unterstreichen können. So entstand letztlich POISE mit professioneller Unterstützung des Kölner Unternehmens Scentcommunication, das den Prototyp unter Berücksichtigung aller Ideen produzierte. Poise heißt übersetzt übrigens Haltung, Gleichgewicht, Balance.
Kooperation: Anys Reimann x Samir Duratovic bei VAN HORN, l.: Samir Duratovic, There is no place like home look 5, o.r.: Anys Reimann, LE NOIRE, (Bilder Mitte und u.r. ©Marina Kiga).
2. PETRA RINCK GALERIE: Christoph Lohmann, Bastian Muhr, Theresa Eipeldauer, Sofie Thorsen X Elisabeth Bertelmann
Neben unterschiedlichsten abstrakten Malereien behaupten sich in dieser Galerie filigran gearbeitete Kragen, Broschen und Krawatten, die in ebenso feinen, offenen Holzvitrinen präsentiert, zur Nahansicht einladen. In den Details lässt sich die formale Verbindung zur sie umgebenden Malerei erkennen.
In dieser Kooperation wird Diversity, das auch durch Gemeinsamkeiten definiert wird, über das gemeinsame Interesse an Linie und Zeichnung zum Ausdruck gebracht. Während aus künstlerischer Sicht beispielsweise Fragen der Figuration oder Abstraktion, dem Suggerieren von Dreidimensionalität oder neuer Formensuche im Vordergrund standen, waren es bei Elisabeth Bertelmann Fragen textiler Gestaltung.
Bertelmann beschäftigt sich unter anderem mit dem Kunsthandwerk des Klöppelns. Ihre von Hand gefertigten Designs, die in Kooperation mit dieser Tradition verbundenen KlöpplerInnen in Deutschland entstanden sind, reflektieren die kunsthandwerkliche Fertigung im digitalen Zeitalter.
Kooperation: Christoph Lohmann, Bastian Muhr, Theresa Eipeldauer, Sofie Thorsen X Elisabeth Bertelmann bei PETRA RINCK GALERIE. In den Bildern zu sehen sind Gemälde von Bastian Muhr und eine Bluse von Elisabeth Bertelmann (Foto links: ©Marina Kiga).
3. COSAR: Marge Monko X LRRH_
Der in einer Passage entwickelte Galerieraum sieht bereits aus wie ein Schaufenster. Die ausgestellten Fotografien der estländischen Künstlerin Marge Monko wirken wie eine Dopplung. Sowohl die ungewöhnliche Hängung, vor allem aber die Motive unterstreichen diese Wirkung. Als Orte des Begehrens, aber auch als Orte, die Aufstände, Plünderungen oder spektakuläre Einbrüche dokumentieren, sind zeitgenössische und historische Bilder von Schaufenstern zu sehen. Die Gegenüberstellung spiegelt die Veränderung des Zeitgeistes oder genauer gesagt: Sie demonstrieren die durch die Modeindustrie vorgegebene Ästhetisierung unserer Konsumwelt.
Auf großen Podesten – wie aufgespießt – werden parallel dazu die mit schrillen Motiven bedruckten Handschuhe der Editions-Galerie LRRH_, einem Projekt der Modedesignerin Daniela Görgens präsentiert. Görgens, die unter anderem mit Katharina Grosse und Rosemarie Trockel gemeinsame Projekte realisierte, hat für diese Handschuh-Edition 39 KünstlerInnen, die der Clubszene nahestehen, eingeladen, Entwürfe zu entwickeln, um genau jene, Corona-bedingt stark belastete Szene durch die Verkaufserlöse zu unterstützen.
Das Thema Diversity spiegelt in dieser gemeinsamen Präsentation zum einen den Wunsch, über den Konsum einer gesellschaftlichen Klasse oder einer besonderen Szene angehören zu wollen. Zum anderen trifft in dieser Gegenüberstellung individuelle Editionsproduktion auf industrielle Massenproduktion.
Kooperation: Marge Monko X LRRH_ bei COSAR (Fotos unten: ©Marina Kiga).
4. GALERIE CLARA MARIA SELS: Corina Gertz X Clara Huber
Bei Clara Maria Sels begegnen sich zwei Frauen, die offensichtlich die Liebe zum Stoff verbindet. Corina Gertz studierte Modedesign und entwarf zunächst für internationale Labels, bevor sie sich ausschließlich auf die Fotografie konzentrierte. Ihre hier präsentierte Werkserie The Averted Portrait zeigt Rückenansichten von traditionell gekleideten Frauen unterschiedlicher Kulturen. Die Rückenansicht verbirgt das Individuum. Im Vordergrund steht die Zugehörigkeit zum Kollektiv einer bestimmten kulturellen Gruppe.
Das absolute Gegenteil bildet die parallele Präsentation von Clara Huber. Die Entwürfe der Designerin, die seit 2019 bei Chanel in Paris tätig ist, sind expressiv, laut und extrem individuell. Farben und Materialien bilden ebenso starke Kontraste, wie die Kombination scharfer Schnitte mit zarten Materialien. Huber inszeniert die Frau als schöpferische Person, der Schnitte und Materialien entsprechend, mit all ihrer Stärke und Zartheit. Unterstrichen wird die Sprache dieser außergewöhnlichen Designs durch den Titel Frauen schön und Eigensinnig.
Diversity auf ganzer Linie sozusagen.
Kooperation: Corina Gertz X Clara Huber bei GALERIE CLARA MARIA SELS (Fotos links u. rechts: ©Marina Kiga).
Wie lässt sich abschließend die in der Überschrift gestellte Frage nach der Bedeutung von strike – a pose im Zusammenhang des Festivals beantworten? Ganz einfach: Es wurde auf unterschiedlichste Art und Weise gepost, um sich zum Thema Diversity zu positionieren.
Das Konzept ging erneut auf und unterstreicht die Kraft der Kooperation von Kunst, Mode und Style. Eine Förderung des Designs in der Modestadt Düsseldorf, von der auch die Kunst, und natürlich ebenso die Besucher profitieren. Fortsetzung folgt im nächsten Jahr …