Fotos: Natascha Romboy, Thomas Woll
Düsseldorf, 28. November 2017. Heute besuche ich das Wohnatelier des Künstlers Thomas Woll, Meisterschüler von Prof. Irmin Kamp an der Düsseldorfer Kunstakademie. Wolls Arbeiten, die sich zwischen Rauminstallation, Architektur und Plastik bewegen, lassen ein entsprechend großräumiges Atelier erwarten. Entsprechend gespannt betrete ich die Dachgeschosswohnung. Die aber ist überraschend winzig. Die puristische Ausstattung nebst dem zusammengewürfelten Mobiliar erinnern im ersten Moment eher an eine Studentenwohnung, denn an ein Atelier.
… Impressionen des Wohnateliers
Doch die auf einem niedrigen Sideboard sorgfältig arrangierten Objekte sowie weitere Plastiken an der Wand und auf dem Boden lassen dann doch deutlich den Künstler Thomas Woll als Hausherrn erkennen.
Technoid, minimalistisch, futuristisch, das sind die typischen Adjektive, mit denen sich seine Arbeiten beschreiben lassen. Was es damit auf sich hat, möchte ich bei meinem Besuch herausfinden.
… Fundstücke und Projektskizzen
Zunächst interessiert mich, welche Funktion sein Wohn- und Arbeitsraum für ihn erfüllt. „Man könnte ihn als Ideenwerkstatt bezeichnen. Hier entwickle ich die Konzepte für meine Projekte. Die Umsetzung findet dann später prozessual am jeweiligen Ausstellungsort statt“, erklärt er mir. „Ist hier deine Sammlungsstation und erster Experimentierraum“, frage ich mit Blick auf das Sideboard. „Ja. Das Sammeln ist ganz wichtig. Am Anfang einer jeden Idee stehen bei mir Fundstücke, die in irgendeiner Weise technisch anmuten oder auch tatsächlich Teil einer technischen Apparatur waren. Wie beispielsweise dieser kleine blaue Kessel oder die metallenen Versatzstücke dort drüben. Über die Verflechtungen unterschiedlichster Fundstücke entsteht dann irgendwann ein skulpturales Gefüge, eine Art Collage aus Fundstücken“, sagt Woll und zeigt mir dabei Abbildungen seiner Arbeiten.
„Entstehen die Plastiken in erster Linie raumbezogen als Gesamtinstallation oder auch für sich allein“, möchte ich wissen. „Sowohl als auch. Mit dem Raum funktionieren sie jedoch stärker“, antwortet Thomas Woll und zeigt mir zum Vergleich die Abbildungen einer isoliert dargestellten und einer in den Raum installierten Plastik. Verblüffend! Die isolierte Darstellung erinnert an die Abbildung eines innovativen Prototyps in einem wissenschaftlichen Magazin. Die in den Raum installierte Plastik scheint eine technische Funktion zu visualisieren, die sich aus energetischen Verbindungselementen zum Raumkörper speist.
Bild 1: Abbildung aus Portfolio, Bild 2: Ausstellung zum Bergischen Kunstpreis im Kunstmuseum Solingen_Orbital Modul (2013)
Seine, Wolls künstlerische Handschrift ist immer deutlich erkennbar. Zum einen sind es die Elemente, die er verwendet. Technoide Versatzstücke von Apparaturen werden mit Rohren, Kesseln, Kabeln, Metallteilen oder Blechen verbunden und diese dann häufig mit bunkerartigen Architekturen in Beton kombiniert. Zum anderen ist es die allgegenwärtige Anmutung von Funktionalität, die beim näheren Hinsehen jedoch ins Absurde führt. Hier funktioniert aber auch gar nichts. Es kann nichts funktionieren. Ein Propeller ist zu groß und sitzt schief; Kabel und Rohre verlaufen ins Nichts; Luftbeutel sind an sinnloser Stelle montiert … Auch die häufige Anwendung von Neonröhren ist auffällig. Ich frage nach.
„Die Neonröhren haben den Vorteil, dass ich diese direkt wie indirekt verwenden kann. Mit der direkten Anwendung definiere ich neue Formen oder zeichne Elemente des Raumes nach. Indirekt verwende ich sie zur Inszenierung von innen und außen. Außerdem kann ich hiermit genau das klinische, antiseptische Licht erzeugen, das ich gern einsetze. Es ist dieses Licht, das unmittelbar an Versuchsstationen erinnert“, erklärt Woll.
Bild 1: Ausstellung STRUCTANGLE X_Vom transphärischen Schweben (2014), Bild 2: Ausstellung STRUCTANGLE X_Echokammer (2014), Bild 3: Ausstellung RÄUME 1: ORBITALE HÜLLE_Kontrollpult (2011)
Erst jetzt realisiere ich das Video, das im Fernsehgerät des Nebenraumes zu sehen ist. Es zeigt ein pulsierendes Herz.
Pulsierendes Herz von Thomas Woll im Zustand virtueller Schwerelosigkeit (2003)
Thomas Woll folgt meinen Blick und erzählt über den Hintergrund. „Das ist mein Herzschlag im Zustand virtueller Schwerelosigkeit. Ich habe 2003 über einen Zeitraum von insgesamt vier Wochen an einem Experiment des Luft- und Raumfahrtzentrums in Köln teilgenommen. Es galt hierbei, die Veränderungen des Körpers zu erforschen, die sich im Zustand der Schwerelosigkeit entwickeln. Von den vier Wochen habe ich zwei Wochen in einem Bett gelegen, das in 6 Grad Schräglage ausgerichtet war. Beine nach oben, Kopf nach unten. Auf diese Art und Weise konnte der Zustand der Schwerelosigkeit simuliert werden. Sozusagen virtuell. Wichtige Fragen waren hierbei beispielsweise, wie sich Herzmuskel, Knochendichte, Trink- und Essgewohnheiten verändern. Mit insgesamt zehn Testpersonen lebte ich innerhalb dieser vier Wochen in einem isolierten Kellerbereich. Abgeschieden von der Außenwelt, umgeben von technischen Apparaturen. Diese Erfahrung hat mich wahnsinnig geprägt. Wissenschaft, Weltraum, septische Atmosphären, das sind Themen, die mich seither sehr beschäftigen.“ Er zeigt mir Fotos, die ihn an Schläuchen angeschlossen, während einer der medizinischen Messungen zeigen. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Die Sensibilität des menschlichen Energiesystems, die Abhängigkeit von technischen Apparaturen, die antiseptische Atmosphäre in den OP-Bereichen von Kliniken, all das steckt in diesen Fotos.
Bild 1: Ansicht des Portfolios, Bild 2: Fotos von Thomas Woll im Luft- und Raumfahrtzentrum Köln
Ganz deutlich lassen sich nun Bezüge zu seinen Arbeiten herstellen. Die kühlen, futuristischen Raumatmosphären, die technischen Apparaturen, Licht und Dunkelheit, Kabel und Schläuche, die obskuren Funktionssysteme, alles lässt sich dieser Grenzerfahrung zuschreiben.
Insbesondere die konstruktivistischen Formen seiner architektonischen Objekte lassen an die Ideen der ost- und westeuropäischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts erinnern. Hierbei war es u.a. der absolute Glaube an die Maschine als Sinnbild für Technik, Geschwindigkeit und Fortschritt, die in dieser Formensprache ihren Ausdruck fand. „Lässt sich hierzu vielleicht eine Verbindung herleiten“, möchte ich nun wissen. „Absolut. Auch unsere heutige Gesellschaft ist geprägt von einem bedingungslosen Glauben an Funktionalität und technischen Fortschritt. Unsere Lebensprozesse sind codiert, zunehmend von Technik dominiert. Über die Möglichkeiten unserer Kommunikationsmittel glauben wir, uns in rasender Geschwindigkeit aufeinander zu zubewegen, Raum und Zeit überwinden zu können. Doch das ist nur eine virtuelle Welt. In der realen Welt entfernen wir uns immer weiter voneinander. In meiner Kunst versuche ich, der virtuellen Welt eine Form zu geben, uns den möglichen Bedingungen einer solchen Welt auszusetzen“, lautet seine Antwort.
Bestens nachvollziehbar wird dies in seiner aktuellen Ausstellung in Oberkassel. Wir fahren gemeinsam zum „Raum für Kunst“, wo Thomas Woll gerade zum wiederholten Mal ausstellt. Diesmal in der von Rainer Junghanns initiierten Gruppenausstellung DAS GROSSE FRESSEN _ HEIMAT _ AUF WIEDERSEHEN.
Im „Raum für Kunst“ Ausstellung DAS GROSSE FRESSEN _ HEIMAT _ AUF WIEDERSEHEN (2017)
Ich bin sehr gespannt, wie der Raum in seiner neuesten Verwandlung aussehen wird. Mit Ausnahme zweier massiver Betonelemente ist nichts mehr wie es war. Wände, die zuvor Fensteröffnungen verschlossen hatten, sind entfernt. Eine Säule, die als tragendes Element des Raumes gewirkt hatte, ist verschwunden. Ein zugemauertes Regal wurde in eine Art offenen Kamin transformiert. Wer hier regelmäßig die Ausstellungen besucht, dürfte schnell die Orientierung verlieren. Das massige Betonelement im Übergang zum zweiten Raum lässt unmittelbar an die Durchgangstür eines Raumschiffes erinnern. Man hört förmlich das leise „tschsch“, das in der nächsten Sekunde durch das Schließen der Tür hervorgerufen werden wird. Doch auch hier verhindert selbstverständlich wieder die formale Konstruktion jene Funktion, die vom Betrachter erwartet wird. „Wir sprachen eben über unser Streben nach Überwindung von Raum und Zeit. Besteht deine Überwindung des Raumes darin, dass du ihn auseinandernimmst und neu zusammenbaust“, versuche ich mich in einer Deutung seiner Architekturen.
Bild 1: ECHOKAMMER, Bild 2 bis 3: ECHOS (Transformation von Echokammer in den Raum 2)
Bilder 1 bis 3: Ausstellung DAS GROSSE FRESSEN _ HEIMAT _ AUF WIEDERSEHEN (2017)
„Könnte man sagen. Überwindung vielleicht in dem Sinne, dass ich die Bedingungen und Funktionen eines Raumes ebenso in Frage stelle, wie die Dinge unseres täglichen Lebens, unsere Umwelt im Allgemeinen. So wie ich mit jedem meiner Fundstücke experimentiere, experimentiere ich auch mit dem Raum. Dekonstruktion und Konstruktion sind ganz wesentlich für meinen Arbeitsprozess. Erst wenn meine Objekte im Zusammenspiel mit dem Raum ein neues formales wie inhaltliches Ganzes ergeben, bin ich zufrieden“, so Woll abschließend.
Wie zum Beweis schiebt er verschmitzt lächelnd die auf einem abgerissenen Zettel formulierte Definition des Wortes Experiment herüber.
Wie wäre es, auf dieser Basis ein Fazit herzuleiten?
Die Behauptung Thomas Wolls lautete eben, unsere heutige Gesellschaft sei geprägt von einem bedingungslosen Glauben an Funktionalität. Über seine Kunst gilt es nun, diese These nachzuweisen. Und tatsächlich. Was passiert, bei der Betrachtung seiner Kunst? Wir werfen einen kurzen Blick in den Raum hinein, einen weiteren auf die vermeintlichen Apparaturen. Auch wenn uns insgesamt noch vieles rätselhaft erscheint, glauben wir uns sicher, dass hier Technik, Fortschritt und Zukunft im Fokus stehen und funktionierende Systeme präsentiert werden. Soviel zur Wirkung. Und nun zur Frage der Ursache. Wie und warum wird diese gewünschte Wirkung erzielt?
Es scheint schlichtweg die Anwendung eines Vokabulars zu sein, das uns aus seinem technoiden Kontext vertraut ist, das unsere Vorstellung von Funktionalität, Perfektion und Zukunft bedient. Ironischerweise sind es dabei analoge Dinge aus der Vergangenheit, mit denen Thomas Woll seinen gegenwärtigen Installationen einer virtuellen, zukünftigen Welt ihre Form gibt. Einer Welt, die uns den technischen Fortschritt in Frage stellen lässt. Einer Welt, in der nichts so ist, wie es scheint. Einer Welt, in der sich auch die Überwindung von Raum und Zeit als Fiktion erweist …
Weitere Informationen
… zum Künstler: http://www.tzrgalerie.de/woll.html
… zum „Raum für Kunst“: http://www.raumfuerkunst.org/
… zu Beteiligungen an Projekten im öffentlichen Raum:
_ Stein mit Vollausstattung in Dortmund: http://www.steinmitvollausstattung.de
_ 10 qm in Köln: http://www.10qm.de