Atelierfotos: Markus Schwer
Düsseldorf. Habe ich mich vielleicht in eine benachbarte Druckwerkstatt verirrt? Ich sehe mich um und entdecke in der mehr mit professionellem Gerät als mit Kunst bestückten Halle die großflächigen Spiegel, die mir als Teil der Installation Irgendwo im Tiefenrausch im Düsseldorfer Museum Kunstpalast in Erinnerung sind. Ich bin also doch richtig. Es ist das Atelier von Aurel Dahlgrün.
Links: Einblick in das Atelier, rechts: Installationsansichten Irgendwo im Tiefenrausch (Museum Kunstpalast, Düsseldorf)
Ich bin gespannt, den Ehrenhof-Preisträger 2018 kennenzulernen, dessen Karriere seit seinem Abschluss an der Düsseldorfer Kunstakademie rasant voranschreitet. Sein vielfältiges Werk, das sich innerhalb der Medien von Fotografie, Installation und Kunstbuch bewegt, ist schon jetzt bei Kuratoren ebenso begehrt wie bei Sammlern. Der Verleihung seines bereits dritten Kunstpreises folgten zahlreiche Teilnahmen an Gruppenausstellungen im Rheinland und in China, und vor allem seine erste mit dem Ehrenhof-Preis verbundene institutionelle Einzelausstellung (s. Abbildungen oben).
Installationsansichten von Gruppenausstellungen v.l.n.r.: Hinein – Hinaus – Hindurch (Sculpture Museum Changchun), Falling – Floating – Sinking (Filmwerkstatt Düsseldorf), Floating Circles (Kunstsammlung NRW)
Ein zentrales Thema verbindet erkennbar alle seine Arbeiten: das Wasser. Das und vor allem wie er dieses Thema in den Bezug zur Geschichte der Fotografie und ihrer Wahrnehmung stellt, und dabei parallel die Wirkung von Bildern auf Raum und Betrachter untersucht, erklärt er mir im heutigen Gespräch …
Zum Warming-up gibt es zunächst einmal einen kleinen Rundgang durchs Atelier und einen ersten Einblick in das technische Equipment. Bei Tee und Bullar, einem köstlichen, von Aurel selbst gebackenen(!) Hefegebäck, nähere ich mich der komplexen Thematik mit der Frage, wie es überhaupt zur (offensichtlichen) Faszination für das Wasser kam.
Einführung in das technische Equipment
Aurel: Das lässt sich leicht beantworten. Ich wurde zwar in Berlin geboren, bin aber in Schweden, direkt an einem See, aufgewachsen. Angeln, Tauchen, Fischzucht und Aquaristik gehörten für mich deshalb schon früh zur Alltagsbeschäftigung.
Über welche Wege bist du dann von Schweden nach Düsseldorf und zur Kunst gekommen?
Aurel: Wir sind irgendwann wieder zurück nach Deutschland gezogen, wo mich aber sehr schnell eine Sehnsucht nach Ferne gepackt hat. Mit sechzehn bin ich nach São Paulo zu einer Gastfamilie gezogen. Nach dem Abitur verbrachte ich ein weiteres Jahr in Brasilien, bevor ich nach Düsseldorf kam. Mein Weg zur Kunst war frühzeitig angelegt. Von Kindheit an habe ich viele Nächte mit Malen verbracht und es war für mich klar, dass ich Kunst studieren wollte. An der Akademie beworben habe ich mich aber später mit einer Fotografie-Mappe. Das Studium verbrachte ich dann in der Klasse von Christopher Williams, mit der ich viel international gereist bin.
Sind es nicht überwiegend theoretische und konzeptionelle Fragen der Fotografie, die dort im Fokus stehen, hat dir die Malerei nicht irgendwann gefehlt?
Aurel: Grundsätzlich reizt es mich, wissenschaftliche Ansätze künstlerisch zu hinterfragen. Durch den theoretischen Diskurs in der Klasse standen immer Konzept und Kontext im Vordergrund. Weil mir aber auch stets die praktische Arbeit sehr wichtig war, habe ich über die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Fotografie Fragestellungen entwickelt, die sich an der Schnittstelle von Theorie und Praxis bewegen. Eine solche Schnittstelle fand ich im Bereich der Reproduktionstechniken. Mit der Frage, welchen Einfluss das Druckverfahren und Trägermaterial auf die Wirkung und Aura des Bildes haben, habe ich mich an den verschiedensten Techniken und Materialien ausprobiert – irgendwann sogar das Papier selbst geschöpft. Hierbei entwickelte sich dann die Idee, meine Fotografien zu schreddern und aus dem geschredderten Papier wieder neues Papier zu schöpfen. Der Aspekt, einen Kreislauf abgebildet zu haben, wurde mir irgendwann ebenso bewusst wie der Aspekt, dass sich in den Arbeiten etwas sehr Malerisches zeigte – wie beispielsweise in diesem Bild [s. Abbildung unten rechts].
Oben links: Gase zum Abwischen der Farbe von Druckplatten, unten links: Beispiel einer Druckplatte, Mitte: Detailansicht der Bildkomposition, rechts: Bildkomposition aus geschredderten Fotoradierungen selbstgeschöpfter Papiere
In der Tat. Eine Verbindung zur Fotografie hätte ich bei dieser Arbeit niemals hergestellt. Ich denke an seine Abschlusspräsentation, die Installation 19 weeks of water, die lediglich aus einem flachen, mit Wasser gefüllten Becken, zwei Bänken und einem Luftentfeuchter bestand. Lässt sich hier auch eine Verbindung herleiten? Ich frage nach.
Installationsansichten 19 weeks of water (Abschlusspräsentation Kunstakademie Düsseldorf)
Aurel: Ja. Gleichzeitig wurde auch wieder ein Kreislauf visualisiert, hier unter dem Aspekt des Zulaufs verschiedener Aggregatzustände. Ich hatte über neunzehn Wochen die Luftfeuchtigkeit im Raum gesammelt und das kondensierte Wasser dann in das Becken gefüllt. Dieses Wasser habe ich in gewisser Weise als Fotoemulsion betrachtet. Ziel war es, über den Einfall des Lichts eine Spiegelfläche und damit je nach Bewegung im Raum unterschiedlichste Abbilder zu schaffen. Die Spiegelfläche des Wassers ist für mich die Urform des Abbildes. Der Spiegel selbst hat wesentlich die Entwicklung der Fotografie beeinflusst. Schon die ersten optischen Geräte projizierten ein Bild über einen Umkehrspiegel. So also wieder mein Bezug zur Geschichte der Fotografie.
Ah! Verstanden. Jetzt erschließt sich mir auch die Funktion der gewellten Spiegel aus der Ausstellung im Museum Kunstpalast, die hier im Atelier ebenfalls surreale (Zerr-)Bilder entstehen lassen. Auf dem Tisch vor einem der Spiegel entdecke ich Aurels wunderschöne Künstlerbücher Hinein – Hinaus – Hindurch. Es sind zwei mit jeweils achtzehn Fotogravuren, Gegenüberstellungen von Aquarien-Motiven in der Innen- und Außenansicht mit ozeanischen Motiven im Perspektivwechsel unter und über Wasser. Die Bücher sind hochwertig auf Japanpapier gedruckt und außergewöhnlich gebunden. Symmetrisch eingefaltet lassen sich die Seiten nur in einer beidhändigen, synchronen Bewegung aufklappen und durchblättern. Interessant zu spüren, wie sich über die ungewohnte Art des Blätterns die Konzentration auf die Bildmotive schärft.
Künstlerbücher Hinein – Hinaus – Hindurch
In den Motiven zeigt sich deine Leidenschaft für das Tauchen und die Aquaristik. Welche Gedanken haben dich auf die Idee zu diesen Gegenüberstellungen geführt?
Aurel: Zum einen haben mich immer schon die Unterschiede in den Lebensräumen von Fischen in ihrer natürlichen und künstlich geschaffenen Umgebung interessiert. Zum anderen fand ich es immer schon spannend, Menschen dabei zu beobachten, wie sie aufs Wasser schauen und wie unterschiedlich das Wasser je nach Lichtsituation und Perspektive unsere Wahrnehmung verändert. Ein Taucher nimmt beispielsweise in erster Linie den Tiefenraum, ein Schiffspassagier hingegen die Oberfläche und damit die Weite des Wassers wahr. Diesen Kontrast von Oberfläche und Tiefenwirkung, aber auch von unmittelbarer Anwesenheit und Entfernung, fand ich sehr spannend. In der weiteren Auseinandersetzung mit dieser Thematik reifte in mir die Idee, über die paarweise Gegenüberstellung von miteinander durch Perspektivwechsel verknüpften Motiven die verschiedenen Wahrnehmungsmuster darzustellen. Interessanterweise offenbarten sich während des Arbeitsprozesses immer stärker die Parallelen zu den zentralen Elementen der Fotografie: Brennweite, Lichteinfall oder die Umkehrung von Positiv und Negativ. Das ging so weit, dass ich beim Tauchen irgendwann das Gefühl hatte, körperlich in ein Negativ einzutauchen [lacht].
Beispiele von Gegenüberstellungen in den Künstlerbüchern Hinein – Hinaus – Hindurch
Apropos Körper. Beim Abtauchen in die Tiefe des Wassers ist man massiven Druckschwankungen ausgesetzt. Druckluftflaschen und auch der Antrieb durch Druckaufbau sind häufig Teil deiner Installationen. Deine Fotogravuren entstehen ebenfalls im ‚Tiefdruckverfahren‘. Kreislauf und Wasser finden sich in unterschiedlichster Form in deiner Arbeit visualisiert. Alles in allem sehr metaphorisch. Kann man deshalb vielleicht von einer bildhaften Übertragung deiner eigenen körperlichen Erfahrungen und Experimente mit und im Themenbereich der Fotografie sprechen?
links: Installationsansicht Airdrop (Museum Kunstpalast, Düsseldorf)
Aurel: Ja genau, das kann man. Mich interessiert im Grunde, wie sich Körper und Bilder zueinander verhalten. Aber ich fungiere hierbei eigentlich nur als Medium. Im Kern geht es mir immer um den Versuch, Fragestellungen nachzugehen, die den Einfluss von Bildern auf unser Leben und ihre Veränderung auf die Wahrnehmung unseres Umfeldes vergegenwärtigen.
Dient die Fotografie Aurel Dahlgrün dann in erster Linie als Mittel zum Zweck, frage ich mich abschließend. Innerhalb seiner künstlerischen Prozesse zerlegt er sie in ihre Bestandteile, entschlüsselt jeden ihrer Parameter, taucht buchstäblich in sie ein … Doch ist es nicht die Fotografie als solche, die hierbei im Fokus steht, wird mir nun bewusst. Vielmehr sind es Experimente rund um das große Thema bildtheoretischer Fragestellungen …
Dass die künstlerischen Ergebnisse seiner Versuchsreihen nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch überzeugen, macht sein Werk umso spannender. Hier heißt es definitiv: Dranbleiben!