Eine studentische Hausarbeit führte mich vor einigen Jahren zu Busso Diekamp, dem ehemaligen Stadtdirektor, Kultur- und Schuldezernent von Mönchengladbach. Nahezu 30 Jahre, von 1964 bis 1993, war der leidenschaftliche Kunstliebhaber im Dienst der Stadt, vor allem aber im Dienst der Kunst tätig. Seine ‚schlitzohrige‘ Kulturarbeit, insbesondere aber die Geschichten darüber, gelten als legendär. Ich hatte das große Glück, dass er mir vieles davon selbst erzählt hat. So konnte ich in die wilde Zeit der 1970er Jahre eintauchen, in denen Diekamp maßgeblich dazu beigetragen hatte, Mönchengladbach zum Hotspot einer neuen Avantgarde zu machen. Gleichzeitig trieb er damit die Demokratisierung der Kunst voran …
Gemeinsam mit Johannes Cladders, dem damaligen Museumsdirektor, hatte er zahlreiche Künstler bei ihren Anfängen unterstützt, die später deutschlandweit oder auch international bekannt werden sollten. Zu nennen sind hier beispielsweise Joseph Beuys, Heinz Mack, Richard Long, Blinky Palermo, Ulrich Rückriem, Marcel Broodthaers, Hanne Darboven oder Thomas Virnich.
Parallel wurde dabei immer das große Ziel verfolgt, die damals noch mit Argwohn betrachtete Gegenwartskunst nicht weiter einer zahlenmäßig kleinen Elite vorbehalten zu lassen, sondern einen Zugang für Jedermann möglich zu machen.
Mit meiner Frage, wie und mit welchem Einsatz das ausgerechnet in einer Provinzstadt wie Mönchengladbach möglich werden konnte, startete Diekamp seine humorigen Ausführungen.
Diekamp: Den Grundstock bereiteten spektakuläre Ausstellungen, die noch vor dem Bau des Museum Abteiberg in den alten Museumsräumen auf der Bismarckstraße präsentiert worden waren. Wie beispielsweise die erste Einzelausstellung von Joseph Beuys, die 1967 anlässlich des Einstandes von Cladders stattfand. Beuys galt seinerzeit als das Schreckgespenst der modernen Kunst.
Ich hatte am Vortag nur kurz im Museum nachschauen wollen, ob alles in Ordnung ist. Selbst ich war völlig geschockt! Ich befürchtete, am Tag nach der Ausstellungseröffnung mit meinen vier Kindern auf der Straße stehen zu müssen. Da auch Beuys mit dem Arrangement noch nicht vollständig zufrieden war, bat er mich darum, in der Ausstellung übernachten zu können, um sich weiter inspirieren zu lassen. Ich fuhr also nach Hause, holte Klappliege, Luftmatratze, Decken und so weiter und brachte alles ins Museum. Glücklicherweise wurde die Ausstellung zu einem großen Erfolg. Die Besucher standen dichtgedrängt bis auf die Straße.
Bild links: Schlafplatz von Joseph Beuys vor Ausstellungseröffnung, 1967 (Foto: Ruth Kaiser); Bild rechts: Eröffnung der Ausstellung von Joseph Beuys am 13. September 1967: In der ersten Reihe sitzt Joseph Beuys, rechts neben ihm Wilhelma Cladders, schräg hinter ihr Busso Diekamp (Foto: Ute Klophaus)
Die Ausstellung ging ebenso in die Geschichte ein wie die sogenannten ,Nachfeiern’. Was gibt es hierüber zu erzählen?
Diekamp: Cladders hatte die ,Nachfeiern’ initiiert, um Kontakte mit den örtlichen Kunstfreunden, insbesondere aber mit den von auswärts angereisten Besuchern der Vernissagen zu pflegen. Hierbei ging es immer hoch her. Ich erinnere mich spontan an zwei Beispiele: Nach der Eröffnung der Ausstellung von George Brecht und Robert Fillou* – an einem lauen Sommerabend – war die Zahl der Gäste besonders groß. Gegen Mitternacht tummelte sich plötzlich ein Völkchen von Männlein und Weiblein, so wie Gott sie geschaffen hatte, in unserem Schwimmbecken. Zwei ältere Damen aus der Nachbarschaft hatten das geforderte Ärgernis, wie der Jurist sagt, zum Anlass genommen, die Polizei zu rufen. Bei Ankunft war diese allerdings sichtlich erfreut und bat nur um Reduzierung der Lautstärke.
*La cédille qui sourit: eine Ausstellung in drei Teilen: Städtisches Museum Mönchengladbach, 1969
Impressionen von „Nachfeiern“: Bild links: Mit Sammlerpaar Rolf und Erika Hoffmann, 1970 (Foto: Axel Weber); Bild rechts: Im Hause Diekamp: Hanne Darboven und Alfred Schmela im Gespräch, im Hintergrund Rolf Hoffmann und Günther Uecker, 1969
Ein anderes Mal tauchte zu später Stunde noch Marcel Broodthaers auf. Er hatte sich verspätet, da er in Düsseldorf bei einer Studentendemonstration von der Polizei festgesetzt worden war. Man hatte ihn dann aber laufen lassen, nachdem er die von ihm selbst gestaltete Visitenkarte vorwies, die ihn als Directeur du Musée d’Art moderne, Département de l’Aigle’ bezeichnete. Dass es sich hierbei um eines seiner Kunstwerke handelte, mit denen er die gesellschaftliche Rolle des Museums hinterfragte, war den Ordnungshütern offensichtlich nicht bekannt …
v.l.n.r.: Marcel Broodthaers 1972 (Foto: Maria Gilissen); Blinky Palermo als Barkeeper im Creamcheese, Düsseldorf, 1969 (Foto: Gerhard Richter), Urlich Rückriem, 1970 (Foto: Angelika Platen)
Weitere Geschichten ließen meine Zeitreise in den Beginn einer neuen Kunst-Ära fortsetzen, ließen das Who ist Who der Kunstgeschichte lebendig werden. So beispielsweise A.R. Penck, der mit Klaviereinlagen für Stimmung sorgte, Richard Long, der einen Land-Art-Pfad in den Diekamp’schen Rasen trampeln wollte, Marcel Broodthaers, der als Hemden-Model für van Laack verpflichtet wurde, Rückriem und Palermo, die mitten in der Nacht angetrunken und hilfesuchend angerufen hatten, weil sie einer Polizeistreife durch ihre Fahrweise aufgefallen waren.
Großen Spaß bereitete mir schließlich noch die Anekdote um den persönlichen Erwerb des mehr als beeindruckenden Nagelreliefs von Günther Uecker, das sich während unseres Gesprächs immer wieder in meinen Blickfang gedrängt hatte.
Diekamp: Ich hatte das Relief gesehen und wollte es unbedingt haben. Uecker wollte es aber nicht verkaufen. Als er und seine Frau anlässlich einer der ,Nachfeiern’ bei uns zu Hause zu Gast waren, erkannte ich meine Chance. Das Relief hatte den Titel Bettina und war der Vorgängerin von Frau Uecker gewidmet. Bei einem gemeinsamen Tanz gab ich ihr zu verstehen, dass es sich doch bestimmt nicht gut anfühlen müsse, permanent einer solchen Erinnerung ausgesetzt zu sein. Tja, kurz darauf bekam ich das ersehnte Ankaufsangebot.
Dass die Kombination aus ungewöhnlicher Ausstellung und neuem Kunstparty-Format letztlich dazu geführt hatte, die Besucher nicht nur aus dem Rheinland, sondern auch aus den benachbarten Beneluxländern und Künstler sowie Kunsthändler aus Italien, der Schweiz, England, Frankreich und den USA anzulocken, versteht sich von selbst. Dem kleinen Mönchengladbacher Museum war es hierbei sogar gelungen, im Bewertungssystem des Kunstkompass, dem jährlichen Ranking der wichtigen Künstler, als eines der maßgebenden internationalen Institutionen für Zeitgenössische Kunst aufgeführt zu werden.
Auf politischer Ebene war das Ganze jedoch stets mit Argwohn betrachtet und Ankaufsvorschläge häufig im ersten Anlauf abgelehnt worden. So ist es vor allem dem Verhandlungsgeschick Busso Diekamps zu verdanken, diese im Rückblick so wichtigen Ankäufe dennoch durchgesetzt zu haben.
Dass es ihm darüber hinaus gelang, den dringend erforderlichen Museumsneubau voranzutreiben und sogar Cladders‘ Wunsch durchzusetzen, die Auftragsvergabe – wohlgemerkt OHNE öffentliche Ausschreibung – an Hans Hollein zu vergeben, ist mit Blick auf heutige Auflagen ein Faszinosum. Hollein war bis dato ein völlig ungekannter Architekt, der lediglich einen Kerzenladen in Wien ausgebaut und eine Kunstgalerie in New York gebaut hatte.
Der 1982 eröffnete Neubau des Museum Abteiberg wurde 1985 nicht nur mit dem Pritzker-Preis [Nobelpreis der Architektur] ausgezeichnet, sondern gilt bis heute mit seinem Raum- und Ausstellungskonzept, das weder Besucherwege vorgibt noch Wandtexte als Vermittlungsmodell vorsieht, als eines der Pioniermodelle moderner Ausstellungsformate. Mit seiner Kombination aus hochkarätiger Sammlung und Architektur lockt das Museum nach wie vor nicht nur Kunst- sondern auch zahlreiche Architekturinteressierte nach Mönchengladbach.
Ansichten des Museum Abteiberg in Mönchengladbach, Fotos: © Thomas Robbin
Busso Diekamp verstarb im Januar dieses Jahres im Alter von 91 Jahren. Sein eigens verfasstes Buch „Bemerkungen“, das 2017 erschienen ist, vermittelt einen umfassenden Einblick in die beeindruckende Kulturarbeit und Persönlichkeit dieses besonderen Ausnahmepolitikers.