Atelierfotos: Markus Schwer
Berlin, Düsseldorf. Es gibt Ausstellungen, die zwar unmittelbar emotional berühren, aber auf unerklärbare Art und Weise nachwirken – die erst im Rückblick irritieren und zur weiteren Auseinandersetzung anregen. So geschehen beim Besuch der Solo-Show von Carolin Eidner in der Galerie Aurel Scheibler in Berlin.
Installationsansicht Galerie Aurel Scheibler (Foto: © Gunter Lepkowski)
Wie können künstlerische Positionen gleichzeitig malerisch und skulptural, leicht und monumental, figurativ und abstrakt, strukturiert und zufällig sein? Und warum werfen die darin häufig integrierten Worte und Begriffe derart große Rätsel auf? Bei meinem Atelierbesuch in Düsseldorf versuche ich, Licht ins Dunkel zu bringen …
Installationsansichten Galerie Aurel Scheibler (Fotos: © Gunter Lepkowski)
Gemessen an den oft großen Formaten der Arbeiten von Carolin Eidner ist ihr Studio verhältnismäßig klein. Jeder Winkel ist genutzt. Die Vielfalt des hier zu sehenden Equipments lässt das breite Spektrum ihrer Wirkungsbereiche erkennen. Der Computer gehört ebenso dazu wie Zeichen- und Malutensilien, Werkzeuge oder auch verschiedenste Materialien. Eines ihrer bevorzugten ist Gips, den sie auf völlig neuartige Art und Weise zum Einsatz bringt. Inwiefern sich innerhalb dieses ungewöhnlichen Umgangs mit Material auch ihre Leitgedanken spiegeln, zeigt sich in unserem Gespräch.
Atelieransichten
Den Einstieg bildet ein amüsanter Smalltalk über die Filterfunktionen von Photoshop. Meine Sorge uns thematisch zu verzetteln, wendet Carolin lachend ab.
Carolin: Ganz im Gegenteil. Photoshop, in diesem Fall dessen grafische Funktionen, hat sogar ganz entscheidend in die Entwicklung meiner Techniken eingewirkt.
Computergrafiken und Gipsarbeiten im Vergleich
Irritiert vergleiche ich Ausdrucke von Computergrafiken mit den benachbarten Arbeiten in Gips und suche nach Verbindungen.
Soll heißen, dass die Entwürfe digital entstehen?
Carolin: Auch, aber das ist nicht das Entscheidende. Anfangs hatte ich mir einen Spaß daraus gemacht, die hochanspruchsvollen Möglichkeiten des Programms einfach mal völlig laienhaft zu nutzen. Ich habe gezeichnet, was mir gerade in den Sinn kam, Ebenen angelegt und spielerisch Verfremdungsmöglichkeiten diverser Filterfunktionen angewandt. Hierbei wurde mir ein entscheidender Unterschied zur Malerei bewusst: Während sich in der Malerei ein Bild langsam über mehrere Ebenen vom Hintergrund zum Vordergrund entwickelt, arbeitet man am Bildschirm gleichzeitig auf mehreren Ebenen und sieht aber immer nur eine Einzige. Dieses Phänomen, Vordergrund und Hintergrund überwinden zu können, wollte ich auf Material übertragen und startete mit verschiedensten Experimenten.
Über Werkserien in Stoff oder Holz, in denen sich dieser Effekt über das Einsaugen von Farbe in das Material zeigte, kam ich irgendwann auf Gips. Ich stellte fest, dass dieser sich mittels Pigmentierung geradezu von Farbe durchdringen ließ. Außerdem reizte es mich, eine eigenständige Präsenz für ein Material zu entwickeln, das in vielen Bereichen überwiegend als Zusatzstoff oder in der Bildhauerei lediglich für die Modellage verwendet wird. Die Entwicklung der Bearbeitungstechniken – vor allem die Suche nach dem richtigen Trägermaterial für den fragilen Gips – waren dann allerdings von vielen gescheiterten Versuchen geprägt. Insbesondere die äußeren Einflüsse wie Luftdruck oder Luftfeuchtigkeit haben immer wieder unvorhersehbare Unfälle herbeigeführt …
links: Beispiel einer Installation mit Holz: view graduation Düsseldorf Academy, 2014; rechts: Beispiel einer Installation mit Stoff: Horizon after D (dracula), Einzelausstellung in der Orangerie Schloss Benrath, Düsseldorf, 2018
Wir schauen uns gemeinsam eine noch im Entstehungssprozess befindliche Arbeit an, die die mittlerweile ausgetüftelte Trägerkonstruktion erkennen lässt: Die Basis bildet ein in mehrere Flächen unterteilter Holzrahmen. Die darauf montierte Gipsfläche, die gleichzeitig das Bildmotiv ist, wird durch Styropor gestützt. Vielfach sind auf der Oberfläche Schnitte zu sehen, die sich über den Arbeitsprozess des Bildaufbaus entwickeln, wie Carolin erzählt.
Detailansicht Gipsarbeit
Carolin: Meistens gieße ich zuerst eine Fläche in Gips. Darauf projiziere ich dann mein Entwurfsbild, das sowohl digital als auch in Form einer Zeichnung entstanden sein kann. Mit dem Gipsschneider trenne ich anschließend die Flächen der einzelnen Bildfragmente heraus und fülle diese mit unterschiedlich pigmentiertem Gips wieder auf. So arbeite ich mich dann sukzessive weiter vor. Neuerdings arbeite ich auch gern mit Schablonen, die ich mir aus Styrodurplatten schneide, um die Formen zu definieren. Üblicherweise entferne ich die Schablonen und fülle die entstandenen Leerräume wieder mit Gips auf. In diesem Bild (s. folgende Abbildung) gefällt es mir aber sehr gut, diese einfach integriert zu lassen. Das Bild bekommt dadurch etwas sehr Stoffliches.
Links: noch ohne Titel, 2020, rechts oben: Detailansicht, rechts unten: Entwurfsbild für die Projektion
Apropos grafisch … In deinen Motiven zeigen sich oft grafische, genauer gesagt geometrische Strukturen. Mal sind sie in Perfektion gezeichnet, oft aber auch verspielt laienhaft. Ebenso häufig lassen sich in den Bildern Kombinationen mit Figuren, vor allem aber mit Gesichtern erkennen. Entstehen die Motive zufällig?
Beispiele geometrischer Motive. Links: Broken line Lila 2019, rechts: two parts, together, 2019
Beispiele „figürlicher“ Zeichnungen aus der Serie Dizzy Lately, 2018
Carolin: Sie entstehen intuitiv aber nicht zufällig. Im Wesentlichen beschäftigt mich die Auseinandersetzung mit Archetypen. Soll heißen: Grundstrukturen, Urformen die im kollektiven kulturellen Unterbewusstsein schlummern und unbemerkt unsere Vorstellungs- und Handlungsmuster und also auch unser Denken bestimmen. Mich interessiert es, diese Strukturen zu durchbrechen. Das zeigt sich sowohl buchstäblich im Umgang mit dem Material als auch ästhetisch und inhaltlich über die Kombination einfachster menschlicher Darstellungsformen mit geometrischen Grundformen.
Ist diese einfache, fast kindliche Darstellungsform wieder das bewusst Amateurhafte, das du eben im Zusammenhang des Umgangs mit Photoshop beschrieben hast?
Carolin: Ja genau. Das zieht sich durch alle meine Arbeiten. Immer wieder begebe ich mich bewusst in den Zustand eines Anfängers. Hiermit provoziere ich eine geistige Offenheit, die mich möglichst unvoreingenommen auf Neues einlassen lässt. Oft stelle ich im Nachhinein fest, dass man den Arbeitsprozess doch viel einfacher hätte gestalten können. Doch zeigt sich immer wieder, dass vor allem in den langwierigen, häufig stupiden Experimentierphasen absurdeste Ereignisse dazu führen, dass sich trotz der konzeptionellen Grundidee eine Arbeit völlig anders entwickelt als ursprünglich geplant. Es sind diese „Fehler“, die sich aus der Struktur heraus befreien.
Skurril oder absurd, weil im bekannten Bedeutungszusammenhang nicht erklärbar, wirken auch die Wortspiele, die sich häufig in deinen Arbeiten oder auch in deinen Titeln finden. Was hat es beispielsweise hier mit „whisper“, „of a“ und „goat“ auf sich, die jeweils einzeln in geometrischen Feldern angeordnet sind? Oder auch mit dem Titel der Ausstellung in Berlin „The Subtle Genesis of Emiliano Bruni“?
Modell und Umsetzung von Whisper of a Goat, 2019
Carolin: Die Wortspiele sind im konzeptuellen Spiel mit Material entstanden. Im Skizzenbuch hatte ich irgendwann damit begonnen, in den Motiven, die ich in Gips plane, auch die räumliche Tiefe mit einzuzeichnen und habe diese Grafik dann wiederum übertrieben und direkt übernommen. Durch die Übertragung ins Material ergab sich dann ein doppeltes Spiel mit der Perspektive. Jedes Feld in dieser perspektivischen Illusion wurde durch ein Wort oder einen Begriff ergänzt. Dabei war mir wichtig, dass sich durch Positionswechsel immer neue Bedeutungsspielräume und Wortklänge entwickelten. Es ist ein ebenso poetisches Spiel wie meine Titel. Diese entstehen oft erst, nachdem eine Arbeit fertiggestellt ist. Ich versuche Eigenschaften oder Stimmungen, die ich im Werk wahrnehme, in Worte zu fassen. Für den Betrachter können die Titel den Kontext einer möglichen Lesbarkeit vorgeben, auch wenn ich diesen nie offensichtlich plakativ, sondern eher offen sehe.
Ich versetze mich zurück und denke über meine erste Begegnung mit den Arbeiten Carolin Eidners nach. Was genau hat eigentlich die nachhaltige Nachwirkung ausgelöst? Den emotionalen Zugang hatte zunächst einmal das Humorvolle in den Bildern und Installationen herbeigeführt, das mich, verbunden mit den pastelligen, oft auch knalligen Farben, verführt hatte darin einzutauchen. Bei näherer Betrachtung war es dann eine undefinierbare Form von Verrätselung, die mich irritiert und zur Enträtselung herausgefordert hatte.
Anfänglich waren es Fragen hinsichtlich ästhetischer Komponenten, die mich beschäftigten: Warum diese seltsame Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem? Warum gleichzeitig malerisch und skulptural, leicht und monumental, figurativ und abstrakt, strukturiert und zufällig? Antworten fand ich keine. Vielmehr entwickelten sich über die Auseinandersetzung immer wieder neue Fragen, brachte die intensive Betrachtung der Kunstwerke immer wieder neue Entdeckungen hervor.
Wie war das noch mit der „Offenheit des Anfängers“, die Carolin Eidner im Gespräch dargestellt hat?
Innerhalb ihrer künstlerischen Praxis setzt sie sich diesem Zustand wieder und wieder aus, um unvoreingenommen und befreit von bekannten Bedeutungszusammenhängen Neues entdecken und entwickeln zu können.
Über diese offene Herangehensweise entstehen Kunstwerke, die den Betrachter anscheinend in den gleichen Zustand versetzen, wird mir nun bewusst. Sehgewohnheiten werden durcheinandergewirbelt, durchbrechen festgefahrene Denkstrukturen, fordern zu eigenen Fragestellungen und Umwertungen heraus und bewirken letztlich ein nachhaltiges Nachwirken, das die Arbeiten Carolin Eidners immer wieder auf Neue entdecken lässt …
Weitere Informationen
zum Portfolio der Künstlerin auf Instagram: Carolin_Instagram
Galerievertretungen:
in Berlin: Aurel Scheibler https://www.aurelscheibler.com/
in Köln: Natalia Hug https://www.nataliahug.com/