Text: Dr. Elke Backes
Es ist erst Angelika Kammanns zweite Kollektion seit der Gründung ihres Labels SOCIÉTÉ ANGELIQUE im Jahr 2020, doch zieren ihre Kleidungsstücke bereits Cover wie ICON oder FAZ Magazin und begeistern KundInnen im KaDeWe in Berlin oder Gallery Gazette in Tokio, die Jury des Berliner Salons … und mich!
Warum genau? Was macht das Besondere ihrer Entwürfe aus?
Ich darf sie auf ihrer Tour zum Opening nach Berlin begleiten, beim Fitting in ihrem Atelier und beim Shooting der neuen Kollektion über die Schulter schauen, und intensiv in die Welt der Mode, vor allem in ihre Welt der Mode einsteigen. Schnell wird klar, warum in beiden Kollektions-Titeln das Wort UTOPIA enthalten ist.
Einblicke ins Studio von Angelika Kammann.
Wer ihre Karrierestationen liest, fragt sich unweigerlich, was sie zur Selbstständigkeit motiviert haben könnte. Bereits während ihres Studiums in Paris führten sie Praktika zu Jean Paul Gaultier, Antoine et Lili und Daniel Hechter, und später zu van Laack nach Tunesien. Ihre Karrierestationen lesen sich nicht minder beeindruckend: Strenesse Mailand, Martin & Osa New York, EscadaMünchen, Iris von Arnim Hamburg und Wunderkind by Wolfgang Joop Berlin. Warum also dann der Schritt ins Ungewisse?
Im randvoll mit Kleidungsstücken und Accessoires beladenen Auto fahren wir nach Berlin. Genügend Zeit, um dieser Frage als Einstieg auf die ultimative Frage nach dem Besonderen ihrer Entwürfe auf den Grund gehen zu können. Um es vorwegzunehmen: Die krachende Antwort auf letztere lautet:
Ich möchte mit meinen Kollektionen die Mode ändern!
E.B.: Das klingt groß und ist vermutlich kein neuer Gedanke. Was hat auf deinem bisherigen Weg die Realisierung dieser Vision behindert?
Kammann: Insbesondere in den großen Konzernen bestimmt ausschließlich der Kommerz den Schnitt. Jede Ursprungsidee eines Entwurfs wird deshalb so lange verändert, bis ein erwarteter Verkaufserfolg generiert ist. Das hat mich zunehmend frustriert, weil ich einfach daran glaube, dass Mode mehr können muss, als einfach nur Marketingstrategien zu folgen. Es ging und geht immer weniger um das Produkt selbst; die Freiheit und die Kreativität von ModedesignerInnen werden immer stärker kontrolliert. Soll heißen: Nur in der eigenverantwortlichen Selbstständigkeit sah ich eine Chance, den Hebel umzudrehen.
E.B.: Was genau muss deiner Meinung nach Mode denn mehr können, als einfach nur schön zu sein?
Kammann: Sie muss wieder zurück in ihre Rolle, Avantgarde zu sein. Ein Blick in die Modegeschichte zeigt, dass Kleidung nicht einfach nur den gesellschaftlichen Wandel gespiegelt, sondern vielmehr selbst am Wandel beteiligt war. Als Beispiel lässt sich vor allem die Dekade der 1960er Jahre nennen. Das war die Zeit der Durchdringung aller künstlerischen Sparten, der wechselseitigen Beeinflussung von Hochkultur und Underground. Dabei sind ebenso die legendären Pop-Art-Kleider von Yves Saint Laurent nach Andy Warhol oder sein Mondrian-Kleid entstanden, wie die Space-Age-Collection von André Courrèges.
L.o.: Mondrian-Kleid, Yves-Saint-Laurent (1967); l.u.: The Souper Dress, Andy Warhol x Yves-Saint-Laurent (1966); r.: Kleider aus der Space-Age-Collection von André Courrèges (1964).
Dieses Crossover der Stilrichtungen ermöglichte es, den persönlichen und individuellen Lebensstil durch die Kleidung auszudrücken. Und genau an diesem Angebot fehlt es heute. Es sind die Brands, die die Stilbilder kreieren und nicht mehr die Gesellschaft selbst. In der Konsequenz führt das dazu, dass Entwürfe immer weiter kopiert werden – ein Prozess des Recycelns alter Ideen, der letztlich den Entwürfen kontinuierlich das Volumen entzieht. Sie werden im wahrsten Sinne des Wortes flach.
E.B.: Du möchtest also mit deiner Mode ein Bewusstsein für Individualität schaffen, das aber gleichzeitig auch gesellschaftliche Einflüsse aufgreift?
Kammann: Ganz genau.
E.B.: Oha! Jetzt braucht es wohl konkrete Beispiele. In welcher Form findet sich dieser enorme Anspruch in deinen Entwürfen realisiert?
Kammann: Bewusstsein-Schaffen steht als Oberthema über allem. Deshalb nutze ich auch lieber das Wort New Consciousness als das Trendwort Nachhaltigkeit, obgleich Nachhaltigkeit sehr zentral meine Entwürfe bestimmt. Das betrifft zum einen die Produktion, die auf der Grundlage von ehrlichem Handwerk und Transparenz basiert. In jedes fertige Teil wird ein Mikrochip oder QR-Code eingenäht oder gedruckt, sodass die gesamte Produktionskette bis ins letzte Detail für die KundInnen nachvollziehbar wird. Zum anderen bedeutet Nachhaltigkeit – oder New Consciousness – für mich auch, dass ich Kleidung kreiere, die viele Jahre getragen und immer wieder neu kombiniert werden kann. Gern auch über die Kombination mit nachfolgenden Kollektionsteilen, wie ich es im neuen Lookbook beispielhaft zeigen werde.
Beispiele aus dem neuen Lookbook REFLECTIONS ON UTOPIA, Fotos: ©Rafaela Pröll.
Beispiele aus der Kollektion REFLECTIONS ON UTOPIA (o.r. kombiniert mit Mantel aus der ersten Kollektion), Fotos: ©Rafaela Pröll.
E.B.: So viel zum gesellschaftlichen Aspekt, im Zeitalter des kurzlebigen Konsums ein Bewusstsein für Qualität zu generieren. Kommen wir zur Frage, wie du deine KundInnen zum Bewusstsein für die eigene Individualität herausfordern möchtest.
Kammann: Mir ist es wichtig Mode zu designen, die vielfältig variabel zum Einsatz kommen kann. Die also jeder Stimmungslage und jedem Anlass gerecht wird. Deshalb sind die Teile mal casual, mal androgyn, dann wieder floral verspielt. Meine KundInnen sollen sich wandeln und immer wieder neu auftreten können.
Ich finde es super schade, wenn jemand sagt: ,Das kann ich nicht anziehen. Das bin ich nicht.‘ Oft fehlt es einfach nur am Mut zur Veränderung.
Beispiele aus der Kollektion TORREROS IN UTOPIA, Fotos: ©Rafaela Pröll.
Ankunft im Berliner Salon
Diese Aussage trifft definitiv nicht auf die Besucher des Berliner Salons zu, wie wir, am Zielort angekommen, begeistert feststellen. Im Rahmen der Fashion Week findet die in diesem Jahr von Christiane Arp (Chefredakteurin Vogue Deutschland von 2003–2020 und Mitbegründerin des Berliner Salons) kuratierte Gruppenausstellung im Kraftwerk Berlin statt. Gezeigt werden insgesamt 35 deutsche Design-Labels aus den Disziplinen Mode, Schmuck und Accessoires. Wie die Inszenierung im Ateliercharakter erkennen lässt, geht es offensichtlich um einen Einblick in den kreativen Entwurfsprozess, und damit um die Herausstellung der individuellen Gestaltungsidee.
Präsentation von SOCIÉTÉ ANGELIQUE im Berliner Salon, u.l.: Kleid und Mantel am Model, fotografiert von Foto ©Kuba Dabrowski für Nowadays Berlin.
Während bei allen präsentierten Labels die Kollektionsstücke durch ihre Entwurfsskizzen ergänzt werden, sind bei SOCIÉTÉ ANGELIQUE darüber hinaus auch die Nesselteile ausgestellt. Dabei handelt es sich um jene Musterteile, die aus den Vorgaben der Schnittmacher genäht werden, um den zweidimensionalen Entwurf ins stoffliche Volumen übertragen sehen zu können.
„Mir war es super wichtig, damit auch die enorme kreative Leistung meiner SchnittmacherInnen zu zeigen. Ich bin ja nur der Bandleader eines fantastischen Teams aus ExpertenInnen verschiedenster Fachbereiche, ohne das ich meine Ideen nicht realisieren könnte“, erklärt Angelika Kammann ihre Entscheidung.
Dass kollektives Arbeiten ebenfalls einer der zentralen Ansätze für die Gründung des Berliner Salons war, wird auch im Gespräch mit Christiane Arp deutlich.
Im Gespräch mit Christiane Arp.
Arp: Im Rahmen unserer Idee, den Nachwuchs von Designern aus und in Deutschland fördern zu wollen, war es klar, dass dies nur in einem Kollektiv erfolgreich funktionieren kann. Wir brauchten eine Schaubühne, um zeigen zu können, was wir sehen und wen wir neu sehen. Hier können wir die erforderliche Lobbyarbeit für unsere Entdeckungen leisten und einen zentralen Ort des Netzwerkens schaffen.
E.B.: Gibt es grundlegende Eigenschaften, die alle hier präsentierten DesignerInnen miteinander verbinden?
Arp: Die Auswahl findet zunehmend unter der Prämisse Nachhaltigkeit statt. Uns ist es sehr wichtig, dass sich dieser Leitgedanke sowohl über die jeweilige Entwurfsidee als auch über die Qualität des Produkts reflektiert findet. Nur auf diese Art und Weise kann Mode ein Zeichen gegen Fast-Fashion setzen und sich wieder als Kulturgut etablieren.
E.B.: Ist schon eine Veränderung innerhalb der Designerlandschaft erkennbar?
Arp: Ja. Sie wird toll! [strahlt] So eine Qualität habe ich lange nicht gesehen.
Wenn das kein Kompliment ist und das Konzept nicht genau jene Gedanken spiegelt, die sich in den Kollektionen TORREROS IN UTOPIA und REFLECTIONS ON UTOPIA umgesetzt finden. Angelika Kammann kreiert mit ihrem Label SOCIÉTÉ ANGELIQUE individuelle Entwürfe mit einer auch für den Laien sichtbaren Liebe zum Detail, die in Perfektion verarbeitet und mit außergewöhnlichen Stoffen zu jenem Volumen finden, welches den meisten Kleidungsstücken unserer Zeit – übrigens auch im High-Fashion-Sektor (!) – fehlt. Und genau das beantwortet zunächst einmal die Frage nach dem Besonderen ihrer Entwürfe.
Initiativen wie die des Berliner Salons machen darüber hinaus deutlich, dass sich Mode und Design in Deutschland wieder ihrer Avantgarde-Rolle aus vergangenen Zeiten bewusst werden. Ziel der Veranstalter ist es deshalb, jene Designer zu unterstützen, die Produkte schaffen, die nicht allein den gesellschaftlichen Wandel spiegeln, sondern die sich auch am Wandel beteiligen, die ein neues Bewusstsein als Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderungen schaffen.
Angelika Kammanns utopisch klingende Vision, mit ihren Kollektionen über die Leitidee des New Consciousness die Mode verändern zu wollen, ist also gar nicht so utopisch.
Es ist eine Trendwende hin zur Avantgarde durch Social-Design.