Fotos: Karl Rogers
Kapstadt. Im kreativen Szeneviertel Observatory besuche ich Conrad Hicks – einen Kunstschmied oder wie er sich selbst bezeichnet, einen Toolmaker. Sein Atelier bietet eine Kulisse der besonderen Art. Es befindet sich inmitten eines ehemals ausgebrannten Art Déco Kinos, das er gekauft und restauriert hat. Bereits die Außenansicht bietet ein surreales Bild. Spontan fühle ich mich in eine Filmszene von Metropolis entführt.
Noch gedanklich in den 1920er Jahren betrete ich die Schmiede, die mich meine Zeitreise in die Vergangenheit fortsetzen lässt. Schwerste gusseiserne Maschinen werden umrahmt von unzähligen schmiedeeisernen Werkzeugen. Es riecht nach Metall. Hallende dumpfe Hammerschläge und das Rauschen des Schmiedeofens bilden den passenden Sound. Unglaublich!
Conrad Hicks verhilft gerade einem Stück erhitzten Metalls zur Form und bittet mich um einen Augenblick Geduld. Ich schaue mich um und warte in der benachbarten Galerie, die einen kleinen Überblick seiner Arbeiten vermittelt. An Wellblechwänden hängen Entwurfsskizzen und Fotografien seiner Skulpturen, in Vitrinen sind kleinere Objekte, inmitten des Raumes vereinzelte größere Arbeiten zu sehen.
Ich freue mich riesig auf das bevorstehende Gespräch, das wir im Café, eingerichtet im ehemaligen Eingangsbereich des Kinos, beginnen.
Noch leicht benebelt von den visuellen Eindrücken befrage ich Conrad Hicks nach seiner künstlerischen Laufbahn.
„An der Cape Technikon habe ich Kunst mit Schwerpunkt Bildhauerei studiert. Meinen Abschluss machte ich 1986 – also noch in der Zeit der Apartheid. Der zeitgenössischen Kunst fehlte es an Beachtung; das Programm bestehender Galerien war absolut Mainstream. Ich suchte einen Ausweg, nicht zum Militär zu müssen und landete in der Fischerei, bevor ich dann als Möbelrestaurator arbeitete. Dort gab es jemanden, der mich in die Technik der Metallverarbeitung einführte. Das war mein Einstieg. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich eine erneute Veränderung brauchte, nach London ging und dort Kunst restaurierte. In einer Restaurierungswerkstatt fand ich eines Tages einen Amboss, der zum zentralen Schlüsselobjekt für meine heutige Arbeit werden sollte. Ich ging zurück nach Kapstadt, machte mich selbstständig und baute mein Geschäft rund um diesen Amboss herum auf. Er gehört zu meinen Grundwerkzeugen.“
„Klingt abenteuerlich. Welche Bedeutung hatte der Kauf dieses Gebäudes für dich?“
Conrad: „Eine sehr Große. Nach der zehnjährigen Abzahlung des Bankdarlehens, das ich zur Finanzierung des Ankaufs aufgenommen hatte, fiel die Entscheidung, wieder bildhauerisch tätig zu werden, und die Suche nach der eigenen künstlerischen Formensprache begann. Zunächst innerhalb der Gestaltung architektonischer Elemente – schmiedeeiserne Tore, Geländer, Treppen und so weiter –, bis ich hierbei immer stärker spürte, dass es mir um die künstlerische Auseinandersetzung mit dem handwerklichen Prozess als solchem ging … um das Werkzeugmachen. Mir wurde die enorme kulturelle Bedeutung von Werkzeugen bewusst. Nicht nur im funktionalen, sondern auch im kommunikativen Sinne.“
„Du meinst, dass ein Werkzeug eine Botschaft transportiert, die über seine Funktion hinausgeht?“
Conrad: „Ja, weil der Prozess des Schmiedens eine Entwicklung des Rohmaterials durch Menschenhand darstellt und sich deshalb zwangsläufig ein instinktiver kreativer Ausdruck darin findet. Ein solcher Ausdruck lässt sich schon in den frühesten Steinmessern und Werkzeugen erkennen. Ihre Formfindung mag mit einer funktionellen Ausrichtung begonnen haben, aber mit Entwicklung der Kultur wurden sie in ihrer immer kunstvolleren Ausführung zu Symbolen für Status und Erfolg.“
„Um auf deine Arbeiten zurückzukommen: Wenn du dich als toolmaker [deutsch: Werkzeugmacher] bezeichnest, beziehst du darin alles ein? Also auch deine Möbel, Schalen, Skulpturen und so weiter?“
Conrad: „Für mich ist alles Skulptur, weil sich in jedem einzelnen Objekt jener kreative Ausdruck findet, den ich gerade versucht habe darzustellen.“
„Wie viel Planung und wie viel Spontaneität steckt in der Entwicklung neuer Ideen? Ich sehe hier überall Entwurfsskizzen verstreut …“
Conrad: „Sie sind mehr Mindmap als Konstruktionszeichnung. Oft experimentiere ich auch anhand von Skizzen, ob eine Kombination verschiedener Formen funktionieren könnte. In der Entwicklung großer Skulpturen arbeite ich aber auch mit Modellen, wie beispielsweise in dieser Serie [er zeigt Bilder]. Ich denke, wir sollten in die Werkstatt gehen. Dort lässt sich vielleicht am besten mein Arbeitsprozess nachvollziehen.“
Modelle für große Skulpturen
Gesagt, getan. In der Werkstatt ist Conrad spürbar in seinem Element. Zunächst zeigt er mir im Wechsel Beispiele von Entwurfsskizzen und Skulpturen, die sich gerade im Fertigungsprozess befinden. Hierbei wird deutlich, dass zwar einzelne Formelemente, nicht aber der jeweilige Gesamtentwurf realisiert wird.
Es folgt ein Rundgang durch die Werkstatt. „Die Werkzeuge habe ich zum Großteil selbstgemacht, einige auch gesammelt und restauriert. Sie sind für mich wie Musikinstrumente. Auch sie brauchen jemanden, der sie spielt, um letztlich einen individuellen Ausdruck zu finden. Der Mensch ist nur ihr Medium.“
Als weiteres Beispiel, um die Bedeutung des Werkzeuges in seiner Arbeit hervorzuheben, zeigt er mir Kupferplatten, deren Oberflächen gerade durch einen Schnellhobler gestaltet wurden. Feinste Linienstrukturen verleihen der Härte des Metalls etwas Zartes, sehr Fragiles. Ich denke spontan an Zeichnungen eines japanischen Gemäldes.
„Für mich ist die Linienstruktur, die der Meißel dieser Maschine hervorgebracht hat, wie ein Pinselstrich“, untermauert Conrad meine Gedanken.
Inmitten des Raumes entdecke ich eine Liege, die mich in ihren Bann zieht. Ihre Liegefläche besteht aus vier an den Rändern blattartig ausgeformten Metallelementen. Schlichte Rundstäbe bilden die Unterkonstruktion.
„Das ist nun definitiv keine funktionale Liege“, stelle ich fest. „Sie ist nicht zum gemütlichen Verweilen bestimmt, oder“, frage ich lachend.
„Sie ist bequemer, als sie aussieht. Lege dich einfach mal darauf“, werde ich aufgefordert. Tatsächlich! Die Formen entsprechen auf eine irgendwie undefinierbare Art und Weise den natürlichen Körperformen.
„Ich möchte, dass man über den direkten Kontakt mit dem Material eine gemeinsame Ebene spüren kann … diese Verbindung, die mir so wichtig ist,“ kommt Conrad auf sein zentrales Thema zurück.
„Diese Verbindung spüre ich in meiner Arbeit ständig aufs Neue. Der Werkprozess hat etwas unglaublich Intuitives und deshalb Performatives. Es gibt eine grobe Idee, die ich zur Ausführung bringen möchte, die ich aber nicht in der Lage bin zu kommunizieren. Doch über die Verbindung zum Rohmaterial, das ich mit meinen Werkzeugen bearbeite, entwickelt sich ein Eigenleben, das mich immer wieder aufs Neue fasziniert. Die Idee wird zur Form. Das Werk selbst kommuniziert letztlich meine Idee. Alles in allem ein archaisches, primitives Kunstschaffen.“
Was soll ich sagen? Das Gebäude, die Werkstatt, der Künstler selbst und natürlich die Skulpturen bilden eine Einheit, die geradezu körperlich spürbar ist. Eine Einheit, die sich letztlich in all seinen Arbeiten spiegelt und genau jenen Ausdruck findet, der sich schwierig in Worte fassen lässt.
Es ist etwas Magisches.
Jedes Element seiner künstlerischen Formen strahlt etwas natürlich Gewachsenes, nichts Aufgesetztes oder Überflüssiges aus. Warum? Ist es möglich, dass über den Anblick der Skulpturen von Conrad Hicks irgend etwas in unserem Unterbewusstsein aktiviert wird, das uns an die menschlichen Ursprünge zurückführt und uns unsere Wurzeln spüren lässt? Kann ein philosophischer Umgang mit Rohmaterial tatsächlich zur perfekten Form führen?
Eines ist sicher. All seine Objekte transportieren Botschaften, die weit über ihre Funktion hinausgehen. Botschaften, die sehr nah an uns herankommen . . .
Weitere Informationen
… über den Künstler:
http://www.conradhicks.com, https://www.instagram.com/conrad_hicks_artist_blacksmith/
… über seine Ausstellung in der Southern Guild Gallery: