Links: Joseph Beuys ©Peter Sevriens, rechts: Franz van der Grinten (in einem Kunstwerk von Marcus Neufanger)
Wie ein Modeshooting auf Schloss Moyland bisher unveröffentlichte Beuys-Fotografien entdecken und eine sehr besondere Ausstellung entstehen ließ …
Ein Gespräch mit Franz van der Grinten
Köln. Als Vorstandsmitglied der Stiftung Museum Schloss Moyland, das mit der Sammlung van der Grinten die weltweit größte Sammlung von Beuys-Werken beherbergt, und Kind dieser Familie, wird Franz van der Grinten häufig zu Rate gezogen, wenn es um Belange hinsichtlich des seit Jahren strittigen Umgangs mit Abbildungsrechten von Beuys und seinen Werken geht.
Dass sich aber im Zusammenhang der fotorechtlichen Klärung für ein Modeshooting im Park von Schloss Moyland, wie von Geisterhand gelenkt, eine Ausstellungsidee für seine Galerie entwickeln würde, und diese darüber hinaus geprägt durch die Auseinandersetzung seiner persönlichen Kindheitsbegegnungen mit dem ikonischen Künstler, ist auf eine Verdichtung von unerwarteten Ereignissen zurückzuführen.
Doch der Reihe nach …
Ausgerechnet im März 2020, dem Monat, der unser aller Leben verändern sollte, erschien das Spiegel-Magazin unter dem Titel „Naturalismus. Wie die Sehnsucht nach der Natur unser Leben bestimmt“.
1 Bianca Lang-Bognár, S-Magazin, Ausgabe März 2020.
Cover des S-Magazins, Ausgabe März 2020
Zu diesem Zeitpunkt noch als „Kontrapunkt zu unserem künstlich verdichteten Alltag“1 interpretiert, standen die Themen Mode- und Lifestyle im Mittelpunkt der Betrachtung. Nun gerade Beuys in diese Betrachtung miteinzubeziehen, sollte sich auf vielfältige Weise als eine impulsgebende Idee erweisen. Dass und wie hierbei die Fäden gesponnen werden konnten für die im Januar 2021 stattfindende Fotografie-Ausstellung – pünktlich zum Beginn des Jahres, in dem sich der Geburtstag des vielleicht wichtigsten deutschen Nachkriegskünstlers zum einhundertsten Mal jährt – erklärt mir Franz van der Grinten in unserem Gespräch.
Wir treffen uns in seiner Galerie, die sich in der wunderschönen, historisch markanten Bel Étage eines Ensembles spätklassizistischer Stadthäuser im Kölner Stadtzentrum befindet.
Installationsansichten in der Galerie van der Grinten. Links: Rebecca Stevenson, oben: Peter Nikolaus Heikenwälder, unten: Christoph Knecht
E.B.: Die stimmungsvollen Modefotografien des Spiegel-Artikels sind nicht nur durch eine Hommage an Beuys-Stempelungen, mit denen er seit Ende der Sechzigerjahre Schriftstücke und Objekte versah [s. Abbildungen], sondern auch durch einen von dir verfassten Beitrag ergänzt. Neben der Erklärung, welch zwingende Verbindung dessen künstlerisches Werk zur Natur und Landschaft bildet, schilderst du darin den besonderen und nachhaltigen Einfluss, den Beuys auf dich als Kind ausgeübt hat. Nachhaltig insofern, als dass er auch deine Galeriearbeit beeinflusst hat. Wie passt sein immer wieder propagierter künstlerischer Freiheitsgedanke zur kommerziellen Ausrichtung einer Galerie?
Illustrationen: ©Jamal Buscher
Van der Grinten: Interessanterweise wurde mir der starke Einfluss, den er auf mich und meine Galeriearbeit ausgeübt hat, tatsächlich erstmals beim Verfassen des Textes bewusst. Zur Erklärung muss ich ein bisschen ausholen. Meine persönlichen Erinnerungen beginnen im Alter von sechs Jahren. Beuys besuchte regelmäßig meine Eltern, die gemeinsam mit meinem Onkel seine ersten Sammler und Förderer waren. Ab Anfang der Siebzigerjahre bereiteten sie seine ersten internationalen Ausstellungen vor, deren Inhalte sie gemeinsamen mit ihm aus Werken ihrer stetig wachsenden Privatsammlung auswählten und kritisch begleiteten. Beuys fand aber auch für uns Kinder immer Zeit. Ich hatte eine Naturalien-Sammlung: Insekten, nachgebaute Vogelgehege, getrocknete Pflanzen. Zu nahezu jedem Objekt konnte er mir Zusammenhänge erklären und Geschichten erzählen. Seine Neugierde und sein ganzheitlicher Gedanke, die unterschiedlichen Beziehungen und Abhängigkeiten von Wissenschaft, Natur, Humanismus und Gesellschaft aufzuzeigen, waren unglaublich inspirierend. Sein Vermittlungsansatz war immer darauf ausgerichtet, sich kritisch und reflektiert mit den Dingen auseinanderzusetzen, um dann schöpferisch in die Welt eingreifen zu können. Was die kapitalistischen Strukturen angeht, besaß er die Fähigkeit, tänzerisch damit umzugehen, ohne sich dabei selbst zu verkaufen. Und genau hier findet sich die Verbindung zu meiner Galeriearbeit. Ein humanistischer Boden ist mir immer sehr wichtig.
E.B.: Seit 2012 werden regelmäßig Bücher, Vorzugsausgaben, Mappenwerke und limitierte Collector’s Editions durch die Galerie herausgegeben. Kann man die Idee hierzu auch auf den verbindenden Vermittlungsgedanken zurückführen?
Van der Grinten: Absolut. Die Bücher ermöglichen uns, die Inhalte der Künstler unserer Galerie zu vermitteln und ihre Bekanntheit und Relevanz zu fördern. Mit dem Angebot der Originalwerke zu moderaten Preisen finanzieren wir zum einen die Produktion der Bücher, fördern darüber hinaus aber auch gleichzeitig den Einstieg ins Sammeln von zeitgenössischer Kunst. Ein Modell, das als ein durch Beuys inspiriertes interpretiert werden kann. Auch er produzierte all seine Projekte unabhängig ohne jegliche Fördergelder und machte mit seinen Multiples das Sammeln für Kunsteinsteiger möglich. Ein maximal demokratischer Gedanke.
Im Gespräch mit Franz van der Grinten
E.B.: Apropos demokratischer Gedanke. Wie passt dieser Leitgedanke zum problematischen Umgang mit den Abbildungsrechten ihn und sein Werk betreffend? Ist das nicht ein Widerspruch?
Van der Grinten: Das widerspricht tatsächlich vollständig dem Leitgedanken Beuys’. Während er alles zugelassen hat, sofern es einen neuen Diskurs angeregt hat, führt das Abbildungsverbot dazu, dass sein Werk gänzlich unterrepräsentiert ist. Die Gegenwärtigkeit seines Œuvres kann deshalb viel zu wenig wahrgenommen werden; Kulturgeschichte wird der Öffentlichkeit und Wissenschaft entzogen und privatisiert. Im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit für die Stiftung habe ich selbst häufig erleben müssen, dass hiermit extrem viele Projekte einseitig unmöglich gemacht werden. Unabhängig sachlicher Argumentationen wird aufgrund urheberrechtlicher Belange willkürlich entschieden. Auch losgelöst von Beuys darf meiner Meinung nach ein derartiges Prozedere in einer modernen demokratischen Gesellschaft keine Anwendung finden. Vor einigen Jahren kam es zu einer spektakulären Auseinandersetzung zwischen der Stiftung und der VG Bildkunst, die letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zum Vorteil der Freiheit der Wissenschaft in unserem Sinne entschieden wurde.
E.B.: Vor diesem Hintergrund grenzt es geradezu an ein Wunder, dass du per Zufall auf unveröffentlichte, zum Teil sogar von Beuys signierte Fotografien gestoßen bist, bei denen das Urheberrecht anderweitig greift. Wie kam es dazu?
Portraits von Peter Sevriens, links: Grüner Prophet, J.Beuys (1981), oben: Memento Mori II, Atelier J. Beuys (1981), unten: Memento Mori I, Atelier J. Beuys (1981)
Van der Grinten: In der Tat. Zusammenfassend betrachtet war das eine unglaubliche Verdichtung von Ereignissen. Es begann damit, dass die für das Shooting ursprünglich vorgesehene Stylistin durch Lesley Sevriens vertreten wurde. Wie sich herausstellen sollte, ist Lesley die Tochter des freischaffenden Künstlers Peter Sevriens, der Anfang der Achtziger Jahre im Zusammenhang einer Portrait-Reihe über Künstler in Düsseldorf auch Beuys portraitierte. Hierbei entstand eine Serie unterschiedlichster Aufnahmen in dessen Atelier. Als Lesley mir eine dieser Aufnahmen zeigte, war ich hingerissen von der auratischen Kraft dieser Bilder. Es entstand zunächst die Idee, eine editierte Schutzmaske mit diesem Beuys-Motiv zugunsten der Organisation Ärzte ohne Grenzen zu produzieren –was mittlerweile auch bereits geschehen ist. In der Abwicklung bezüglich des Lizenzerwerbs für die einmalige Nutzung des Bildes traf ich Peter Sevriens und hatte hierbei die Gelegenheit, die gesamte Serie einzusehen. Ich war einfach nur beeindruckt! Auch mit der Absicht, diesen Bildern endlich eine Bühne zu geben, entstand die Idee der Ausstellung. Doch damit nicht genug …
Zeitgleich bekam ich einen Anruf von Simone Klein. Als langjährige, anerkannte Fotografie-Expertin machte sie mich auf eine Werksauswahl von Michael Ruëtz aufmerksam, die ebenfalls im Zusammenhang mit Beuys stand. Sie empfahl mir dringend, diese Arbeiten einmal näher anzuschauen. Ich zögerte nicht lange und machte mich auf den Weg nach Berlin zur Sichtung. Was ich dann im Archiv von Ruëtz zu sehen bekam, verschlug mir endgültig den Atem.
Portraits von Michael Ruëtz: links v.o.n.u.: Beuys_ Basel, 13. April 1971, Beuys_ Düsseldorf 02. April 1971, Beuys_ Düsseldorf, 22 April 1971, rechts: Beuys_ Düsseldorf, 02. April 1971; Beuys_ Düsseldorf, 17. November 1972
Vielfach entdeckte ich Bilder, die verschiedenste Familien-Anekdoten plötzlich für mich lebendig werden ließen. Das waren sehr emotionale Momente! Die Bilder beider Künstler in meiner Galerie präsentieren zu können, erfüllt mich mit Stolz und großer Dankbarkeit. Die Arbeiten bilden einen kongenialen Dialog.
E.B.: Klingt nach einer sehr persönlichen Beuys-Ausstellung. Überwiegt die Freude, ihn ohne die üblichen Schwierigkeiten präsentieren zu können, oder ist es mehr die Freude an der Hommage als solcher?
Van der Grinten: Ganz klar die der Hommage. Beuys war und ist mein prägendstes Vorbild.
Die Ausstellung Im Dialog mit Joseph Beuys findet statt vom 23. Januar bis 20. März 2021 in der Van der Grinten Galerie, 50667 Köln, Gertrudenstraße 29.
Weitere Informationen:
… zur Ausstellung “Im Dialog mit Joseph Beuys”, Fotografien von Michael Ruëtz und Peter Sevriens aus den 70er und 80er Jahren”, 23. Januar – 20. März 2021
http://www.vandergrintengalerie.com/home.html
Beitrag zur Ausstellung “Bilder jenseits der Ikone” auf 3sat vom 22.1.2021: