Text: Dr. Elke Backes, Atelierfotos: Natascha Romboy
Düsseldorf. Eigentlich müsste dieser Beitrag mit „Between“ und nicht mit „Behind the Arts“ überschrieben werden. Warum? Ganz einfach: Marion Strehlow bewegt sich bereits seit der Gründung ihres Labels zwischen Kunst und Mode. Für die Inszenierung ihrer Kollektionen arbeitet sie mit KünstlerInnen aus unterschiedlichen Bereichen zusammen, präsentiert diese in Galerien, Museen oder auf interdisziplinären Festivals wie beispielsweise „Strike_a pose“ in Düsseldorf und entwirft darüber hinaus regelmäßig die Kostüme für die Tanzstücke der Cooperativa Maura Morales.
Oben: Präsentation zum Strike_a pose festival im K21 in Düsseldorf (2021), unten: Kostüme für das Tanzstück Efecto Mariposa von Maura Morales (2021) @Klaus Handner.
Ebenso wie viele KünstlerInnen lebt sie in ihrem Atelier, das auch gleichzeitig Showroom und Treffpunkt ist. Ihr großformatiges Portrait, gemalt von Frank Bauer, das oberhalb ihrer neuesten Handtaschen thront sowie weitere Werke von Benjamin-Novalis Hofmann, Angelika J. Trojnarski und Magic zeugen von ihrer Verbindung zur Kunstszene. Neben der Tatsache, dass ich unverkennbar ein großer Fan ihrer Mode bin, insgesamt also vielfältige Gründe sich einmal genauer mit ihrer Ideenfindung und ihren Werkprozessen auseinanderzusetzen und dabei vielleicht Parallelen zur bildenden Kunst zu entdecken.
Einblicke ins Wohnatelier/in den Showroom.
Der Unterschied ist klar: Marion Strehlow gestaltet ihre Entwürfe mit dem Ziel, dass ihre Mode getragen und nicht intellektuell hinterfragt wird. Aber sind darin nicht doch Fragestellungen enthalten, die gesellschaftliche Bezüge erkennen lassen? Die bewusste Entscheidung gegen Fast-Fashion, für Nachhaltigkeit, für Privat-Sale, gegen Produktionsteilung, stattdessen für absolute Unabhängigkeit, weil so buchstäblich alles in ihrer Hand liegt?
Bei frisch aufgebrühtem Kaffee, die traumhaften neuen Entwürfe – erstmals in Jeans (!) – vor Augen, starten wir unser Gespräch.
E.B.: Warum jetzt Jeans? Bisher waren es doch vor allem Baumwoll- und Wollstoffe, die deine Kollektionen geprägt haben.
Strehlow: Die Idee dazu hat mich wie immer einfach überfallen und sich dann ganz schnell zur Obsession entwickelt. Aktuell fühlt es sich für mich an, als wenn es zuvor niemals Jeans gegeben hätte [lacht]. Außerdem ist der Jeansstoff aus einhundert Prozent Baumwolle, sodass ich meinen bisherigen Vorlieben treu bleibe.
E.B.: Ist es denn der Stoff, der die Grundlage für deine Entwürfe bildet?
Strehlow: Nein. Es ist immer der Entwurf und der daraus entstehende Schnitt, der für mich im Vordergrund steht. Der Stoff ist der Träger meiner jeweiligen Idee.
E.B.: Deine Schnitte haben einen großen Wiedererkennungswert. Sie sind immer geprägt von puristisch klaren Linien und überraschen mit Details, mit denen diese Linien unterbrochen werden. Das können Raffbänder zur Variierung der Ärmellängen sein, Taschen, die auf- oder eingesetzt sind oder Teilungsnähte, Abnäher und Biesen, die die Form des Schnitts unterstreichen. Typisch sind auch die Stehkragen, die oft deine Kleider, Overalls, Blusen oder Mäntel abschließen. Wie entwickeln sich solcherart Details?
Beispiele aus verschiedenen Kollektionen.
Strehlow: Vor allem vor dem Hintergrund, dass alle Ideen immer aus meinem persönlichen Anspruch oder einem Anlass heraus entstehen. Wenn ich beispielsweise für einen feierlichen Anlass ein Kleid brauche, das aber trotzdem bequem sein soll, fließt zum einen die grundsätzliche Frage in den Entwurf ein, was genau ein Kleid bequem macht. Zum anderen aber auch mein persönliches Gefühl, das ich mit diesem bevorstehenden Event in Verbindung bringe. Mit diesen Gedanken beginne ich zu zeichnen und der Entwurf nimmt wie selbstverständlich seinen Lauf. Oft entstehen neue Ideen über den Prozess des Zeichnens, über das Ausprobieren von Farben oder Farbflächen oder auch später während des Schnitts oder Nähens. Zusammengefasst: Es steht kein festes Muster dahinter. Jedes Detail entwickelt sich über den gesamten kreativen Prozess und entwickelt sich über die verschiedenen Kollektionen immer weiter.
Einblicke in den Entwurfsprozess.
E.B.: So lässt sich erklären, dass alles was du trägst so selbstverständlich wirkt. Es ist also nicht „wie für dich gemacht“, sondern tatsächlich für dich gemacht?
Strehlow: Erst einmal ja. Ich nähe jedes Modell in meiner Größe und probiere es aus. Schon als Kind habe ich meine Kleidung selbst genäht. Die Sachen, die ich im Kopf hatte, gab es einfach nicht. Für mein gesamtes Umfeld stand deshalb schon viel früher als für mich fest, dass ich Designerin werden würde. Doch bin ich da eigentlich nur reingerutscht.
E.B.: Erzähl!
Schon als Kind habe ich meine Kleidung selbst genäht. Die Sachen, die ich im Kopf hatte, gab es einfach nicht.
Strehlow: Ach, ist wirklich nicht spektakulär. Mein damaliger Freund hatte sich für eine schulische Schneiderausbildung entschieden und mich dazu motiviert, mich ihm anzuschließen – was ich dann auch tat. Weil ich aber nicht nur nach fertigen Schnittmustern nähen, sondern auch eigene Schnitte erstellen wollte, habe ich anschließend an der Modeschule in Düsseldorf studiert. Währenddessen hatte ich schon damit begonnen eigene Kollektionen zu nähen, auf die Ela [Gabriela Holscher-Di Marco, Inhaberin ELA Selected in Düsseldorf] aufmerksam geworden war. Dort habe ich dann verkauft, wurde von der Düsseldorfer Messe entdeckt und erhielt eine zweijährige Förderung mit eigenem Messestand, mehreren eigenen Modenschauen und sehr viel PR. Um die Stoffe im Großhandel einkaufen zu können, brauchte ich einen Gewerbeschein. Tja, und so entstand dann mein Label und ich war selbstständig.
E.B.: Selbstständig auf ganzer Linie. Du machst nach wie vor alles selbst, vom Entwurf über die Vermarktung bis hin zum Verkauf, und konzentrierst dich auf den Bereich NRW. Eine bewusste Entscheidung oder auch der Lauf der Dinge?
Strehlow: Sowohl als auch. Ob Stoffauswahl, Schnitt oder Kundennähe, das Thema Nachhaltigkeit stand für mich, weit bevor es zum großen Thema unserer Zeit geworden ist, immer an oberster Stelle. Und in NRW, insbesondere in Düsseldorf, fühle ich mich einfach wohl. Es gibt hier eine außergewöhnliche Mischung an kreativen Menschen aus Kunst, Musik und Design, die mich immer wieder inspiriert. Es kam mir deshalb nie in den Sinn, mich an einem anderen Ort niederzulassen.
E.B.: Apropos kreative Szene: Wie kam es denn zu deiner Zusammenarbeit mit Maura Morales. War es ein schon immer dein Wunsch auch als Kostümbildnerin zu arbeiten?
Strehlow: Nein, gar nicht. Auch das hat sich als Selbstläufer entwickelt. Nachdem ich eines ihrer Tanzstücke gesehen hatte, war ich vollständig von ihr begeistert und wünschte mir sie als Modell gewinnen zu können. Nach der Aufführung lernte ich Maura und ihren Mann Michio kennen und erzählte ihr von meiner Idee. Meine Entwürfe gefielen ihr dann so gut, dass es sehr schnell zu einer ersten Kooperation kam und mich beide anschließend fragten, ob ich nicht Lust hätte, die Kostüme für ihr nächstes Stück zu designen. Und die hatte ich [strahlt].
Kooperation mit Maura Morales (2017).
E.B.: Entgegen deiner üblichen Arbeitsweise designst du in diesem Fall ja nicht für dich, sondern für die Darsteller einer vorgegebenen Story. Wie gehst du an diese Aufgabenstellung heran?
Strehlow: Wichtig ist es für mich erst einmal, nicht zu viel über das Stück erzählt zu bekommen. Ich bekomme deshalb nur die Information über das Thema, den Titel und die Anzahl der Tänzer und Tänzerinnen. Mein erster Impuls, was Farben und Material betrifft, wird mit Maura und Michio abgestimmt und zu einer ersten Grundidee geformt. Aus dieser Idee entwickeln sich erste Entwürfe, die dann mit dem Anschauen der Proben und des sich immer klareren und konzeptioneller ausgestaltenden Bühnenbildes weitere Variationen entstehen lassen. Dabei ist es wirklich immer wieder überraschend, dass über die gesamten Jahre der erste Impuls ausschlaggebend ist. Wir werden uns jedes Mal sehr schnell einig. Mittlerweile ist ein nahezu blindes Vertrauen gegeben, was einfach großartig ist.
E.B.: Interessanterweise ist auch bei den Kostümen deine Handschrift zu erkennen. Auch dabei sind es vor allem die Details, die sich anschließend oft in deinen Kollektionen wiederfinden.
Beispiel für den gegenseitigen Einfluss von Kostüm- und Kollektionsentwürfen. Oben: Kostüme für das Tanzstück Präludium der Kälte von Maura Morales (2022) @Klaus Handner, unten: Entwürfe der Kollektion 2022.
Strehlow: Das bleibt nicht aus. Die Ideen bedienen sich gegenseitig und laden zum Experimentieren ein. Und das betrifft sowohl die Schnitte als auch die Präsentation, weshalb ich sehr gern an Design- oder Kunstfestivals teilnehme oder meine Kollektionen in Galerieräumen zeige.
E.B.: Wann merkst du, dass alles stimmt und du sagen kannst „Jetzt ist es fertig“?
Strehlow: Das dauert schon sehr lange und ist ein gefühlt endloser Prozess. Oftmals arbeite ich mehrere Jahre an der für mich perfekten Umsetzung einer Idee. Es sind nur sehr wenige Teile, die mich aufhören lassen daran weiterzuarbeiten, mit denen ich zufrieden bin und die mir letztlich das Gefühl vermitteln, fertig zu sein.
Wie war das noch mit der Frage nach möglichen Parallelen zur bildenden Kunst hinsichtlich Ideenfindung und Werksentwicklung? Eine der zentralen Parallelen ist offensichtlich der kreative Prozess, der ebenso wenig erklärbar und vorhersehbar ist wie der Moment, in dem ein Kleidungsstück, ein Gemälde, eine Skulptur oder eine Choreographie sich als vollendet zu erkennen geben. Jeder kleine Schritt innerhalb dieses Prozesses trägt zur Veränderung des Werks bei.
So viel ist im Rückblick klar: Marion Strehlow lebt jeden dieser Momente mit voller Leidenschaft aus. Dabei ist ihre Ideenfindung durch einen steten interdisziplinären Austausch, durch ihre Kundennähe und das damit verbundene direkte Feedback geprägt. Gesellschaftliche Bezüge fließen deshalb wie selbstverständlich in ihre Entwürfe ein. Nur logisch, dass Produktionsteilung oder Fast-Fashion bei ihr weder eine Chance hatten noch haben …
Weiterführende Links
Marion Strehlow: https://stre-low.com
Maura Morales: http://mauramorales.de
Strike_a-pose Festival: https://www.strikeaposefestival.de