Fotos: Markus Schwer
Berlin, Jüdisches Museum. Im Libeskind-Bau, einem der zeitgenössischen Architekturikonen Berlins, bin ich mit Mischa Kuball verabredet. Seine eigens für diesen Ort entwickelte Licht- und Klanginstallation res·o·nant lässt eindrucksvoll die Arbeitsweise dieses Konzeptkünstlers nachvollziehen, der seine künstlerischen Statements seit 1977 im öffentlichen und institutionellen Raum positioniert.
Die Frage, ob das deutsche Nationalmuseum zur Geschichte, Religion und Kultur des mitteleuropäischen Judentums einfach so eine Fläche von insgesamt 350 Quadratmetern bespielen lassen darf, ohne dabei irgendetwas auszustellen, wird derzeit kontrovers diskutiert. Kann eine Licht- und Klanginstallation dem besonderen Kulturauftrag dieses Hauses gerecht werden?
(c) Foto Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf
Wie ich schnell feststelle, sind zur Beantwortung dieser Frage zunächst die Architektur und Wegeführung des Museums hinzuzuziehen, die wesentlich auf das Ausstellungskonzept des gesamten Hauses einwirken. Wir treffen uns deshalb am Haupteingang, der sich im benachbarten barocken Altbau befindet, und gehen gemeinsam den Weg zum Ausstellungsraum. Der Übergang in den Neubau erfolgt über einen Treppenabgang in das Untergeschoss. Ein radikaler Material- und Lichtwechsel markiert diesen Übergang. Die rauen, dunklen Sichtbetonwände und das akzentuiert eingesetzte, schwache Licht im Treppenabgang werden im Untergeschoss von weißen Wänden und grellem Licht abgelöst.
Wir treffen auf drei sich scharfkantig kreuzende Achsen. Deren Namensgebung unterstreicht, dass es die Geschichte des Judentums ist, die in diese Architektur eingeschrieben ist: die „Achse der Kontinuität“, die „Achse des Exils“ und die „Achse des Holocaust“. Der Boden steigt an, die Wände sind schief, mit der eigenen Bewegung scheint alles in Bewegung zu geraten. Ein in der Überschneidung von zwei Achsen positionierter, zweigeteilter Spiegel, der Ober- und Unterkörper durchtrennt, ruft weitere Irritationen hervor. In seiner Ausrichtung gibt dieser sich dann als Wegweiser zu den Ausstellungsräumen von res·o·nant zu erkennen.
Zum Verständnis der Installationskonzeption von Mischa Kuball ist zuletzt noch der Gebäudegrundriss wichtig, der sich aus zwei Linien entwickelt: einer vielfach am Gebäude sichtbaren Zick-Zack-Linie und einer unsichtbaren geraden Linie. An den jeweiligen Kreuzungspunkten liegen die sogenannten „Voids“. Das sind 24 Meter hohe Leerräume, die sich vom Untergeschoss bis zum Dach erstrecken und mittels derer die durch den Holocaust, die Vertreibungen und die Pogrome entstandenen menschlichen Leerstellen symbolisch zum Ausdruck gebracht werden. Zwei dieser insgesamt fünf Voids, die seit Eröffnung des Hauses im Jahr 2001 für die Öffentlichkeit weder zugänglich noch sichtbar waren, sowie ein Void im Eingang des Altbaus, werden mit der Licht- und Klanginstallation res·o·nant bespielt.
Zeichnung von Daniel Libeskind
„Wofür wurden die Räume vorher genutzt“, frage ich, bevor wir hineingehen.
„Hier war ein Education-Center, dessen Innenausbauten die ursprüngliche Architektur vollständig zugebaut hatte. Ästhetisch hatte das ganze etwas von einer westfälischen Sparkasse. Um sich überhaupt mit dem Raum auseinandersetzen zu können, war es deshalb für mich zunächst einmal dringend notwendig, alles zu entfernen“, erklärt Mischa Kuball die Ausgangssituation.
Gespannt betrete ich den Raum. Es wird wieder dunkel und spürbar kälter. Wir gehen an einer langgestreckten Wandvitrine vorbei. Mit Ausnahme einzelner lose herumliegender Kabel ist sie leer. Die weitere Wegeführung wird vom Licht bestimmt. Zum einen ist es das Tageslicht, das durch den Void einfließt, zum anderen sind es rotierende runde und rechteckige Lichtfelder. Auf der linken Seite öffnet sich die Wand zum angrenzenden Raum, der vollständig in dunkelrotes Licht eingetaucht ist. Das sich regelmäßig wiederholende hallische „Klack“ des Projektors durchbricht die Stille ebenso wie die jeweils 60-sekündigen Soundclips, die von 220 Musikern aus der gesamten Welt eigens für res·o·nant produziert wurden. Klänge, Laute, manchmal auch nur Stimmen scheinen die Gesamtfläche der Ausstellung geradezu geisterhaft zu durchwandern.
Wie ferngesteuert bewege ich mich weiter auf den Lichtschacht zu. Während zuvor die Höhe des Raumes noch durch eine für einen Museumsraum übliche Deckenhöhe begrenzt war, öffnet sich der Void nun bis zum Dachabschluss und zieht meinen Blick nach oben in die Unendlichkeit des Himmels. Die sich bewegenden Lichtfelder, die ich im Augenwinkel wahrnehme, holen mich zurück in die Gegenwart. Ich sehe mich plötzlich inmitten eines Kreises, um mich herum bewegt sich ein ungleiches Rechteck.
„Mit den rechteckigen Formen werden die unterschiedlichen Grundrisse der Voids nachgezeichnet. Mit dem Kreis versinnbildliche ich den Menschen. Die Lichtführung der Projektionen wird von den Spiegeln im Raum unterstützt. Es gibt also immer eine gemeinsame Bewegung beider Formen. Hiermit möchte ich das Bewusstsein dafür schärfen, dass sich ein Individuum immer in einem Kontext bewegt“, beginnt Mischa Kuball mir das Konzept zu erläutern. Die sich drehenden Spiegel hatte ich bisher gar nicht wahrgenommen. Auch hatte ich nicht bemerkt, dass die Lichtfarbe im rotleuchtenden Nebenraum immer wieder ansteigt bis stroboskopartige Blitze dann eine Art Entladung herbeiführen. Alles vollzieht sich langsam und ruhig.
„Ich möchte die Besucher nicht mit Licht oder Sound betäuben, sondern Momente der Selbstreflexion schaffen“, erläutert Kuball seine Zielausrichtung. „Deshalb stelle ich auch nichts aus, sondern akzentuiere lediglich den Raum für den Menschen, der hinzukommt. Es ist unglaublich spannend zu beobachten, wie unterschiedlich mit dieser Situation umgegangen wird. Manche laufen völlig gehetzt auf der Suche nach Ausstellungstücken umher, andere legen sich mitten in den Raum und tauchen völlig ein, wieder andere bewegen sich wie in Trance zu den Sounds. Interessant ist es, die Dimensionen des Medialisierens zu beobachten. Alles wird fotografiert und gefilmt: Der Raum, man selbst, die Menschen drum herum – insgesamt eine ganz besondere Form der Interaktion“, so Mischa Kuball.
Wie so oft in seinen Projekten vermittelt auch res·o·nant zwischen Publikum, Künstler, Werk und öffentlichem Raum. Anlässlich der Berlin Art Week erweiterte er die Installation ausgehend vom Museum in den Stadtraum und machte hiermit auch die historischen Bezüge sichtbar, die auf den Entwurf des Grundrisses von Libeskind eingewirkt hatten.
(c) Fotos: Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf
Die erstmalige Teilnahme an der Berlin Art Week in diesem Jahr lässt sich der Neuausrichtung des Museums zuschreiben, das sich erkennbar zunehmend nach außen öffnet. Die Diskussionen rund um die Programmgestaltung reißen nicht ab. Dass sich das Jüdische Museum, neben der Konzentration auf seine Sammlung, auch Diskursen um das brisante Thema der globalen Migration und den hiermit einhergehenden Spannungen zwischen Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft öffnet, wird vielfach kritisiert. Welche Aufgabe kommt res·o·nant in diesem Zusammenhang zu? Diese Frage stelle ich an Gregor Lersch, den Kurator der Wechselausstellungen des Museums, der zu unserem Gespräch hinzugekommen ist.
Elke Backes, Gregor Lersch, Mischa Kuball
„Die grundsätzliche Idee bestand darin, die Architektur des funktionslos gewordenen und bisher nicht öffentlich zugänglichen Education Centers nicht nur sichtbar, sondern auch über eine künstlerische Intervention für den Besucher erlebbar zu machen. Die Aufgabe für Mischa Kuball bestand deshalb darin, eine Rauminstallation zu konzipieren, die den zentralen Leitgedanken Daniel Libeskinds weiterführen sollte. Entwickelt hatte sich die Idee im Zusammenhang des Umbaus unserer Dauerausstellung. Innerhalb des auf einen Zeitraum von zwei Jahren ausgerichteten Alternativprogramms, hatten wir uns dazu entschieden, Neues auszuprobieren. Dass eine Licht- und Klanginstallation – ohne offenkundig erkennbaren Vermittlungscharakter – für Irritationen sorgen könnte, war uns bewusst.“
Und vermutlich auch gewollt, denke ich im Rückblick. Irritation ist Teil der Vermittlung, die über die Architektur von Daniel Libeskind angelegt wurde und in res·o·nant ihre Vergegenwärtigung findet.
Mit der Reduzierung des Raumes auf die Elemente Licht und Klang macht Mischa Kuball die Leere der Architektur geradezu fühlbar. Eine Leere, die Fragen nach dem eigenen Standpunkt in der Geschichte nach sich zieht und den umgebenden Kontext nach und nach bewusst werden lässt. Leere, Dunkelheit, die Farbe Rot, Blitze, selbst herumliegende Kabel in einer leeren Vitrine, werden plötzlich mit erinnerten Bildern und Erzählungen in Verbindung gebracht, die Gänsehaut auslösen.
Braucht es hier noch Ausstellungsstücke, um den Kulturauftrag des Museums zu erfüllen?
Die Installation ist noch zu sehen bis zum Sommer 2019. Verantwortliche Programmdirektorin ist Leontine Meijer van Mensch.
Weitere Informationen
… zum Künstler: www.mischakuball.com
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