Fotos: Sarah Schovenberg
Köln-Marienburg, 8. Dezember 2017. Heute besuche ich den Architekten Paul Böhm, Enkel des Dominikus Böhm, Sohn von Gottfried Böhm, Stephan, Markus und Peter Böhms Bruder. Eine Familie, die Architekturgeschichte schrieb und immer noch schreibt.
Die Wirkungsstätte Paul Böhms lässt mich eintauchen in diese Geschichte. Es ist das 1931/32 vom Großvater Dominikus erbaute Wohnhaus, das unverkennbar den Stil der Neuen Sachlichkeit verkörpert. Zur Straße hin zeigt sich das Haus mit seiner zweigeschossigen Fassade formal zurückgenommen. Mit seinen weitgehend kubischen Außenformen und der klaren Linienführung entspricht es den Vorstellungen des damaligen modernen Bauens. Neben der Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Bauaufgaben prägte aber vor allem die Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe Kirche nicht nur das Werk der ersten beiden Generationen, sondern wurde auch zum selbstverständlichen Bestandteil des Œuvres der jüngeren Böhms.
Ehemaliges Wohnhaus von Dominikus Böhm, heutiges Architekturbüro Paul Böhm. Bild 1–2: Ansicht aus 2017 Bild 3: Ansicht aus 1932, fotografiert von Hugo Schmölz
Die erst kürzlich fertiggestellte Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Köln-Ehrenfeld ist jedoch mehr als ein Sakralbau. Hier wurde von Paul Böhm eine Architektur geschaffen, die neben der sakralen Bauaufgabe auch kulturelle, politische und soziale Komponenten zu berücksichtigen hatte. Man könnte sagen: Integration als Bauaufgabe. Ein Thema, das aktueller kaum sein kann …
Zwecks Recherche hatte ich zuvor die Moschee auf eigene Faust erkundet. Ich wollte herausfinden, ob eine solche Besichtigung überhaupt erwünscht ist oder vielleicht sogar als störend empfunden werden könnte. Die aktuellen medialen Diskussionen über die Verbindung des Bauherrn DITIB zur Diyanet, der türkischen staatlichen Religionsbehörde, steigerten meine diesbezügliche Unsicherheit. Zugegebenermaßen nicht frei von Vorurteilen und Mutmaßungen mache ich mich dennoch auf den Weg.
Impressionen der Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Köln-Ehrenfeld
Seitlich der Moschee führt zunächst eine leicht gebogen angelegte Treppe zu einer erhöhten Plattform. Hier befindet sich der Eingang. Ein im Teppichboden eingearbeitetes Piktogramm verweist darauf, die Schuhe auszuziehen. Die zahlreich vorhandenen Schließfächer im Eingangsbereich dienen als Stauraum. Bereits hier ermöglicht eine Abtrennung aus Glas einen Einblick in den imposanten Gebetsraum. Das Schild, das auf die Frauenempore hinweist, irritiert mich. Muss ich oder kann ich dorthin gehen, frage ich mich. Als ich weitere Frauen im großen Gebetsraum sehe, fühle ich mich ermutigt, ebenfalls einfach hineinzugehen. Überraschenderweise scheint sich niemand daran zu stören. (Wie ich später erfahre, ist die strenge Aufforderung zur Geschlechtertrennung nur auf die Gebetszeiten beschränkt.) Mein Blick wird wie magisch nach oben gelenkt. „Die unterschiedlich gekrümmten Wandscheiben eröffnen immer wieder andere Ausschnitte des Himmels. Das einfallende Licht fasst die hellen stuckierten Wände, den mit türkisfarbenem Teppichboden ausgelegten Boden, die ornamentierte Mihrab (die nach Mekka ausgerichtete Gebetsnische) und den Minbar (die Predigtkanzel) mitsamt der Frauenempore zu einem offenen Raumerlebnis zusammen,“[1] formuliert es Andreas Denk treffend in der Zeitschrift der architekt. (An dieser Stelle sei ergänzt, dass die Innenraumgestaltung von Semih İrteş, Architekt und Künstler, gemeinsam mit dem Kalligraphen Hüseyin Kutlu entworfen und ausgeführt wurde.) “Paul Böhm habe einmal davon gesprochen, dass die verschiedenen Segmente der Moscheekalotte wie die Finger einer schützenden Hand zu verstehen seien, zwischen denen der unendliche Himmel sichtbar werde”, fügt Denk seiner Beschreibung hinzu. Stimmt! Genauso fühlt es sich an. Es ist eine Mischung aus Verlorenheit, die sich bei der eigenen Wahrnehmung innerhalb der gigantischen Raumdimension ausbreitet, die sich aber beim Anblick des Himmels in Geborgenheit wandelt. Einfach nur beeindruckend!
Zwei Wochen später beginnen wir im ehemaligen Esszimmer des Großvaters unser Gespräch. Es ist eine Zeitreise zurück in die Moderne. Die historischen Bilder, die ich aus Publikationen kenne, werden lebendig. Die im gesamten Raum arrangierten Entwurfszeichnungen und Modelle ergänzen den Eindruck, sich inmitten einer Architekturausstellung zu befinden.
Ehemaliges Esszimmer, heutiger Besprechungsraum mit Architekturmodellen und Entwurfszeichnungen
„War es immer schon klar, dass Sie Architekt werden wollten“, lautet meine Einstandsfrage, die Paul Böhm, wie auch seine Brüder, vermutlich bereits seit Jahrzehnten verfolgt. „Eigentlich habe ich es als Kind verabscheut, dass sich bei uns immer alles um Architektur gedreht hat und wollte daher auf jeden Fall etwas anderes werden. Doch dann gab es diese Geschichte mit dem Esel … Ein Freund, seine Schwester und ich hatten uns in den Kopf gesetzt, einen Esel haben zu wollen. Meine Eltern wähnten sich wahnsinnig schlau, indem sie uns zu bedenken gaben, dass ein Esel einen Stall und eine Scheune brauche. Wir verstanden das als Aufforderung und bauten. Hierbei musste ich dann feststellen, dass mir das Entwerfen und Bauen leider viel mehr Spaß machte, als mir lieb war …“, antwortet er schmunzelnd. „Und? Gab es den Esel“, frage ich neugierig nach. „Ah, nein. Gott sei Dank nicht. Sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich Landwirt“, erwidert er lachend.
„Aber vielleicht fühlten Sie sich deshalb dazu motiviert, erste außerfamiliäre architektonische Erfahrungen bei Gottfried Hansjakob (Münchener Landschaftsarchitekt) zu sammeln“, versuche ich doch noch eine letzte Verbindung herzuleiten. „Wer weiß. Immerhin war er es, der mir den Rat gab, doch besser Architektur zu studieren. Was ich dann an den Technischen Hochschulen Berlin und Wien auch tat, bevor ich anschließend bei Richard Meier in New York arbeitete und letztlich 1992 dem Ruf meines Vaters folgte, in das Büro mit einzutreten“, skizziert Paul Böhm seinen beruflichen Werdegang.
„Hat sich mit der jüngeren Generation die Anwendung analoger handwerklicher Methoden im Entwurfsprozess geändert? Ich sehe nirgends digital erstellte Beispiele“, frage ich mit Blick auf die Zeichnungen und Modelle. „Sagen wir mal so: Die Methoden haben sich erweitert. Einem nach wie vor traditionellen Entwurfsprozess folgt die Digitalisierung. Im Zeitalter der Wettbewerbsauslobungen kann darauf nicht mehr verzichtet werden. Lassen Sie uns einfach mal zusammen in die obere Etage gehen. Dort ist mein Büro und auch das Büro, wo mein Team die Entwürfe digital aufarbeitet. Der Arbeitsprozess lässt sich dann sehr leicht nachvollziehen,“ werde ich eingeladen, die Kreativräume des Hauses kennenzulernen.
Wir betreten sein Büro. Ein durchlaufendes Fensterband öffnet es zur Straße und gibt nicht nur den Blick auf einen wunderschönen alten Baumbestand frei, sondern überlässt dem kleinen Raum auch eine gewisse Großzügigkeit. Neben dem typischen Büroinventar demonstriert ein Bereich des Raumes, dass hier nicht nur gezeichnet, sondern auch noch mittels Modell neue Bauformen entwickelt werden. Ich entdecke das Modell der Zentralmoschee.
„In welcher Phase des Arbeitsprozesses ist es entstanden“, möchte ich wissen. „In der Entwurfsphase. Es ist für mich immer sehr wichtig, die Ideen, die ich im Kopf habe, sowohl zweidimensional in einer Zeichnung als auch dreidimensional am Modell durchzuspielen. Allem voran steht natürlich immer erst einmal die Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe, dem vorgegebenen Raumprogramm und natürlich auch die Auseinandersetzung mit dem die Architektur umgebenden Ort. Das alles war in diesem Fall durch die Wettbewerbsauslobung festgelegt,“ beginnt er seine Arbeitsweise anhand des konkreten Beispiels zu erläutern. „Schreibt der Koran eigentlich, außer der Gebetsrichtung nach Mekka, eine bestimmte Form vor. Gibt es eine Bautypologie von Moscheen“, interessiert mich spontan in diesem Zusammenhang.
„Nein. Es gibt in diesem Sinne keine einheitlichen Formvorgaben. Es gibt Kriterien, die zu erfüllen sind, wie beispielsweise die Einrichtung einer Gebetsnische in der Kibla-Wand, eine erhöhte Predigtkanzel oder – wie in diesem Fall – eine Empore für Frauen. Minarette gehören natürlich auch dazu. Der von Minaretten gerahmte Kuppelbau, der für uns als Inbegriff islamischer Sakralarchitektur gilt, hat sich aus der osmanischen Tradition entwickelt, nicht aus dem Koran“, erklärt Böhm und ergänzt: „Die Kuppel war in diesem Fall als Wunsch in der Auslobung formuliert, was uns an diesem Projekt besonders gereizt hat. Heutzutage gibt es kaum noch eine Gelegenheit, dieses markante Element der Architektur anzuwenden, weil es konstruktiv keine Funktion erfüllt.“
„Ihre Interpretation der Kuppelform, die ja fast wie eine gesprengte, transformierte Kuppel aussieht, setzt zweifelsohne die Moschee auch aus städtebaulicher Sicht, höchst wirkungsvoll in Szene. Apropos … Die Idee einen zentralen Kultbau für eine Minderheit innerhalb eines säkularen westlichen Staates zu bauen, auch wenn es sich in diesem Fall um eine große Minderheit handelt, ist ja anfänglich nicht unbedingt auf große Begeisterung bei den Kölnern gestoßen, oder?“ Ich spreche eines der zahlreichen Konfliktthemen an, die das Bauwerk leider über seine gesamte Entwicklungszeit von zehn Jahren begleitet hat. „Ja. Das ist richtig. Doch insbesondere die Bürgerproteste, ihre Angst vor einer Enklave, konnten wir bereits vor Baubeginn in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen aus dem Weg räumen. Schwieriger waren die Diskussionen um unterschiedliche Vorstellungen von äußerer Erscheinung und innerer Gestaltung der Moschee. Der lange Weg zu Kompromisslösungen war schon fast schmerzhaft“, gesteht Böhm offen.
Genau das ist der große Unterschied zur bildenden Kunst. Die Kunst der Architektur ist nicht frei, sie ist den Vorgaben des Bauherren, der Statik, des Rechts, der Denkmalpflege unterworfen. Auf vielfältige Art und Weise müssen Kompromisse gefunden werden. Mit Sicherheit nicht einfach, etwas Neues kreiert zu haben und dann einen solchen Entwurf zu verteidigen und umzusetzen, denke ich gerade. In einer Zeit, in der viele Stararchitekten häufig nur noch mit ihrem Namen für die Akquise neuer Aufträge sorgen, ist es Paul Böhm offensichtlich wichtig, selbst die Ideen der Projekte zu entwickeln. Auf meine Nachfrage antwortet er leidenschaftlich: „Ja. Das ist mir wahnsinnig wichtig. Ich will immer derjenige sein, der die Idee initiiert. Deshalb werden wir nie ein 50 oder 100 Mann starkes Büro sein wie das vieler Stararchitekten.“ Wie zum Beweis schauen wir uns gemeinsam das gegenüberliegende Büro an. Eine übersichtliche Anzahl von Mitarbeitern ist damit beschäftigt, die analog erfassten Ideen mittels High-Tech-Computerprogrammen in digitale Formen zu überführen. Kaum vorstellbar, dass an diesem geradezu museal anmutenden Ort solch futuristische Bauprojekte wie das der Zentralmoschee entwickelt werden …
Lässt sich nun abschließend anhand dieses Beispiels die Frage beantworten, ob Architektur zur Integration beitragen kann? Wird es dieser zeitgenössischen Interpretation eines islamischen Kulturzentrums gelingen, eine Brücke zwischen den Kulturen zu schlagen und ein Ort gemeinsamer Begegnung zu werden? Laut Wolfgang Pehnt hängt die Antwort „von der Toleranz der Stadtgesellschaft, vom Verhalten der Bewohner im Stadtbezirk, von den türkischen Nutzern, vom Bauherrn DITIB und vom vermittelnden Moschee-Beirat“[2] ab. Paul Böhm wünscht sich, dass seine Architektur dazu beiträgt, Schwellenängste abzubauen. „Einfach hingehen“, lautet seine einfache Empfehlung, „einfach hingehen und die Architektur erleben.“ Genau das ist der erste Schritt. Es braucht das Erleben dieser Architektur, um neugierig zu werden. Neugierig darauf, eine uns fremde Kultur und ihre Religion besser kennenzulernen.
Architektur kann somit einen wichtigen Beitrag leisten, die Missverständnisse unserer Zeit abzubauen. Doch – und hier zitiere ich noch einmal Pehnt: „Architektur kann viel. Aber Architektur, auch die eindrucksvollste, kann nicht alles.“ Wir müssen mitmachen!
[1] Andreas Denk. Kritischer Raum. Ein Raum, um Gott zu ehren. In: der architekt. Ausgabe Oktober 2017. [2] Wolfgang Pehnt. Paul Böhm. Bauten und Projekte. Stuttgart/London 2017, S. 21.
Weitere Informationen
… zum Architekten: http://www.boehmarchitektur.de/
… zum Film „Die Böhms. Architektur einer Familie“: https://www.youtube.com/watch?v=UyEVtJPYNQY
… zur Zentralmoschee Köln: http://www.zentralmoschee-koeln.de/
… zu Besucheranfragen: http://www.zentralmoschee-koeln.de/besucheranfrage/
… zur Architekturbeschreibung: http://derarchitektbda.de/kr-17-5/
… zur Publikation von Wolfgang Pehnt: Paul Böhm. Bauten und Projekte. http://www.dbz.de/artikel/dbz_Unaufgeregt_sachlich_2832987.html