St. Émilion, Johannesburg. Was stellt man sich üblicherweise unter Afrikanischer Kunst vor? Geschnitzte Masken, Gemälde in gewaltiger Farbpracht oder schlicht und einfach Exotisches? Die typischen afrikanischen Kunsthandwerksmärkte oder Verkaufsstände am Straßenrand erfüllten zunächst einmal meine europäisch geprägten Erwartungen.
Doch präsentierte sich mir beim ersten Besuch einer Galerie für zeitgenössische Kunst ein völlig anderes Bild. Unmittelbar wurde mir bewusst, dass ich einer klischeehaften Vorstellung gefolgt war. „Afrikanische Kunst?“ Fehlanzeige! Hier zeigten sich vielmehr völlig neue Impulse im Bereich zeitgenössischer Kunst. Alles in allem Werke, die unter die Haut gingen und eine Verbindung erspüren ließen, die mich seither nicht mehr loslässt.
Ebenso erging es Pierre Lombart, als er aus beruflichen Gründen seinem Heimatland Belgien den Rücken kehrte und 1984 – zehn Jahre vor dem historisch so bedeutenden Regierungswechsel – nach Johannesburg zog. Als Fremder in einem Land, dessen Sprache er nicht sprechen konnte, wurde er sich der Kraft der Kunst stärker als je zuvor bewusst, weil diese emotional funktionierte und nicht zwingend einer Sprache bedurfte.
Es war sein großes Glück, dass der Chef des Architekturbüros GLH Architects, in dem er zum erfolgreichen Architekten und Partner aufsteigen sollte, auch Bildhauer und Maler war. Die Chemie zwischen den beiden stimmte. So machte es sich Rodney Grosskopff zur Aufgabe, Pierre Lombart zu fördern und in Südafrika einzuführen. Bei regelmäßigen sonntäglichen Dinnern wurde er immer neben eine seiner Skulpturen platziert, zu der er eine besondere Beziehung aufbaute. Ein Guss dieser Skulptur hat heute einen Ehrenplatz in seinem Zweitwohnsitz St. Émilion.
Skulptur Risen von Rodney Grosskopff
2004 hatte ein schwerer Schlaganfall dafür gesorgt, dass der „Workaholic mit ungesundem Lebenswandel“ [eigenes Zitat von Pierre Lombart] sein Leben neu sortierte. Die Kunst wurde seitdem zu seinem Mittelpunkt. 2014 gründete er SAFFCA (Southern African Foundation For Contemporary Art). Eine Stiftung, die das Ziel verfolgt, talentierte Künstler zu fördern und ihnen den Einstieg in den heimischen und europäischen Kunstmarkt zu ebnen. Barbara Schroeder und Chris Soal, zwei Künstler, die in diesem Blog bereits vorgestellt wurden, gehören beispielsweise dazu.
Wir treffen uns in St. Émilion, der europäischen Artist-Residency (Künstleraufenthaltsort im Rahmen von Austauschprogrammen) von SAFFCA. Das Gebäude beinhaltet einen Ausstellungsraum sowie Ateliers und Künstlerwohnungen.
Nach einer kleinen Einführung in die hier ausgestellten Werke erzählt Pierre Lombart zunächst einmal über die schwierigen Anfänge der Gegenwartskunst in Südafrika.
Beispiele aus der SAFFCA Collection v.l.n.r.: Gerhard Marx Horizontal Figure 2014, Kendell Geers Self portrait (original destroyed on Flight TW800) 1995, Robin Rhode Classic Bike 1998
Lombart: Das System der Apartheid hatte eine natürliche Entwicklung der Kunst unterdrückt. Erst nach ihrem Ende war die erforderliche Freiheit gegeben. Umso beeindruckender war es dann eine Generation von Künstlern heranwachsen zu sehen, die mit einer unglaublichen Kreativität neue Formen künstlerischen Ausdrucks entwickelte. Das große Problem war allerdings, dass es dieser jungen Generation lange Zeit an jeglicher Infrastruktur fehlte, die sich ihrer Ausbildung und Förderung hätte annehmen können. Erst seit 2014 vollzieht sich ein erkennbarer Wandel. Initiatoren wie beispielsweise Jochen Zeitz1 oder Wendy Fisher2 sind hier als wichtige Protagonisten zu nennen, die sich des Problems annahmen. Ziel war und ist es, talentierte Künstler im eigenen Land zu fördern und deren Werke auch dort präsentieren zu können. Kurzum: Zeitgenössischer Kunst einen Raum zu geben.
1 vgl. Zeitz MOCAA. Das Leuchtturmprojekt: https://atelierbesuche.com/zeitz-mocaa/, 2 vgl. Artikel A4 Foundation. Ein innovatives Kunstlabor: https://atelierbesuche.com/a-4-foundation/
Der Kunst Raum zu geben beinhaltet auch im wörtlichen Sinne Atelierräume zur Verfügung zu stellen. Könnte man die in Johannesburg beheimateten Organisationen Bag Factory, gegründet 1991 mit sechzehn oder das August House, gegründet 2006 mit vierzig Ateliers demnach nicht als Vorreiter dieser Idee herausstellen?
Atelierbesuche im Augusthouse, Bag Factory und Victoria Yards, v.l.n.r. Reihe oben: Chrisél Attewell, Lazyhound Coka, Themba Khumalo; Reihe unten: Teresa Kutalo Firmino, Bev Butkow, Yolanda Mazwana
Lombart: Absolut. Ich kenne beide Organisationen und ihre Initiatoren seit den Anfängen. Die zentrale Idee, Künstlern – unabhängig von Hautfarbe, Alter und sozialem Stand – über Ateliergemeinschaften einen Ort zu geben, an dem sie gemeinsam neue Ideen entwickeln und an verschiedensten Förderprogrammen, wie beispielsweise auch Residency Programmen teilnehmen zu können, hat mich letztlich auch zur Gründung von SAFFCA inspiriert. Beide Organisationen gehören zu unseren Partnern.
Residency in der Entabeni Farm in Knysna, Südafrika in Partnerschaft mit Axon Investments
Was unterscheidet SAFFCA von anderen Foundations?
Lombart: Mir war es wichtig, auch einen räumlichen Link nach Europa herzustellen. Deshalb gibt es diesen Standort in Frankreich, der über die Partnerschaft mit AFSACSA3 ermöglicht wird.
Künstler wie Kendell Geers, dessen Karriere übrigens ebenfalls in der Bag Factory ihren Anfang genommen hat, setzen sich seit Jahren mit der Verbindung beider Kontinente auseinander. Viele vergessen, dass Kunst und Kultur wesentliche Komponenten des kolonialistischen Systems waren. Jeder, der in einer der früheren Kolonien geboren worden war, hatte eine Verbindung zu Europa. Und das beeinflusste entscheidend die Entwicklung der afrikanischen Kultur. Die erzwungene Anpassung hatte es verlangt, eigene Traditionen aufzugeben und sich dem System anzupassen. In der Konsequenz waren Bilder, Objekte und Ideologien des Europäischen Kontinents rekontextualisiert und in die Afrikanische Kultur aufgenommen worden. Afrika wurde irgendetwas zwischen dem, was es einmal war und Europa. Das hat natürlich auch die Kunstproduktion maßgeblich beeinflusst.
3 AFSACSA (Association Française de Soutien à l’Art Contemporain du Sud de l’Afrique)
Soll heißen, dass die Entwicklung der Kunst stärker durch die europäische Kunstgeschichte und die Erwartungen des Tourismus beeinflusst war als durch die eigene Tradition?
Lombart: Ganz genau. Und das ändert sich erst langsam seit dem Ende der Apartheid. Dennoch ist diese Verbindung aufgrund der Historie gegeben und das Thema Identitätsfindung nach wie vor ein wichtiger Teil der gesellschaftspolitischen und somit auch künstlerischen Auseinandersetzung. Zur Förderung dieser Auseinandersetzung ermöglichen wir mit SAFFCA den Austausch der Künstler – sozusagen als physischen Kulturaustausch. Derzeit noch ausschließlich mit Frankreich und Südafrika. Geplant ist aber eine Zusammenarbeit mit weiteren Partnern in europäischen Ländern.
Welche Rolle spielt der Kunstmarkt im Zusammenhang der Förderprogramme von SAFFCA? Ein Blick auf die Messen lässt eine zunehmende Akzeptanz zeitgenössischer afrikanischer Kunst erkennen.
Lombart: Uns ist es zunächst einmal wichtig, dass unsere Künstler ihre Werke an attraktiven Orten präsentieren können. Deshalb arbeiten wir mit Partnern wie dem Institut Français oder Maxwell Baynes in Kooperation mit Christies Real Estates zusammen oder organisieren Benefizauktionen mit dem renommierten Auktionshaus Strauss. Bei Veranstaltungen in diesem Rahmen treffen die Künstler dann auch auf Galeristen und Sammler, was einen Einstieg in den Kunstmarkt ermöglichen und auch unterstützen soll.
Beispiele der Benefizauktion Seed (2019), v.l.n.r. Reihe oben: Chrisél Attewell, Learning to dance (2019), Mohau Modisakeng Zion12 (2018), Athi-Patra Ruga, The Whole world loves her (2019), Reihe unten: Banele Khoza Kgabo (2019), Chris Soal, All we have and have forgotten to hold (2019), Gerhard Marx, Cave (2010), William Kentdridge, Your turn is not next (2019)
Was die Akzeptanz der Kunst auf Messen angeht, bewerte ich es als äußerst positiv, dass entsprechende Galerien sich immer stärker international präsentieren. Irgendwie traurig ist es allerdings, dass es für ihre Wahrnehmung in den Kunstmetropolen der Welt eigene Messen wie die AKAA in Paris oder die 1:54 in London und New-York brauchte. Doch ich denke, dies war der Preis war, der zu zahlen war. Wie du dir vorstellen kannst, ruft diese Art der Segregation bei Südafrikanern traurige Erinnerungen hervor.
Viele der Künstler deiner eigenen Sammlung sind mittlerweile international erfolgreich, so dass sich eine erhebliche Wertsteigerung entwickelt hat. Ebenso wie der bereits erwähnte Kendell Geers ist da vor allem William Kentridge zu nennen. Mit welcher Intention kaufst du persönlich Kunst?
Lombart: Das Wort Sammlung mag ich nicht gern. Ich kaufe Kunst, um Künstler zu unterstützen. Ich gebe ihnen hiermit ein kleines bisschen wirtschaftliche Sicherheit, um weiterzumachen, zeige ihnen aber vor allem, dass da jemand ist, der an sie glaubt und mache auch meine Freunde auf diese Talente aufmerksam. Wenn sich diese Kunst dann am Kunstmarkt positiv entwickelt, ist das ein schöner Nebeneffekt [schmunzelt].
Eine rasante Entwicklung, leider mit tragischem Ende nahm Benon Lutaaya. Aufgrund einer Krebserkrankung verstarb er im letzten Jahr im Alter von nur 34 Jahren. Was war das Besondere an seiner Kunst?
Lombart: Benon war nicht nur ein herausragender Künstler sondern auch ein ganz besonderer Mensch. Er kam aus Uganda, wo er bei seiner Gogo [Großmutter] zwischen Straßenkindern aufgewachsen war. Dank eines Stipendiums der Bag Factory war es ihm ermöglicht worden nach Johannesburg zu kommen. Das erforderliche Material, also Pinsel, Farbe und Leinwände waren ihm in diesem Rahmen zur Verfügung gestellt worden. Weil er aber wie ein Besessener gemalt hatte, waren ihm in kürzester Zeit die Materialien ausgegangen. Sein Stolz hätte es niemals zugelassen um Nachschub zu bitten. Also was machte er? Ein Blick auf den Boden seines Studios brachte ihn auf die entscheidende Idee. Über die gesamte Fläche waren dort, zum Schutz des Bodens vor Farbspritzern, Zeitungs- und Magazinseiten ausgelegt. Warum nicht dieses Papier nutzen, um daraus Collagen zu kreieren? Und so entstanden letztlich aus dem Abfall seines eigenen Kunstschaffens jene von einer unglaublichen Intensität geprägten Portraits, die in rasanter Geschwindigkeit den Kunstmarkt erobern sollten. Doch damit nicht genug … Er investierte sein Kapital nicht für eigene Zwecke, sondern gründete zur Förderung von Frauen die Institution The Project Space im Areal des Kreativzentrums Victoria Yards. Es war ihm ein zwingendes Bedürfnis etwas von dem weiterzugeben, was er selbst erfahren durfte.
Collagen von Benon Lutaaya
Ein Gedanke, der auch dich stetig antreibt, wenn man die Entwicklung von SAFFCA betrachtet. Was ist als nächstes geplant?
Lombart: Um eine größere Öffentlichkeit erreichen zu können, ist im nächsten Jahr [2020] der Umzug von St. Émilion nach Brüssel geplant. Neben der bereits erwähnten Suche nach weiteren Partnern in europäischen Ländern planen wir darüber hinaus gerade eine Tour d’Europe mit einer Retrospektive von Benon Lutaya. Ausstellungsorte in Paris und Brüssel sind bereits gefunden. Ein weiterer Wunschort wäre Berlin …
Das Gespräch fand im November letzten Jahres statt. Im Februar dieses Jahres trafen wir uns in Johannesburg bei einem Dinner in seinem Zuhause wieder. Es war ein wunderbarer Abend, an den ich sehr dankbar zurückdenke.
v.l.n.r.: Robin Attewell, Chrisél Attewell, Lynn Lombart, Els van Mourik, Candice Berman, Jan Schnocks, Elke Backes, Chris Soal