Text: Dr. Elke Backes, Fotos: Jan Glisman und Natascha Romboy
Eigentlich sollte es für Jan Glisman „nur“ die künstlerische Dokumentation eines spektakulären Events in Köln werden: Die Sprengung aller drei Gebäudeteile des 138 Meter hohen Funkturms der Deutschen Welle, des dritthöchsten Gebäudes der Stadt. Die Fördergelder waren bewilligt, die Pläne ausgetüftelt, doch dann kam alles ganz anders.
Die Gefährdung des Sendebetriebes des durch eine gemeinsame Bodenplatte verbundenen Deutschlandfunks sowie die von Bewohnern der Nachbarschaft befürchtete Ausbreitung von Asbestfasern hatten die Sprengung verhindert. Stattdessen hieß es deshalb „Rückbau“. Ein Prozess, der sich über insgesamt fünf Jahre erstrecken sollte und Glisman zu einer Dokumentation über genau jenen Zeitraum herausforderte. Unmengen von Fotos, Videomaterial und Zeichnungen entstanden zunächst, ohne dass eine konkrete Idee bestanden hätte, was damit geschehen sollte.
Jan Glisman (Foto oben ©Dmitry Zakharov) bei der Dokumentation des Rückbaus der Deutschen Welle.
Über die intensive Sichtung und Auseinandersetzung mit dem Material wandelten sich die Daten schließlich in künstlerische Arbeiten – gebündelt in einem außergewöhnlichen, multimedialen Kunstprojekt. Themen wie Zeit, Bewegung, Vergänglichkeit, der Sieg eines Winzlings gegen menschlichen Größenwahn … all das wird erlebbar.
Wir treffen uns in der im Deutschlandfunk präsentierten Ausstellung, die gemeinsam mit dem Kunstverein artrmx e.V. und dem Deutschlandradio ausgerichtet wird. Zu sehen sind Fotografien, Linsenrasterdrucke, skulpturale Installationen aus Fragmenten des ehemaligen Gebäudes der Deutschen Welle und Zeichnungen. Für die Finissage wird der Kammermusiksaal erstmals für eine Kunstpräsentation geöffnet und die Ausstellung mit einer multimedialen Installation, die Jan Glisman in Kooperation mit dem Medienkünstler Dmitry Zakharov und der Klangkünstlerin Jiyun Park entwickelt hat, zum Abschluss gebracht.
Im Gespräch mit Jan Glisman. Im Hintergrund sind Fotografien des Rückbaus der Deutschen Welle zu sehen.
Neben den bildhauerischen Arbeiten sind seine präzisen, geradezu analytisch gefertigten Zeichnungen typisch für Glismans Werk. Beim Betrachten der größten seiner Zeichnungen zu diesem Projekt dachte ich zunächst sogar, es sei eine Fotografie, genauer gesagt, die Fotografie einer mikroskopisch aufgenommenen Naturfaser. Doch lässt die Struktur etwas ungewöhnlich Bedrohliches erkennen. Nicht weich und organisch, sondern spitz und dornenartig. „Was ist es?“
Betrachtung der Pastellzeichnung Asbestdisco, rechts Detailansicht.
Glisman: Das ist eine Pastellzeichnung von Chrysotil-Asbest. Die Vorlage dazu entstand in einem Forschungszentrum am Elektronenmikroskop in millionenfacher Vergrößerung. Ich fand es spannend, das winzige, für das Auge nicht sichtbare Material, das den Riesen zu Fall gebracht hatte, seiner Rolle gerecht auch riesig zu zeichnen. Jenes natürliche Material, das seiner Wortbedeutung entsprechend – Asbestos kommt aus dem Griechischen und bedeutet Unvergänglichkeit – im absolut negativen Sinne gerecht wurde. Geradezu als Sinnbild für den Sieg der Natur gegen den Menschen.
E.B.: War es für dich von Beginn an schon klar, dass dieses Bild eine solche Symbolkraft für alles haben würde, was mit diesem Projekt in Zusammenhang steht?
Glisman: Nein. Weil es meiner typischen Herangehensweise entspricht, mich den Dingen zeichnerisch zu nähern. Ich komme ja ursprünglich aus der Anatomie, habe medizinische Illustration auf der Kunstakademie Maastricht in Kooperation mit der Medizinischen Fakultät studiert. Um wissenschaftliche Infografiken erstellen zu können, habe ich gelernt Dinge genau zu beobachten, zu analysieren, und zeichnerisch zu durchdringen. Erst durch das detaillierte Betrachten von allen Seiten, durch das Vordringen ins Innere, erschließen sich für mich komplexe Sachverhalte. In meiner bildhauerischen Arbeit geht es darüber hinaus noch um die Erforschung des jeweiligen Materials, was sich in diesem Projekt miteinander verbunden hat. Welche Gefahr von Asbest ausgeht, konnte ich deshalb vor allem über die zeichnerischen Arbeiten für mich erschließen und letztlich auch künstlerisch darstellen.
Jan Glisman im Atelier.
E.B.: Und die Zeichnungen der Bürotürme?
Glisman: Das sind meine Studien zur Architektur. Bei der Zeichnung, die das Gebäude aus der Vogelperspektive in seinem räumlichen Umfeld zeigt, wurden mir darüber hinaus dessen mächtige Gestalt innerhalb des Stadtbildes und damit auch stadtplanerische Aspekte bewusst. Ebenso wurde dabei das Thema Zeit spürbar. Die langsam und detailliert ausgeführten Zeichnungen entsprachen in gewisser Weise dem langsamen Prozess des Rückbaus, der super präzise, Stockwerk für Stockwerk, ein auf lange Zukunft geplantes Gebäude zum Verschwinden gebracht hat. Die Wahrnehmung des zeitlichen Aspekts wurde verstärkt bei der späteren Sichtung der über den gesamten Zeitraum entstandenen Fotografien.
Betrachtung der Zeichnungen Hybriskorrektur.
E.B.: Mit welcher Technik sind wie viele Fotografien insgesamt entstanden?
Glisman: Technisch entstanden sind die Fotografien durch vier für diesen Zweck umgebaute Actionkameras, die ich unter anderem an diesem Gebäude [dem benachbarten Funkhaus Köln, E.B.] im 18. Stock installiert habe. Die Kameras waren so programmiert, dass alle 20 Minuten ein Bild ausgelöst wurde. Im Ergebnis sind 125.000 Bilder entstanden. Darüber hinaus gibt es noch Filmmaterial aus über 200 Drohnenflügen.
E.B.: Die Sichtung möchte ich mir nicht vorstellen. Das sind ja Unmengen! Wusstest du von Beginn an, was künstlerisch damit geschehen sollte?
Glisman: Nicht die Spur [lacht]. Es ging ja zunächst einmal nur um die Dokumentation. Das der Faktor Zeit, der konzeptuell so häufig in meinen Arbeiten eine so große Rolle spielt [vgl. Atelierbesuchsbeitrag 10/2017, Link unten], sich auch in diesem Projekt so zentral zeigen würde, hatte ich nicht erwartet. Doch als ich die Aufnahmen des schwindenden Riesen, aus immer derselben Perspektive, bei Tag und Nacht, in wiederkehrenden Jahreszeiten, gesehen hatte, wusste ich sofort, dass ich diese Zeitlichkeit in der Betrachtung erfahrbar machen musste. Dafür musste ich allerdings das richtige Medium finden. Neben Zeitrafferfilmen kam ich per Zufall auf die Idee mit den Linsenrasterdrucken. Das sind Bilder, die mittels winziger optischer Linsen oder Prismen den Eindruck einer Bewegung, eines Bildwechsels oder auch eines 3D Effekts erzeugen.
Gemeinsam stehen wir nun vor den Ergebnissen. Tatsächlich wird über meine Bewegung der sukzessive Rückbau, bis hin zum Verschwinden, aber auch umgekehrt, die scheinbare Wiederauferstehung des Gebäudes erkennbar. Bisher kannte ich eine solche Animation eines zweidimensionalen Mediums nur von kleinen Wackelbild-Postkarten.
Betrachtung der Linsenrasterdrucke.
Linsenrasterdrucke.mp4 from Jan Glisman on Vimeo.
E.B.: Erinnert ja schon fast an die Betrachtung einer Skulptur, die auch nur durch die Bewegung im Raum erfasst werden kann.
Glisman: Absolut. Auch aus bildhauerischer Sicht war es mir deshalb wichtig, noch etwas Installatives zu entwickeln. Neben meinem umfangreichen digitalen Material hatte ich noch zehn der Aluminiumplatten, die zu vielen Tausenden zur Verkleidung des Gebäudes verwendet worden waren, ergattern können. Es stellte sich die Frage, wie sich dieses Material ins Thema einbinden lassen könnte. In Kooperation mit dem Multimediakünstler Dmitry Zakharov und der Soundkünstlerin Jiyun Park ist schließlich die Idee der multimedialen Installation entstanden, die im Kammermusiksaal der Deutschen Welle anlässlich der Finissage zu sehen sein wird. Mittels dieser Installation werden wir das Gebäude, 50 Meter von der Baustelle entfernt, visuell und akustisch wieder auferstehen lassen.
E.B.: Wie kann ich mir das denn vorstellen?
Glisman: Dmitry hat die Drohnenaufnahmen in 3D-Software eingespeist und aus diesen Daten eine multimediale Lichtskulptur entwickelt, die in gigantischer Größe im Raum schweben wird; Jiyun hat an den Aluminiumplatten sogenannte Körperschallwandler installiert. Das sind Systeme, die Vibration auslösen. Sobald man sich zwischen den an der Decke befestigten Platten bewegt, wird die Luft in Schwingung versetzt und die Platten lösen unterschiedliche Sounds aus. Idee ist es, dem durch den Raum schwebenden Gebäude auch eine Stimme zu geben. Insgesamt erfordert die Wahrnehmung dieser Gesamtinstallation also wieder die Bewegung im Raum.
Impressionen der Finissage, Fotos: ©Christoph Hamacher
E.B.: Klingt nach dem feierlichen Abschluss eines wahrhaftigen Mammutprojekts, das enorm viele Aspekte thematisiert. Gibt es schon Pläne, was als Nächstes ansteht?
Glisman: Erst einmal freue ich mich auf mein Atelier. Habe große Sehnsucht, wieder mit formbarem Material zu arbeiten [lacht] …
Weiterführende Links
Website Jan Glisman: https://www.jan-glisman.com
Rückbau Deutsche Welle: https://www.jan-glisman.com/portfolio/solo-artrmx-e-v-abbruch-dw/
Atelierbesuchsbeitrag: https://www.elkebackes-artdialog.com/jan-glisman/