Fotos: Sarah Schovenberg
Düsseldorf, 30. Januar 2018. Mein heutiger Atelierbesuch verschafft mir Einlass in einen ganz besonderen Bereich der Düsseldorfer Kunstakademie. Es ist das mit einer hochwertigen Renderfarm ausgestattete obere Geschoss der ehemaligen Reuterkaserne. Ich bin mit Manuel Graf verabredet, der hier einen Lehrauftrag erfüllt und auch seine eigenen filmischen und grafischen Arbeiten entwickelt. Graf, der selbst an der Düsseldorfer Akademie studiert hat, stellt mittlerweile national wie auch international in diversen Gruppen- und Einzelausstellungen aus und wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Seine Arbeiten bewegen sich zwischen Bildhauerei, Malerei und Film, sind aber anschaulicher mit dem Begriff Animationskunst zu überschreiben, wie ich später noch erfahren werde.
ich betrete einen riesigen Raum, der eher einer Forschungseinrichtung für neue IT-Systeme ähnelt, als einem Ort, an dem Kunst entstehen könnte. So sieht also ein Atelier für Virtual Art aus, stelle ich ernüchtert fest. Dass es sich hier um einen Rechnerverbund zum Erzeugen von 3-D-Computergrafiken und Computeranimationen handelt, wird erst mit einem Blick auf einen der Bildschirme erkennbar. Nachdem wir an dem mit High-Tech-Equipment ausgestatteten Schreibtisch von Manuel Graf Platz genommen haben, nähere ich mich vorsichtig der mir fremden Thematik.
“Renderfarm” der Düsseldorfer Kunstakademie
„Ist es richtig, wenn ich die Animationskunst dem übergeordneten Bereich der Neuen Medien zuordne?“. „Nein“, lautet die überraschende Antwort von Manuel Graf. „Das Medium existierte weit vor Beginn der technischen Möglichkeiten. Mittels Animation wird schlichtweg Bewegung dargestellt. Ein Blick auf die Ideengeschichte der Animation zeigt, dass sich schon in Bilderreihen der Höhlenmalerei Bewegungsabläufe erkennen lassen. Auch in antiken Skulpturen ist zu sehen, dass der Moment einer Bewegung dargestellt wird. Für mich ist die 3-D-Animation daher viel stärker im Kontinuum der Malerei und Bildhauerei verortet, als in den Neuen Medien. Der Unterschied wird auch sehr gut im Vergleich zur Fotografie deutlich. Während die Animation durch einen aufbauenden Bildprozess bestimmt wird, bildet die Fotografie eine physische Realität ab. Das Bild ist schon da“, erklärt Manuel Graf.
Zur Veranschaulichung gibt es nun für mich eine kleine Einführung in das 3-D-Animationsprogramm. Ich beschränke mich darauf, nur dem Bildaufbau und nicht den Arbeitsschritten als solchen zu folgen, die in rasanter Geschwindigkeit aufeinanderfolgen. In wenigen Minuten entwickelt sich aus verschiedenen Bildebenen eine fotorealistische Darstellung. Es ist vor allem die Berechnung der Licht- und Schattensituationen, die die perfekte Illusion erzeugt.
„Seit wann arbeitest du mit solcherart Programmen und was fasziniert dich besonders daran“, möchte ich nun wissen. „Seit Anfang der 2000er arbeite ich damit. Schon mit Beginn meines Studiums haben mich Materialexperimente in den verschiedenen Medien der Kunst fasziniert. Ich arbeite auch immer gern parallel an verschiedenen Projekten“, antwortet Graf.
„Ergänzt du deshalb deine Videoprojektionen so häufig durch bildhauerische Arbeiten und präsentierst sie als Installation“, fasse ich nach. „Auch. Aber hierbei geht es mehr um die Idee, die reale und virtuelle Form ein und desselben Gegenstandes parallel zu zeigen. So kann dann beispielsweise eine Keramik sowohl auf einem Sockel, als auch gleichzeitig auf der Projektionsfläche betrachtet werden. Bei den Stühlen ist es ähnlich. Hierbei verbinde ich den Stuhl als physisches Objekt mit einem Flatscreen. Der Stuhl ist hierbei sowohl Halter des Screens, als auch Teil der Animation und des Objekts selber,“ erläutert Graf diese Grundidee anhand veranschaulichender Beispiele.
Beispiel 1 einer Kombination aus virtueller und realer Installation
Beispiel 2 einer Kombination aus virtueller und realer Installation
„In deinen filmischen Arbeiten setzt du dich häufig mit Architektur auseinander. Wie beispielsweise im Film let music play. Was motivierte dich hierzu?“ „Damit wollte ich die Raumdynamiken verschiedener Bautypen darstellen. Ich vergleiche darin den Längsbau, den Zentralbau, die Säulenhalle und die Vier-Iwan-Moschee, um einen zentrifugalen Moment in der Architektur zu behaupten.“ Während seiner Erklärung schauen wir uns gemeinsam den Film an. (Nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell ein absolutes Highlight!!!)
Let music play?
„Klingt nach einem nicht unbedingt unkomplizierten wissenschaftlichen Ansatz. Du hast demnach die räumliche Wahrnehmung von Bautypen der frühen Architekturgeschichte ins Jetzt transformiert. Ist es für dich wichtig, dass der Betrachter diese Auseinandersetzung mit kultureller Vergangenheit versteht“, frage ich nach. „Im Ergebnis möchte ich vor allem über die Bilder verführen und eine inhaltliche Schwere vermeiden. Es ist schön, wenn der Betrachter neugierig wird und sich im Nachgang mit der Thematik auseinandersetzen möchte. Doch ist die Vermittlung einer Botschaft für mich nicht das primäre Ziel“, antwortet Graf.
„Aktuell beschäftigst du dich auch mit Architektur-Rendering, der softwarebasierten Form von Architekturillustration. Du erzähltest, dass dich vor allem Immobilienentwickler beauftragen, mittels fotorealistischer Situationen stimmungsvolle Ansichten ihrer Entwürfe zu simulieren. Inwiefern findet hierbei denn eine künstlerische Auseinandersetzung statt?“.
„Spannend war für mich die Entdeckung, dass sich in diesem Genre immer stärker ideologische Ästhetiken herausbilden, die die Abbildung eines bestimmten Gesellschaftsbildes beabsichtigen. Das geschieht über verschiedenste Muster. Beispielsweise ist es interessant zu beobachten, wie stilisiert in der ansonsten perfekten Architekturillusion Menschen dargestellt werden. Es ist auch spannend zu analysieren, welche Motive für welche Bauvorhaben ergänzt werden oder in welchen Fällen diese oder jene Licht- oder Wettersituation favorisiert wird. Vor allem im Bereich der Luxusimmobilien bildet sich immer stärker eine vom männlichen Investor geprägte Umwelt- und Verkaufsästhetik heraus. Deshalb entstand die Idee, über die Entwicklung eines Gegenmodells ein Bewusstsein für diese typisierte Ästhetik zu schaffen und dieser eine neue entgegenzusetzen.
Beispiele typischer Architektur-Renderings (Bild 1: Cadman, Bild 2: Ingenhoven architects)
Ultra 1–2 Architektur-Rendering von Manuel Graf
„Apropos einer typischen Ästhetik eine neue entgegensetzen. Im Rahmen des Markus-Ambach-Projekts Von fremden Ländern in eigenen Städten beteiligst du dich an einem wichtigen Kunstprojekt, das in diesem Jahr im öffentlichen Raum in Düsseldorf stattfindet. Was hast du genau geplant?“
„Ziel dieses Projekts ist es, den Veränderungsprozess um den Hauptbahnhof sichtbar zu machen. Meine Idee war es, für die Rückseite des Bahnhofs, den Bertha-von-Suttner-Platz, eine neue Wahrnehmung zu schaffen. Diese Idee hat wieder etwas mit Architektur zu tun und interessanterweise wieder mit einem Bautyp, mit dem ich mich bereits intensiv beschäftigt habe. Schaut man sich den im postmodernen Stil erbauten Platz einmal genauer an und wendet seinen Blick nach oben, erkennt man die Parallelen zum Außenraum-Programm einer Vier-Iwan-Moschee. Diese Parallele werde ich mittels einer Licht-Projektions-Installation visualisieren.“
Lichtprojektion auf dem Bertha-von-Suttner-Platz für das Projekt Von fremden Ländern in eigenen Städten (Markus Ambach Projekte)
Lässt sich innerhalb dieser sehr unterschiedlichen Projekte, die nur einen kleinen Ausschnitt des Werks Manuel Grafs darstellen, ein roter Faden erkennen? Das frage ich mich abschließend. Auch wenn er in erster Linie mit Bildern verführen und eine inhaltliche Schwere vermeiden will, versuche ich mich dennoch hier einmal an der Herleitung einer übergeordneten Bedeutungsebene…
Am Beginn unseres Gesprächs stand die Betrachtung der Ideengeschichte der Animation. Während ihre ursprüngliche Idee darin bestand, über das Erstellen und Anzeigen einer Abfolge von Einzelbildern ein bewegtes Bild zu schaffen, so kann die heutige 3-D-Software durch übereinander, in einer Bildebene vereinte Bilder auch Räumlichkeit simulieren. Neben Bewegung kann somit also auch die fotorealistische Illusion eines Einzelbildes erzeugt werden. So weit, so gut. Kann es also vielleicht sein, dass das Medium der Animation in den Arbeiten Manuel Grafs nicht nur Instrument, sondern auch Thema seiner Arbeiten ist?
In der Vielfalt der Beispiele, die ich heute gesehen habe, ist eine entscheidende Gemeinsamkeit erkennbar. – Die Auseinandersetzung mit räumlicher Wahrnehmung. Ob animierte architektonische Planskizzen, Projektionen virtueller Doppelgänger oder animierte Lichtinstallationen im öffentlichen Raum. Immer geht es – und das unabhängig jeden Inhalts – um die Auseinandersetzung mit räumlicher Wahrnehmung. Bei der Betrachtung der Arbeiten von Manuel Graf werden tradierte Seh- und Denkgewohnheiten aufgebrochen und dem Betrachter neue Sichtweisen vorgeschlagen.
Doch lässt auch gerade die Vielfalt der unterschiedlichen Beispiele eine weitere, sehr einfache, aber dennoch bedeutende Gemeinsamkeit erkennen: Es ist das kontinuierliche Experiment, die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Mediums als solchem, die unaufhaltsame Suche nach immer neuen formalen Umsetzungen, nach immer neuen zeitgenössischen Interpretationen.
Auf den Spuren der Animation wird gleichzeitig ihre eigene Ideengeschichte fortgeschrieben …
Weitere Informationen
… zum Künstler: manuel-graf-biography
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