Mit Philipp Humm im Kinosaal (im Hintergrund: Ölgemälde Angel on Cross)
Fotos: Daniele Mah
London, Filmpremiere von The Last Faust. Schon der Trailer und ein kleiner Einblick in das mittlerweile einhundertfünfzig Werke umfassende Gesamtkunstwerk* (Grafik, Aquarell, Fotografie, Ölgemälde und Skulptur) von Philipp Humm hatten mich in ungläubiges Staunen versetzt. Doch was ich heute im Kinosaal und morgen in seinem Atelier zu sehen bekommen werde, bewegt sich absolut jenseits meiner Erwartungen. Ein faszinierender Mix aus surrealen, schrägen, komischen, gleichzeitig aber auch beklemmend visionären Bildern zieht mich unmittelbar hinein in eine cineastische Zukunft der Welt. Eine Welt, in der die künstliche Intelligenz die Macht über den Planeten Erde übernommen hat …
*Bezeichnung laut Presseerklärung
Filmtrailer
Philipp Humms Interpretation von Goethes Faust I und II ruft Gänsehaut hervor. Auch wer das Epos nicht gelesen hat, weiß meist um den wesentlichen Kern des Inhalts, hat schon einmal von Dr. Faust gehört, der beherrscht von Gier und Ehrgeiz seine Seele an den Teufel Mephisto verkauft und erwartungsgemäß tragisch endet.
Wie aber ist es Humm gelungen, einen Literaturklassiker aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert derart zu inszenieren, dass die eher schwere Kost visuell als ein Stück Popkultur und inhaltlich in ihrer Zeitlosigkeit wahrgenommen wird?
Zur Beantwortung dieser Frage besuche ich Philipp Humm in seinem Atelier, das sich in seinem Zuhause, einem wunderschön umgebauten, typischen Londoner Townhouse befindet.
Trotz der frühen Stunde (8 Uhr morgens nach der Premierenfeier) bin ich sofort hellwach, als ich den Wohnraum betrete. Oder sollte ich besser sagen Showroom? Eine gigantische Auswahl der verschiedenen Faust-Werke ist hier in Perfektion kuratiert. Vieles erkenne ich aus dem Film wieder.
Von links oben nach rechts unten: Einblick in den Wohnbereich, Fotografie (Foto: Daniele Mah): Lamia dance, Filmszene und Ölgemälde Cyberwar
Meine spontan aus mir heraussprudelnden Fragen werden schnell ausgebremst. „Um das Ganze in seiner Logik zu verstehen, sollten wir vielleicht besser oben im Atelier starten“, schlägt Philipp Humm vor. Gesagt, getan. Wir gehen hoch.
Auch dieser Raum ist perfekt. Alles ist an seinem Platz. Es ist so ordentlich, dass ich ihn frage, ob hier in der letzten Zeit noch gearbeitet worden ist. „Ja“, antwortet Humm lachend. „Ich halte den Raum auch deshalb so clean, weil wir einen Staubsauger-Hund haben, der alles aufschleckt. Also auch Ölfarbe …“
Das leuchtet ein. Mit den Begriffen Logik und Ordnung lässt es sich auch gleich zur sehr besonderen Vita des Künstlers überleiten. Bis 2015 war Humm ein erfolgreicher Manager und als CEO für große Technologieunternehmen wie Vodafone, T-Mobile und Amazon tätig.
Wie kommt man auf die Idee eine solche Laufbahn zu beenden und zum Künstler umzusatteln?
Humm: Die Idee schlummerte schon sehr lange in mir. Als Kind zeigten sich bereits meine zwei Begabungen. Die eine war Mathe, die andere Kunst. Nach dem Abitur stand meine Entscheidung fest, Künstler werden zu wollen. Leider hatte ich die Bewerbungszeiten an der Kunsthochschule Berlin nicht auf dem Schirm, sodass ich innerhalb von zwei Wochen ein Portfolio, bestehend aus Arbeitsbeispielen in verschiedensten Medien zusammenstellen musste. Das ging erwartungsgemäß schief. Ich wollte keine Zeit verlieren und habe mich deshalb mit Fotografie beschäftigt, bin hierüber in der Werbung gelandet, habe schließlich Marketing studiert und eine schnelle Karriere innerhalb der Betriebswirtschaft gemacht. Parallel wurde ich dreifacher Familienvater, sodass für Künstlerisches keine Zeit mehr blieb. Als meine Kinder dann erwachsen waren und es mich beruflich nach London verschlagen hatte, merkte ich schnell, wie stark die zweite Seele in mir schlug. Ich begann wieder zu malen – dreißig bis vierzig Stunden in der Woche –, neben meinem Job. Recht schnell wurde mir klar, dass ich eine Entscheidung treffen musste, um der Sache ernsthaft nachgehen zu können. Ich dachte an meinen Vater, der mittlerweile neunzig Jahre alt ist und nahm ihn mir zum Vorbild. ‚Ist noch genug Zeit‘, dachte ich mir. So habe ich mich schließlich für die Kunst entschieden und an den London Fine Arts Studios und der Florenz Academy of Art Painting and Sculpting from Life studiert.
Links: Gespräch im Atelier, rechts: Ölgemälde Blindness
Ein großer Schritt! Und was hat dich schließlich auf die Idee von Faust gebracht?
Humm: Grundsätzlich möchte ich mit meiner Kunst etwas erzählen. Deshalb waren meine Bilder und Skulpturen immer figurativ, oft auch von Symbolik geprägt. Zwei Quellen haben mich letztlich entscheidend dazu inspiriert, einen Klassiker neu zu interpretieren. Zum einen waren das die Gemälde von Paula Rego, die für ihre Bilder oft zunächst eine Mise en Scène und damit ihre eigene Referenz kreiert, bevor sie diese dann malt. Zum anderen war es eine Ausstellung von Dalí, in der seine Interpretation von Dantes Göttlicher Komödie präsentiert wurde. Das fand ich genial. Als Deutscher wollte ich ein deutsches Thema bearbeiten. Ich dachte unmittelbar an Faust, wenn ich auch gestehen muss, dass ich nur den Faust I kannte. Ich las also Faust I und II und hatte plötzlich das Gefühl, die Werke seien für das 21. Jahrhundert geschrieben worden und Goethes Stoff habe auf mich gewartet.
Ohne jetzt inhaltlich zu sehr ins Detail gehen zu wollen, in diesem Zusammenhang eine Frage zum Hintergrund. Goethe lebte im Zeitalter der Aufklärung und Industriellen Revolution. Wir leben im Zeitalter der Digitalen Revolution. In den Ursprungswerken wie auch in deiner Interpretation spielen der Einfluss des technologischen Fortschritts auf das menschliche Denken und Handeln eine entscheidende Rolle. Du warst beruflich mittendrin im High-End der Technologie. Hast du deinen Beruf auch deshalb aufgegeben, weil du dein Denken und Handeln innerhalb dieses Systems in Frage gestellt hast?
Humm: Nun ja, spätestens in der Szene, in der Faust das Konterfei meines Kopfes in der Hand hält, findet sich die Antwort … [schmunzelt vielsagend].
Filmstill: Zealous und Genius: „Two souls live in me, alas, Irreconcilable with one another“ Faust
Stimmt, ist selbsterklärend. Zurück zum Werk: In welcher Reihenfolge ist das Gesamte entstanden?
Humm: Nach dem Studium des Originals habe ich die für mich wichtigsten Szenen in eine neue Erzählung transportiert. Für die jeweiligen siebenunddreißig Szenen habe ich dann ein Storyboard gezeichnet, das ich zunächst als Vorlage für meine illustrativen Bleistiftzeichnungen genutzt habe, bevor anschließend die fotografische Inszenierung erfolgt ist.
[Des Pudels Kern …] Skizze, Bleistiftzeichnung und Fotografie (Foto: Daniele Mah) von Apparition: „So it’s you who was the poodle!“ „And what’s your name?“ Faust
Woher kamen die Referenzen? Hast du nach digitaler Vorlage gezeichnet?
Humm: Nein. Aus der Hand. Glücklicherweise bin ich ein sehr visuell denkender Mensch. Lediglich die Gesichter habe ich nach dem Vorbild von Schauspielern gezeichnet, die ich mit der jeweiligen Rolle in Verbindung gebracht habe. Wie beispielsweise für den Engel Anna Nicole Smith oder für Faust Christoph Waltz.
Im Wechsel schaue ich mir die Zeichnungen und Fotografien an. Kaum vorstellbar, dass die Details der Zeichnungen oftmals eins zu eins ihre Umsetzung finden konnten. „Und der Film war von Beginn an als Finale des Ganzen gedacht“, frage ich nun.
Bleistiftzeichnung und fotografische Umsetzung von Faust’s resurection (Foto: Daniele Mah)
Humm: Nein. Der war überhaupt nicht geplant. Geplant war lediglich, mit Schauspielern ein Staging zu kreieren, das ich dann als Referenz für meine Ölbilder und Aquarelle nutzen wollte. Währenddessen kam aber die Idee auf, ein Making-of als Dokumentation zu drehen. Um die fertigen Stills zu beleben, ließen wir die Schauspieler einen Satz aus Faust sprechen und merkten hierbei sehr schnell, wie sich das Material für einen Film eignete. So nahm die Idee ihren Lauf.
Ich fasse bis hierhin zusammen: Skizzenbuch, Grafikzeichnung, Fotografie, Film. Es fehlen noch die Aquarelle und Ölgemälde, die wir uns nun anschauen. Hierbei finden sich wieder bekannte Sequenzen der Faust’schen Szenen, jedoch insgesamt freiere Interpretation. Die Farben sind expressiv, die Motive erscheinen wie ein Mix aus Surrealismus und Pop-Art, die Konturlinien sind derart akkurat gezogen, dass ich erneut digitale Vorlagen oder Schablonen vermute. Natürlich liege ich auch hier falsch. Wieder ist alles aus der Hand gezeichnet. Unglaublich!
Werke von links oben nach rechts unten: Aquarell von Apparition, Aquarell von Abuse, Ölgemälde Lamia
Die Bronzen hätte ich fast vergessen, die ebenfalls von einem interessanten Mix geprägt sind. Deutlich zeigen sich Formmerkmale und auch Figuren der Klassik, die in der Kombination mit Figuren aus dem Faust zu neuen Interpretationen gefunden haben.
Im Bild links im Hintergrund und im Bild rechts als Ansicht: Bronzeskulptur von Apparition
Die Vielfalt und Perfektion der verschiedenen künstlerischen Positionen, ihr Bildinhalt und letztlich das Wort Gesamtkunstwerk führen mich zur Abschlussfrage:
„In deiner Pressemitteilung wird das Wort Gesamtkunstwerk verwendet, das als urdeutsch gilt. Es kann in keine andere Sprache übersetzt werden. Die Filmmusik von The Last Faust ist unter anderem von Wagner. Dein von Faust kreierter Übermensch Humunculus ist ein Schwarzer mit blonden Haaren und blauen Kontaktlinsen. Ein deutscher Literaturklassiker diente dir als Vorlage, um dein Gesamtkunstwerk zu kreieren. Alles in allem finden sich also Stereotypen oder Begriffe, die im Laufe der Geschichte mit unterschiedlichen Bedeutungen besetzt wurden. Und deine Erzählung endet mit dem Untergang der Menschheit, den diese sich in ihrer Gier nach unendlichem Wissen und unendlicher Macht in Silicon Valley selbst geschaffen hat. Mehr Ironie und Selbstanspielung gehen kaum …“
Humm: [Lacht] Korrekt. So war es auch gewollt. Über die Zeitreise durch die Kunstgeschichte in zeitgenössischer Ästhetik konnte ich zum Ausdruck bringen, wie unterschiedlich Symbole und auch der Begriff des Gesamtkunstwerks interpretiert und definiert wurden. Die Ironie diente mir als Stilmittel, um zu einer kritischen Auseinandersetzung im Umgang mit der Zeitgeschichte und letztlich mit sich selbst anzuregen …
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Es lohnt sich!
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