Text: Dr. Elke Backes, Atelier-Fotos: Carsten Sander
Ihre fotografischen Künstlerporträts dokumentieren nicht nur das Who is who der Kunstgeschichte. Es sind vielmehr eine Vielzahl dieser Bilder selbst, die in der Gattung der Künstlerporträts zu Ikonen der Fotografie-Geschichte wurden. Ob Joseph Beuys, Gerhard Richter, Andy Warhol, Sigmar Polke oder Hanne Darboven – Angelika Platen gelingt es, stets den Menschen hinter oder auch mit der Kunst einzufangen. Wie hat sie es geschafft, zu den Persönlichkeiten durchzudringen? Wie hat ihr Lebenslauf diese Begegnungen herbeigeführt? All das erzählt sie mir in einer spannenden, in den späten 60er Jahren startenden Zeitreise in ihrem Atelier in Berlin-Charlottenburg …
Angelika Platen
E.B.: Beginnen wir doch mit der banalen Frage, was dich zur Fotografie geführt hat?
Platen: Eigentlich wollte ich Architektur studieren. Doch hatte mich die Liebe von Hamburg nach Berlin gezogen, wo diese Studienmöglichkeit seinerzeit nicht gegeben war. So entschied ich mich für Orientalistik, wurde aber nach Studienbeginn schwanger. Das war es dann erst einmal. Mit einem runden Bauch konnte man damals nicht in die Hörsäle gehen. Als meine Tochter Antonia zur Welt kam, habe ich mir meine erste Kamera gekauft und ausschließlich sie fotografiert. Das war der Anfang.
E.B.: Hast du nicht in Hamburg Fotografie studiert?
Platen: Doch. Das wurde kurz darauf möglich, weil mein Mann als Kulturreporter beim Magazin stern begonnen hatte und wir nach Hamburg umgezogen sind. Ich hatte zwischenzeitlich, kurz nach unserem Umzug, das zweite Kind Katja bekommen und überlegte, wie es weitergehen könnte. Ich wollte eigenständig sein und das in einem interessanten Beruf. Mit der Idee professionell in die Fotografie einzusteigen, begann ich in der Fotoklasse der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg. Es dauerte nur wenige Wochen, bis ich mir eine Dunkelkammer einrichtete und recht schnell begann, auf Kunstausstellungen und Messen zu fotografieren. Diese, noch dokumentarisch ausgerichteten Bilder, habe ich dann eigeninitiativ Zeitungen wie der Welt, dem Springer Verlag oder dem Spiegel angeboten und mir langsam einen Namen gemacht. Über diesen Weg bekam ich den Auftrag bei der Zeit, die Seite Kunst als Ware zu betreuen und habe Texte über neue Editionen geschrieben.
E.B.: War das der Türöffner zu den Künstlern?
Platen: Ja. Die meisten waren noch nicht bekannt und eine Veröffentlichung konnte dazu beitragen, dass Galerien oder Ausstellungsmacher auf sie aufmerksam wurden.
v.l.n.r.: Gerhard Richter (1971), Günther Uecker (1972), Konrad Klapheck (1971)
E.B.: Waren die Künstlerporträts Auftragsarbeiten?
Platen: Ebenso wie die dokumentarischen Fotos sind auch diese ausschließlich eigeninitiativ entstanden. Ich bin nicht mit dem Ziel der Veröffentlichung zu den Künstlern gegangen. Es war vielmehr die große Neugierde, über das Gespräch mehr über die Kunst zu erfahren und gleichzeitig den Menschen dahinter kennenzulernen. Beim Porträtieren war es mein Ziel, beides miteinander zu verbinden. Zum Verständnis ist es wichtig zu wissen, dass Kunst und Fotografie zu dieser Zeit noch keine gleichgestellte Gattung waren. Anfangs war meine Arbeit deshalb eher ein fotografisches Experiment. Als ich 1968 ein Foto von Joseph Beuys in Eindhoven und ein weiteres im selben Jahr mit der Skulptur von Rodin vergrößert hatte, wusste ich: Jetzt hab ich’s gepackt.
Joseph Beuys (1968)
E.B.: Das heißt, du warst insgesamt mittendrin in der Kunstszene und hattest eine Bekanntheit erreicht, die dann deinen nächsten Karriereschritt einleiten sollte?
Platen: Ja, vermutlich kam es vor diesem Hintergrund zum überraschenden Anruf vom Sekretariat von Gunter Sachs. Noch überraschender war der weitere Verlauf: Ich sollte mit Gunter Sachs ein Interview auf Sylt führen. Sachs, seinerzeit nicht nur als Fotograf, sondern auch als Playboy bekannt, stand mit seinem Motorrad auf dem Rollfeld. Als ich mich weigerte, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen, zog er von dannen und ließ mich einfach stehen. Offensichtlich hatte ich erst einmal verspielt. Glücklicherweise übernahm sein Privatsekretär die weitere Gesprächsführung und informierte mich über die eigentliche, mit meinem Besuch verbundene Absicht. Er erzählte mir von den Plänen zu einer neuen Galerie in Hamburg und schlug mir vor, die Leitung zu übernehmen. Das Angebot kam für mich genau zur richtigen Zeit. Ich hatte mich von meinem Mann getrennt, war alleinerziehend und auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen. Gleichzeitig war es der buchstäblich kalte Sprung ins Wasser. Aus dieser Perspektive hatte ich mit Kunst zuvor noch nichts zu tun gehabt.
E.B: Hattest du denn als Galeristin noch Zeit zu fotografieren?
Platen: Eigentlich wenig. Doch war es zu verlockend, diese besonderen Momente, wie die erste Eröffnung mit Arbeiten von Andy Warhol, nicht fotografisch festzuhalten. Warhol war eigens aus New York angereist, Hamburgs Kunstwelt lag Gunter Sachs zu Füßen … ich MUSSTE einfach in allem Trubel meine Kamera zum Einsatz bringen.
Andy Warhol (1972) bei seiner Ausstellungseröffnung in der Kunstgalerie von Gunter Sachs
E.B.: Hat dein „mittendrin im Jet-Set“ dein Leben nicht völlig auf den Kopf gestellt?
Platen: Doch. Aber nicht bezogen auf meine Karriere als Fotografin, denn ich hatte von da an einen besonderen Zugang zu den damals zeitgenössischen Künstlern. Als Gunter Sachs im Jahr 1976 beschloss, die Galerie zu schließen, führte eine ganz andere Begegnung in Saint-Tropez zu einer 20-jährigen Unterbrechung meiner Fotografenkarriere.
Zunächst war alles wie im Film. In einer Bar lernte ich einen besonderen Mann kennen. Wir trafen uns auf seiner Yacht und später auf seinem Anwesen in Paris. Ich mache es kurz: Wir haben 1978 geheiratet, ich bin mit meinen Kindern nach Paris gezogen, habe dort in seinem Unternehmen gearbeitet und noch mein drittes Mädchen Julia zur Welt gebracht.
E.B.: Also mittlerweile drei Töchter und parallel gearbeitet?
Platen: Ich habe nie aus den Augen verloren, eigenständig zu sein. In einer Zeit, als du als Frau nicht einmal ein eigenes Konto haben durftest, habe ich frühzeitig alles darangesetzt, mir diese wesentliche Voraussetzung zu schaffen. Dass ich mein monatliches Gehalt gut anlegen konnte, sollte später auch mein großes Glück sein. Als ich Jahre später vom Parallelleben meines Mannes erfuhr, hatte ich das wirtschaftliche Fundament, um ihn verlassen und nach Deutschland zurückkehren zu können.
E.B.: Wie hast du wieder Anschluss an die Kunstszene gefunden?
Platen: Zwei Dinge kamen zusammen: Zum einen hatten mich meine Kinder gefragt, was ich eigentlich mit meinen Fotos der 60/70er machen wollte. Das war der Impuls für meine erste Monografie, die ich im Stemmle Verlag herausbringen konnte. Zum anderen fragten die Ausstellungsmacher der Ausstellung „30 Jahre Kunstmarkt“ zur Geschichte der Kölner Messe bei mir für Fotos an. So war ich wieder im Gespräch, kaufte mir eine neue Kamera und setzte schon ab 1997 meine Porträtserie fort.
E.B.: Wenn man sich deine Bilder anschaut, finden sich dabei einige Künstler, die du in größerem Zeitabstand noch einmal fotografiert hast. Ein Foto sticht besonders heraus. Es ist das berühmt gewordene Porträt der an Krebs erkrankten Hanne Darboven, die mit erhabenem Blick die Kamera gerade zu durchdringen scheint.
Hanne Darboven 1968 und 2002
Platen: Diese Aufnahme gehört zu meinen Lieblingsbildern. Nach unserer ersten Begegnung anlässlich ihrer Ausstellung Prospect 1969 in Düsseldorf, die den Auftakt ihrer Karriere bedeutet hatte, habe ich sie 33 Jahre später um ein weiteres Treffen gebeten. Das Treffen war sehr herzlich, doch ließ das von mir gewünschte Portrait zunächst auf sich warten. Sie saß mit Hemd und Hosenträgern in einer dunklen Ecke. Wie immer war ich ohne zusätzliches Licht unterwegs und realisierte irgendwann, dass ich so keine guten Fotos machen konnte. Also sagte ich schließlich: Hanne, wenn du jetzt nicht aufstehst, dir die Jacke anziehst und dich genau hierhin stellst, wird das nichts. Und so gelang es mir, diesen sehr besonderen, sehr kurzen Moment einzufangen.
E.B.: Apropos besonderer Moment: Wie hast du es geschafft, Polke im Flug zu erwischen? Das ist eine weitere deiner ikonischen Aufnahmen.
Platen: Polke war ein verspielter Typ. Unweit der Kunstakademie Düsseldorf hatte er sich mit kindlicher Begeisterung auf eine Wippe gestürzt, ich kletterte auf das nahestehende Gerüst, um das Szenario von oben zu fotografieren. Als die Wippe plötzlich hochschoss und ihn hochschnellte, habe ich draufgehalten und hatte verdammtes Glück. Das war wieder einmal der richtige Moment (lacht).
Sigmar Polke (1971)
E.B.: Mittlerweile gibt es von dir zahlreiche Veröffentlichungen. Ein Buch ist dabei insofern von besonderer Bedeutung, als dass du dich darin ausschließlich Künstlerinnen widmest. Hast du damit etwas nachgeholt?
Platen: Tatsächlich wurde mir irgendwann bewusst, dass ich überwiegend männliche Künstler fotografiert hatte. Das war schlichtweg der damaligen Zeit geschuldet, in der Frauen in der Kunstszene völlig unterpräsentiert waren. Als dann 2018 die MeToo-Bewegung aufkam, habe ich ein Jahr lang ausschließlich Künstlerinnen fotografiert und danach das Buch „Meine Frauen“ im Hatje Cantz Verlag herausgegeben.
v.l.n.r.: Cornelia Schleime (2000), Monica Bonvicini (2012), Marina Abramovic (1999)
E.B.: Was passiert mit dem großen Archivschatz, den du über diese vielen Jahrzehnte angesammelt hast?
Platen: Zurzeit bin ich dabei, meinen Vorlass zu beschreiben. Das Konzept mit den entsprechenden Kapiteln steht, und ich fülle die Kapitel mit Inhalten. Mein Wunsch wäre es, dass diese Bestandsaufnahme als studentische Arbeit ausgeführt wird. Das muss ich noch angehen …
E.B.: Die nächste Ausstellung steht vermutlich auch schon an?
Platen: Selbstverständlich (strahlt). Im Museum Ratingen startet am 10. Oktober 2025 die Ausstellung „Einen Augenblick bitte“.
Angelika Platen, porträtiert von Carsten Sander
Weitere Informationen
Website: https://angelikaplaten.com
Veröffentlichungen: https://angelikaplaten.com/data/publications/
Nächste Ausstellung: „Einen Augenblick bitte!“ 10. Oktober 2025 – 25. Januar 2026, Museum Ratingen Instagram












