Fotos Atelierbesuch: Markus Schwer _ Alle weiteren Fotos: Courtesy Johanna Keimeyer
Berlin, Prenzlauer Berg. Stadtbad Oderberger Straße. Es ist der Ort, an dem Johanna Keimeyer ihre in den Medien viel besprochene spektakuläre Tanzperformance anlässlich der Wiedereröffnung des sanierten Gebäudes inszenierte und der Ort, an dem sich über die gesamte Anlage verteilt Fotografien ihrer Werkserie Pool Around Me befinden. Hier beginnen wir unsere Tour durch Berlin, eine Tour quer durch das multimediale Schaffen der Künstlerin . . .
Im Wellnessbereich des traumhaft schönen, historischen Stadtbades schauen wir uns gemeinsam ihre Unterwasserbilder an. Es sind Selbstporträts, die in über 75 Hotelpools auf der Welt in einem Zeitraum von acht Jahren entstanden sind. Die Grenzen der Schwerelosigkeit scheinen hier mit tänzerischer Eleganz bezwungen worden zu sein.
„Um diesen Anschein der Leichtigkeit zu erreichen, brauchte es tatsächlich unendlich viele Versuche und ständige Korrekturen“, verrät sie mir. „Die Tauchgänge waren zeitlich sehr intensiv, was mich unbemerkt parallel zur Freediving-Meisterin ausgebildet hat“, ergänzt sie lachend. „Nachdem man mich irgendwann auf meine Fähigkeit aufmerksam gemacht hatte, habe ich dann einfach mal an den Deutschen Tauchmeisterschaften teilgenommen – und mit 4:34 Minuten Luft-anhalten-können das beste Ergebnis für Berlin geholt“, gibt sie am Rande die Geschichte ihrer zufälligen Tauchkarriere wieder.
In dieser Zeit entdeckte sie aber vor allem ihre Faszination für die Unterwasserwelt. „Sie wurde für mich zu einer magischen Parallelwelt, in der ich das Gefühl hatte, mich jenseits von Raum und Zeit bewegen- und emotional aus meinem Körper herauslösen zu können . . . auf den Bildern sehe ich daher gar nicht mehr mich, sondern eine Kunstfigur.“ Ein zentraler Gedanke, der zwischenzeitlich weitere Interpretationen gefunden hat. Doch dazu später mehr.
Motive von Pool around me im Stadtbad Oderberger Straße
Die Bedrohung der Unterwasserwelt durch Plastikmüll war es zunächst, die sie zur Recycling-Kunst führte. Um diesem ökologischen Problem auf künstlerische Art und Weise zu begegnen, verwandelte sie achtlos entsorgte Plastikflaschen in kunstvoll gestaltete Leuchten. Beispiele solcherart Lichtobjekte, sowie ihre frisch fertiggestaltete Skulptur Drowning Trashure, werden im Window of Modern Art anlässlich der Berlin Art Week und heute Abend als Gesamtinstallation im Hometown-Berlin ausgestellt, unserem nächstes Ziel …
Direkt am Bahnhof Zoo befindet sich die riesige Ausstellungsfläche, die von Streetart- und Urban Art-Künstlerinnen und Künstlern als Open-Air-Atelier genutzt und bespielt wird. Johanna Keimeyer arbeitete hier einen Monat an ihrer neuen Skulptur, die zum World Clean Up Day im sogenannten Dome bereits prominent platziert ist. Es ist eine riesige Muschel, die über und über von buntem Plastikmüll durchdrungen ist.
Drowning Trashure
„Ist noch nicht ganz fertig. Ich muss noch die Leuchtobjekte richtig ausrichten.“ Schon steht sie auf der Leiter und tüftelt an der Optimierung. Währenddessen erzählt sie von der Idee und deren Umsetzung.
„Es ist eine ironische Anspielung darauf, dass Perlentaucher im Meer anstelle schillernder Muscheln bunten Plastikmüll antreffen. Zur Umsetzung habe ich auf der Suche nach möglichst ,dekorativem’ Müll erst einmal die Deponien und dann mit einem Kajak die Spree durchkämmt, bevor ich nach einer Vorlage für die Muschel gestöbert habe. Fündig wurde ich schließlich im Theater.“
Installation im Hometown Berlin anlässlich des World Clean Up Day
Ihre Leuchtobjekte, die international beachtet wurden und sich in bedeutenden Designsammlungen finden, bilden eine Art Rahmen, setzen die Skulptur zusätzlich in Szene und unterstützen als Gesamtinstallation vor allem ihre inhaltliche Aussage. Filigran umspielen fantasievolle Formen das schlichte Leuchtmittel und lassen die einzelnen Modelle wie moderne Interpretationen eines Kronleuchters erscheinen.
In ihrer Wohnung in Kreuzberg, der dritten und letzten Etappe unserer Tour, erzählt sie von ihrem künstlerischen Werdegang. „Meine Mutter ist Malerin und Kunsthistorikern. Malen und Gestalten gehörten daher wie selbstverständlich zu unserem Alltag. So entschied ich mich auch wie selbstverständlich für eine kreative Ausbildung. Nach dem Abitur absolvierte ich zunächst eine Ausbildung zur Schreinerin und Polsterin bei Vitra Design und studierte anschließend interdisziplinär Produkt- und Modedesign sowie Digitale Medien an der UdK Berlin, in Tokyo sowie an der Rhode Island School of Design und dem MIT in den USA.“
Jetzt verwundert es mich nicht weiter, dass eine original Verner Panton Wohnlandschaft den Mittelpunkt ihrer Wohnung bestimmt. „Konnte ich günstig bekommen, weil die Elemente neu bezogen werden mussten – hab ich natürlich selbst gemacht“, kommentiert sie stolz den Erwerb des dekorativen wie supergemütlichen Prachtstücks.
An den Wänden hängen auch einzelne ihrer Unterwasser-Bilder: „Die Bilder entstanden während deines Studiums. Präsentiert hast du sie in sehr aufwändigen Shows, mit Video- und Soundperformances. Warum diese zusätzliche Inszenierung“, frage ich nun.
„Ich wollte eine Form der Präsentation schaffen, die den Betrachter über die Auseinandersetzung mit meiner Arbeit zur eigenen emotionalen Auseinandersetzung herausfordert; ihn letztlich ermutigen, eigene Emotionen zuzulassen.
Video: Performance und Solo-Ausstellung in der Farmani Rooftop Gallery in Bangkok
So auch ihre Intention bei ihrem bislang größten Projekt BREATH ing HEART, das sie 2017 auf der Art Basel realisierte. Hierbei war es die Architektur, das Innere eines historischen Wasserfilters, die sie zu einer Projektion auf das Innere des menschlichen Körpers inspirierte. Im Gewölbe installierte sie auf 1.600 qm Fläche ein begehbares Herz mit 10 Metern Durchmesser. Mittels überdimensionaler künstlicher Lungenbläschen, aderähnlichen Lichtinstallationen, räumlich wandernde Sounds aus Musik, Herzschlag und Atem sowie Duftanimationen wurde der Besucher eingeladen, in das eigene Innere einzutauchen.
„Ich wollte den Menschen die Erfahrung geben, ihr eigenes Herz ,begehen’ und sich hierbei selbst erspüren zu können. Und das hat wahrhaftig funktioniert. Die Besucher haben sich darauf eingelassen“, erzählt sie mit leuchtenden Augen.
BREATH ing HEART
Ebenfalls von starken Emotionen geprägt ist ihre diesjährige, in den Berliner Uferstudios inszenierte Videoperformance The Face Within. Wir schauen uns den Trailer an.
Johanna Keimeyer sitzt vor Live-Publikum auf der Bühne. Umgeben ist sie von ihrer eigenen Projektion auf clusterartig angeordneten Videoscreens und spricht mit sich selbst? „Nein. Ich artikuliere und visualisiere die Gedanken und Gefühle, die ich gerade in mir selbst wahrnehme und trage sie nach außen oder besser gesagt, lasse sie aus meinem Körper herausfließen.“
„Als eine Art Selbstbefreiung“, frage ich nach. „Nein. Darum ging es weniger. Grundsätzlich beschäftigt mich die Frage nach dem was bleibt, wenn wir die Oberflächlichkeiten unseres Selbst abgestreift haben. Das Loslassen ist für mich etwas ganz Wesentliches. Gefühle müssen zugelassen werden, um den Körper verlassen zu können. Nur so lässt sich meiner Meinung nach zum Wesentlichen der eigenen Persönlichkeit vorstoßen und letztlich auf dieser Basis das eigene Leben ausrichten. Mit meinem öffentlichen Loslassen wollte ich – wie bereits bei meinen Inszenierungen der Unterwasserbilder – das Publikum diesen Leitgedanken erspüren lassen.“
Ein Blick auf das Publikum lässt erkennen, dass die Künstlerin nicht nur sich selbst, sondern offensichtlich auch es an die Grenze des Ertragbaren heranführt. Mit eindringlicher Präsenz dominiert sie das Szenario und kreiert nach BREATH ing HEART erneut eine geradezu magische Atmosphäre.
Insgesamt lässt sich erkennen, dass ihre Inszenierungen inhaltlich geprägt sind von Grenzerfahrungen, zu denen sie den Betrachter herausfordert. Doch ist für ihre Aussage vor allem auch der jeweilige atmosphärische Rahmen von größter Bedeutung, mit dem sie über das perfekt ausgearbeitete, interdisziplinäre Zusammenspiel verschiedenster Medien Parallelwelten kreiert. Parallelwelten, die den Betrachter dazu einladen loszulassen, einzutauchen in das innere Ich und auf diesem Wege zur eigenen Persönlichkeit vorzudringen.
Multimedia einmal nicht als Mittel der Selbstdarstellung, sondern Selbsterfahrung …